Medien berichten seit einigen Jahren über zum Teil (sehr) hohe Gehälter von freigestellten Betriebsratsmitgliedern. Gleichwohl wurden diese in der betrieblichen Praxis letztlich um des Betriebsfriedens willen regelmäßig hingenommen, obwohl nicht klar war, ob diese Vergütungen den gesetzlichen Vorgaben entsprachen. In der Rechtsprechung hat sich zuletzt das Haftungsrisiko für die Unternehmen wie für die Betriebsräte erhöht. Das BMAS hat daher im Frühsommer 2023 eine Kommission unter dem Vorsitz des Präsidenten des Bundessozialgerichts Prof. Dr. Rainer Schlegel, der Präsidentin des BAG a.D. und früheren Vorsitzenden des für Betriebsverfassungsrecht zuständigen Senates Ingrid Schmidt sowie Prof. Dr. Gregor Thüsing, Universität Bonn, eingesetzt und mit der Ausarbeitung eines Gesetzesvorschlags zur Reform der Betriebsratsvergütung beauftragt. Im November 2023 beschloss das Bundeskabinett das „Zweite Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes“, das vor allem gesetzliche Klarstellungen unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung enthält. Im ersten Halbjahr 2024 soll das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein.
Unternehmen sehen sich nun veranlasst, die Betriebsratsvergütungen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Betriebsräte werden dadurch gezwungen, im Falle einer Herabsenkung ihrer Bezüge vor Gericht zu ziehen. Marc André Gimmy, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Taylor Wessing, erläutert im Interview, ob der Gesetzentwurf mehr Klarheit schafft.
Sie mahnen schon seit einigen Jahren eine Überarbeitung des Arbeitsentgelts des Betriebsrats an. Dessen Mitglieder üben ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt aus. Gleichzeitig dürfen sie nicht benachteiligt werden, und ihr Entgelt muss sich an dem eines „vergleichbaren“ Arbeitnehmers und seiner allgemeinen Zuwendungen orientieren. Warum ist das in der Praxis problematisch?
Marc André Gimmy: Betriebsräte sind so zu vergüten, wie sie vergütet worden wären, wenn sie das Amt des Betriebsrats nicht übernommen hätten. Denn sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden (§ 78 Satz 2 BetrVG, Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot). Dies ist indes nicht einfach so zu verstehen, dass der Amtsinhaber nur unter Fortzahlung seines bisherigen Gehalts von seiner üblichen Arbeit freizustellen ist, wenn und soweit seine Tätigkeit im Betriebsrat dies erfordert oder das Betriebsratsmitglied freigestellt ist. Der Teufel steckt hier im Detail. Soweit Betriebsratsmitglieder nicht ständig freigestellt sind und weiter ihrer vertraglichen Arbeit nachgehen, könnte man meinen, dass keine Probleme entstehen. Sie erhalten ja die vertraglich geschuldete Vergütung fortgezahlt. Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat können aber schon dann entstehen, wenn der Betriebsrat aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit, die grundsätzlich während der Arbeitszeit zu erledigen ist, Einbußen etwa bei tätigkeitsbezogenen Zulagen oder Pauschalen erleidet. Noch viel schwieriger wird es für die Betriebspartner, die zutreffende Betriebsratsvergütung bei vollständig freigestellten Betriebsratsmitgliedern zu bestimmen. Nach § 37 Absatz 4 BetrVG darf das Arbeitsentgelt nicht geringer bemessen sein als das Arbeitsentgelt „vergleichbarer Mitarbeiter“ mit betriebsüblicher Entwicklung. Hierfür wird für das jeweilige Betriebsratsmitglied eine Vergleichsgruppe mit denjenigen Arbeitnehmern gebildet, die ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausführen und zudem in gleicher Weise fachlich und persönlich qualifiziert sind. So lautet jedenfalls die gängige Definition des Bundesarbeitsgerichts.
Sowohl an der Vergleichbarkeit der Mitarbeiter als auch an der „betriebsüblichen“ Entwicklung scheiden sich die Geister. Helfen die Neuregelungen im Gesetz, dass die Bildung einer Vergleichsgruppe leichter wird?
Ja, davon bin ich überzeugt. Zunächst ist festzuhalten, dass der Entwurf im neuen § 37 Absatz 4 Sätze 3 bis 5 BetrVG nun einen Leitfaden für die Bestimmung der Betriebsratsvergütung sowohl für die Arbeitgeberseite als auch für die Arbeitnehmervertretungen vorgibt. Der Entwurf hält sich zum Teil wörtlich an die Vorgaben der Rechtsprechung. Darüber hinaus stärkt die Neuregelung auch die Betriebsparteien, denn diese können, müssen aber nicht, die Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer und Vergleichspersonen in einer Betriebsvereinbarung wie schon bisher regeln. Solche Betriebsvereinbarungen sollen dann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden können. Damit bekommen die Beteiligten ein hohes Maß an Gestaltungsmöglichkeit und Rechtssicherheit. Gleichwohl bleibt die konkrete betriebliche Umsetzung in der Praxis auch weiterhin überaus kompliziert. Diese Komplexität wird man durch allgemein abstrakte Normen nie ganz beseitigen können.
Warum bleibt es komplex?
