Aktuelle Ausgabe neu

Newsletter

Abonnieren

Vergütungstransparenz: mehr als eine Compliance-Aufgabe

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie geht weit über technische Berichtspflichten hinaus. Sie fordert nicht nur, Daten zum Gender-Pay-Gap zu erheben, sondern rückt vor allem die Transparenz bei ­Gehaltsstrukturen in den Mittelpunkt. Das schafft auch eine neue Kultur. Ziel der EU-Entgelttransparenzrichtlinie ist es, Lohndiskriminierung, etwa aufgrund des Geschlechts, abzubauen. Doch das ist nur ein Aspekt. Denn ein weiterer Aspekt, nämlich, dass sich mit transparenten Strukturen die Unternehmenskultur verändert, wird in Diskussionen oft vergessen. Die Frage, wie Organisationen mit dieser neuen Offenheit umgehen, ist daher mindestens ebenso wichtig wie die rechtliche Umsetzung.

Mehr Rechte für Beschäftigte – und neue Pflichten für Unternehmen

Kernstück der Richtlinie ist das Recht der Mitarbeitenden, Informationen über ihr Gehalt und das von Kolleginnen und Kollegen zu erhalten. Unternehmen müssen künftig offenlegen, nach welchen Kriterien sie Gehälter festgelegt haben. Zudem müssen sie nachweisen, dass diese Kriterien objektiv und geschlechtsneutral sind.

Darüber hinaus haben Beschäftigte Anspruch auf Auskunft über die durchschnittliche Vergütung in Vergleichsgruppen, also bei Mitarbeitenden, die gleiche oder gleichwertige Arbeit leisten – aufgeschlüsselt nach deren Geschlecht. Diese Informationen müssen Unternehmen in einer leicht zugänglichen Form zur Verfügung stellen. Sie sind verpflichtet, mindestens einmal jährlich auf das Auskunftsrecht hinzuweisen.

Ein weiterer Punkt betrifft die Offenlegung von Gehaltsinformationen im Bewerbungsprozess. Künftig müssen Arbeitgeber Bewerbenden Informationen über das Einstiegsgehalt oder die Gehaltsspanne für eine Stelle geben. Gleichzeitig ist es verboten, nach dem bisherigen Gehalt des Bewerbers oder der Bewerberin zu fragen. Ziel ist es, faire ­Verhandlungen zu ermöglichen und den Einfluss vergangener Einkommensunterschiede zu begrenzen.

Alles zum Thema

COMP & BEN

Dieser Beitrag ist zuerst im Vergütungsmagazin Comp & Ben erschienen. Das Onlinemagazin berichtet in sechs Ausgaben pro Jahr über aktuelle Themen rund um Compensation & Benefits und betriebliche Altersversorgung. Hier können Sie das Magazin kostenlos herunterladen – und hier können Sie den COMP-&-BENNewsletter abonnieren.

Transparenz entlang des Employee Lifecycles

Diese Vorgaben greifen tief in bestehende HR-Prozesse ein – vom Recruiting über Onboarding bis hin zum Performance Management. Und sie betreffen sowohl HR als auch Führungskräfte und Mitarbeitende. Das verdeutlicht: Transparenz ist kein Rand­thema, sondern betrifft alle Stationen des Employee Lifecycles. Besonders sichtbar wird der Wandel, wenn wir einen Blick auf die typischen Stationen im Lebenszyklus von Mitarbeitenden werfen:

Recruiting: Entgegen einem weit verbreiteten Mythos müssen Gehaltsinformationen nicht zwingend in der Stellenanzeige stehen. Sie müssen jedoch im Laufe des Bewerbungsprozesses transparent gemacht werden. Viele Unternehmen werden sich trotzdem für die Aufnahme in die Anzeige entscheiden, auch, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Jedes Unternehmen steht hierbei vor einer Grundsatzentscheidung: Möchte es offensiv mit Gehaltsangaben werben, oder möchte es sich zunächst auf die (noch zu definierenden) landesspezifischen gesetzlichen Mindestvorgaben beschränken?

Onboarding: Neue Mitarbeitende werden künftig stärker darauf achten, wie die kommunizierten Gehaltsspannen gelebt werden. Versprechen und Realität müssen zueinander passen. Ansonsten entsteht Misstrauen schon zu Beginn der Zusammenarbeit.

Performance-Gespräche: Bisher ging es in Mitarbeitendengesprächen oft primär um Leistung und Entwicklung. Mit der EU-Richtlinie wird Gehalt hier ein viel stärker beachtetes Thema. Führungskräfte müssen erklären können, warum eine Person genauso vergütet wird wie eine andere – und das auf Basis nachvollziehbarer, fairer Kriterien.

Beförderungen: Besonders kritisch wird es bei Karriere- und Beförderungsgesprächen. Beschäftigte interessiert weniger die politische Intention der Richtlinie (das Auflösen des Gender-Pay-Gaps) als vielmehr: Wo stehe ich individuell im Gehalts­gefüge? Wer in der nächsten Rolle weniger verdient als Kolleginnen oder Kollegen, wird dies hinterfragen – und zwar auf Basis der neuen Auskunftsrechte.

Austritte: Auch im Offboarding werden Gehaltsfragen eine größere Rolle spielen. Abwandernde Mitarbeitende nehmen ihr Wissen über Vergütungsstrukturen mit und teilen es häufig mit dem Markt. Hier zeigt sich, dass eine faire und transparente Gehaltspolitik nachhaltig wirkt. Diese Beispiele verdeutlichen: Die Anforderungen der Richtlinie betreffen nicht nur technische Systeme oder Berichte, sondern verändern das tägliche Miteinander.

Transparenz als kulturelle Herausforderung

Während sich die öffentliche Debatte stark auf die Berechnung des Gender-Pay-Gaps konzentriert, liegt die eigentliche Sprengkraft der Richtlinie in einem anderen Punkt: der Normalisierung von Gehaltsgesprächen.

In vielen Unternehmen gilt Gehalt bislang als vertrauliches Thema, über das weder Mitarbeitende noch Führungskräfte gern sprechen. Mit der neuen Rechtslage werden solche Tabus jedoch zunehmend unhaltbar. Beschäftigte erhalten nicht nur das Recht, Informationen einzufordern, sondern auch, diese mit Kolleginnen und Kollegen zu teilen. Unternehmen dürfen die Weitergabe von Gehalts­informationen nicht mehr untersagen.

Das führt unweigerlich zu mehr Diskussionen innerhalb der Belegschaft und damit auch zu potenziellen Konflikten. Unterschiede, die bislang unsichtbar waren, treten plötzlich offen zutage: ­Warum verdient jemand im gleichen Team mehr? Wieso sind Gehälter zwischen Abteilungen unterschiedlich hoch? Sind die Unterschiede gerechtfertigt?

Dabei zeigen sich deutliche Generationen­unterschiede: Ältere Mitarbeitende empfinden Gehalt häufig als ein privates, sensibles Thema, über das sie nicht sprechen. Jüngere Beschäftigte – insbesondere die Generation Z – gehen dagegen viel offener mit Gehaltsfragen um und tauschen sich selbstverständlich mit Kolleginnen, Kollegen oder im Freundeskreis darüber aus.

Hier entsteht ein kultureller Bruch: Was bisher hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde, wird nun offen ausgesprochen. Viele Führungskräfte, die bislang nicht regelmäßig über Gehaltsfragen sprechen mussten, haben somit eine neue Aufgabe.

Warum Change Management unverzichtbar wird

Die eigentliche Herausforderung der EU-Richtlinie liegt daher nicht nur in der technischen Umsetzung – beispielsweise der Datenerhebung oder der Berichtsformate –, sondern auch im kulturellen Wandel, den die Transparenz erzwingt. Genau hier kommt Change Management ins Spiel. Ein strukturierter Prozess hilft, Unsicherheiten zu reduzieren, Stakeholder einzubinden und eine gemeinsame Haltung zu entwickeln.

Dabei sind fünf Aspekte ausschlaggebend:

  1. Align – Vision entwickeln: Unternehmen sollten zunächst klären, wie sie Transparenz verstehen und welchen Stellenwert sie ihr geben wollen. Geht es nur um die Erfüllung gesetzlicher Mindestanforderungen? Oder soll Transparenz aktiv genutzt werden, um Vertrauen zu schaffen und die Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen? Dabei spielt die Ausgangssituation eine zentrale Rolle. Organisationen, die ohnehin überdurchschnittlich gut zahlen oder ein klares, faires Vergütungsmodell etabliert haben, können Transparenz deutlich offensiver nutzen und im Recruiting gezielt kommunizieren. Unternehmen, die stark an Tarifverträge gebunden sind, haben es vergleichsweise leicht, da Gehaltsstrukturen ohnehin transparent und nachvollziehbar sind. In Firmen mit individuell, intransparent festgelegten Gehältern ist die Herausforderung größer: Hier ist eine Jobarchitektur essenziell, also ein strukturiertes Modell, das Rollen klar nach Funktion, Level und Verantwortung definiert. Solch ein Rahmen schafft Vergleichbarkeit, ­belegt rationale Gehaltsentscheidungen und ist in einem transparenten Umfeld kaum zu um­gehen.
  2. Engage – Stakeholder einbinden: Transparenz betrifft nicht nur HR und Vergütung, sondern auch das Top-Management, Führungskräfte, Betriebsräte, Mitarbeitende und Bewerberinnen sowie Bewerber. Alle Gruppen haben unterschiedliche Erwartungen – und diese müssen verstanden und berücksichtigt werden.
  3. Communicate – Botschaften entwickeln: Gehalt ist ein sensibles Thema. Unternehmen brauchen eine klare Storyline: Warum wird Transparenz eingeführt? Welche Werte stehen dahinter? Und wie profitieren Mitarbeitende und Organisation? Eine konsistente Kommunikation verhindert Missverständnisse.
  4. Enable – Befähigung schaffen: Führungskräfte und HR Business Partner müssen in die Lage versetzt werden, über Gehalt zu sprechen und auch Verantwortung zu übernehmen, etwa bei der Begründung der Gehaltshöhe. Dafür sind Trainings, Guidelines und Gesprächshilfen nötig. Insbesondere kann eine Job­architektur herangezogen werden, um Strukturen zu erklären und zu rechtfertigen.
  5. Activate – Prozesse umsetzen: Am Ende müssen die neuen Transparenz­anforderungen in konkrete Prozesse und interne Richtlinien übersetzt werden: in Stellenausschreibungen, HR-Systeme und jährliche Mitarbeitergespräche. Entscheidend ist, dass ­Unternehmen dabei die ursprüngliche Vision nicht aus den Augen verlieren. Dieser Prozess zeigt: Pay Transparency ist kein reines HR-Thema, sondern eine Führungs- und Kulturaufgabe.

Die eigentliche Herausforderung der EU-Richtlinie liegt nicht nur in der technischen Umsetzung, sondern auch im kulturellen Wandel, den die Transparenz erzwingt.

Potenziale einer offenen Gehaltskultur

Natürlich birgt Transparenz Risiken: Sie kann Unzufriedenheit und sogar Neid schüren, wenn ­Unterschiede nicht nachvollziehbar sind. ­Gleichzeitig eröffnet sie Unternehmen aber auch Chancen, wenn sie sie aktiv gestalten.

  • Vertrauen stärken: Wer offenlegt, nach welchen Kriterien Gehälter festgelegt werden, zeigt Fairness und reduziert Spekulationen.
  • Arbeitgeberattraktivität steigern: Gerade jüngere Generationen legen Wert auf Transparenz und Offenheit. Unternehmen, die dies glaubwürdig leben, positionieren sich herausragend im Wettbewerb um Talente.
  • Interne Gerechtigkeit fördern: Offene Diskussionen über Gehalt zwingen dazu, unfaire Strukturen zu überprüfen. Das bietet die Chance, echte Gleichstellung voranzubringen. Die Richtlinie kann somit nicht nur eine regulatorische Last bedeuten, sondern auch ein Instrument sein, um die Unternehmenskultur zu stärken.

Fazit: Regulatorik als Chance für den kulturellen Wandel

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie wird Unternehmen in Deutschland in den kommenden Jahren stark beschäftigen. Wer das Thema nur als Pflichtübung betrachtet, läuft Gefahr, rechtlich zwar ­compliant zu sein, kulturell aber in Konflikte zu geraten. Richtig verstanden, bietet Transparenz die Möglichkeit, Vertrauen aufzubauen, die Arbeitgeber­marke zu stärken und langfristig die Mitarbeiterbindung zu erhöhen. Voraussetzung dafür ist, dass Unternehmen das Thema nicht auf eine reine Betrachtung der Vergütungshöhen und das Schließen von Pay-Gaps ­reduzieren, sondern es als gesamt­organisationalen Change-Prozess begreifen – gestützt durch eine solide Jobarchitektur. Die Botschaft ist klar: Transparenz kommt. Die Frage ist nur, ob Unternehmen sie als Risiko erleben oder sie als Chance im Rahmen ihrer aktuellen Transformation sehen und entsprechend gestalten.

Autor