Die neue Ergänzungsregelung von § 37 Absatz 4 BetrVG stellt hinsichtlich des Zeitpunkts der Vergleichsgruppenbildung im Einklang mit der Rechtsprechung klar, dass dieser für den Beginn der Amtsübernahme gilt. Es wird auch darauf hingewiesen, dass sich die Vergleichsgruppe während der Amtszeit eines Betriebsratsmitglieds verändern kann und dies zu berücksichtigen ist. Nun nehmen sowohl die Kommission als auch der Gesetzgeber zu der Frage Stellung, wie die Vergleichsgruppen zu bilden sind. So finden sich in dem Kommissionsvorschlag für die in der Praxis – insbesondere bei langjährigen freigestellten Betriebsratsmitgliedern – regelmäßig schwierige Auswahl der Vergleichspersonen nach § 37 Abs. 4 BetrVG folgende Hinweise:
- Der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer bestimmt sich nach der konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit, an deren betriebsüblicher Entgeltentwicklung
- das Betriebsratsmitglied teilnehmen soll.
- Fehlen im Betrieb Vergleichspersonen, können vergleichbare Arbeitnehmer eines anderen Betriebs herangezogen werden.
- Fehlen auch diese, ist auf die betriebsübliche Entwicklung der nächstvergleichbaren Arbeitnehmergruppen abzustellen und das Mindestentgelt nach § 287 ZPO (Zivilprozessordnung) zu schätzen.
Was sieht der Gesetzesvorschlag denn konkret zur Vergleichbarkeit vor?
Der Gesetzgeber macht den Betriebsparteien angesichts der Vielfalt betrieblicher Stellenanforderungen und -bewertungen keine konkreten Vorgaben zur Bestimmung der jeweiligen Vergleichsvorgaben. Es genügt eine Orientierung an dem gesetzlichen Leitbild, wie es durch die Rechtsprechung konkretisiert worden ist: Vergleichbar sind diejenigen Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie der Amtsträger und dafür in gleicher Weise wie dieser fachlich und persönlich qualifiziert waren. Insgesamt ist festzustellen, dass der neue Gesetzentwurf den Prüfungskatalog für eine rechtmäßige Betriebsratsvergütung präzisiert.
Für Betriebsräte selbst besteht kein Strafbarkeitsrisiko. Lediglich Vorstand und Geschäftsführung sowie Personalleiter, die die fragliche Vergütung initiiert oder angewiesen haben, sehen sich hier erheblichen Haftungsund Strafbarkeitsrisiken ausgesetzt. Deshalb überprüfen aktuell Unternehmen die Betriebsratsvergütungsstrukturen. Welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht?
In vielen Fällen kommt es zu einer Bestätigung der bestehenden Entgeltstruktur, in manchen Fällen sogar zu einer Heraufstufung. In anderen Fällen wird die Vergütung jedoch auch abgesenkt, sehr häufig deshalb, weil in der Vergangenheit versäumt wurde, eine nachvollziehbare und zutreffende Vergleichsgruppenbildung und -entwicklung festzuhalten. Für die Betriebsparteien sind solche Prüfungsverfahren eine erhebliche Belastung, insbesondere wenn sie in gerichtlichen Auseinandersetzungen enden. Mit dem neuen Gesetzesvorschlag sollten die Betriebspartner sich überlegen, ob sie nicht doch mehr Rechtssicherheit bei der Betriebsratsvergütung im Wege einer Betriebsvereinbarung suchen möchten.
Was wäre anders, wenn die Vergütung in einer Betriebsvereinbarung festgehalten wird? Fallen Vergleichs- und Entwicklungsfragen weg?
Nein, Vergleichs- und Entwicklungsfragen fallen nicht weg, können aber in einer Betriebsvereinbarung vorausschauend geregelt werden. Außerdem kann die Betriebsvereinbarung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Das gewährt ein hohes Maß an Rechtssicherheit bei der Bemessung der Betriebsratsvergütung.
Gehen Sie davon aus, dass es künftig weniger Klagen in Sachen Betriebsratsvergütung geben wird und der Eindruck überhöhter Entgelte aus der Welt ist?
Nein, die Neuregelung kann sogar zu mehr Klagen führen, da der Gesetzgeber immer deut- licher vorgibt, wie Vergütungsstrukturen gestaltet sein sollten, sodass Fehlstrukturen noch schneller Anlass für Gerichtsverfahren sein könnten. Mit der Zeit wird es sich entspannen. Den Eindruck „überhöhter Entgelte“ schafft der Gesetzgeber damit nicht aus der Welt. Dieser Eindruck ist jedoch falsch. Die überwiegende Anzahl der Betriebsräte ist nicht freigestellt und noch vollständig im Job verankert, aus dem sich leicht die Vergütung ableiten lässt. Nur wenige Betriebsräte in Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten sind freigestellt und nur wenige davon sind in Großunternehmen tätig, in denen sich die Frage von sehr hohen Betriebsratsvergütungen stellt. Einen pauschalen Vorwurf von überhöhten Entgelten für Betriebsräte halte ich daher in keiner Weise für gerechtfertigt.
Info
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes Artikel 1
Das Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001 (BGBl. I S. 2518), das zuletzt durch Artikel 6d des Gesetzes vom 16. September 2022 (BGBl. I S. 1454) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
Dem § 37 Absatz 4 werden folgende Sätze angefügt:
„Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Satz 1 ist auf den Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts abzustellen, soweit nicht ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung vorliegt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; Gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.“
Dem § 78 wird folgender Satz angefügt:
„Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Arbeitsentgelt nicht vor, wenn das Mitglied einer in Satz 1 genannten Vertretung in seiner Person die für die Gewährung des Arbeitsentgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.“
Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.

