Spaß hat einen positiven Effekt auf das Lernerlebnis. Oder auch andersherum: Wer etwas aus reiner Freude macht, lernt im besten Fall auch noch etwas dazu. Dies ist soweit keine Neuigkeit. Und natürlich werden diese Erkenntnisse kommerziell genutzt. Ob ein Topf Fingerfarbe oder das singende Blinkeauto, fast alle Spielzeughersteller bemühen sich zu erklären, wie ihr Produkt Motorik oder Sprachentwicklung verbessert.
Spielen gilt schon lange nicht mehr als kindische Zeitverschwendung, und so dürfen heute auch die Erwachsenen dieser Beschäftigung nachgehen. Heutzutage muss sich jedenfalls niemand mehr für seine Brett- oder Kartenspielleidenschaft schämen – in einem gewissen gesellschaftskonformen Rahmen. Und erscheint das neue Flaggschiff-Game für die Playstation, tauscht man sich darüber nicht mehr nur auf dem Schulhof, sondern auch in der Kaffeeküche aus.
Und natürlich ist auch bei den Arbeitgebern angekommen, dass Spaß und Spiel die Mitarbeitermotivation und die Erwachsenenbildung fördert. Ein Trend hat sich entwickelt, basierend auf einem marketingfreundlichen Begriff: Gamification. Wo kommt er eigentlich her?
Von der Buchhaltung in den Escape Room
Der Spieleentwickler Nick Pelling hat ihn geprägt, und zwar bereits 2002. Das Konzept ist eigentlich sehr simpel und auch bereits in der Arbeitswelt gängig: Man transportiere ein Spielelement in einen anderen Kontext, wie zum Beispiel Punktevergabe. Eine Praxis, die es schon länger gibt als den Begriff, siehe die Leaderboards, welche in vielen Sales-Abteilungen Alltag sind. Nach Pellings eigener Einschätzung war er etwa zehn Jahre zu früh dran, um mit Gamification so richtig Geld machen zu können.
Inzwischen ist erwachsenes Spielen fester Bestandteil vor allem in Fortbildungen geworden. Kaum ein Workshop oder Seminar, das nicht mit einem Kennenlernspiel anfängt und die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zum Teambuilding-Tauziehen, in den Abenteuer- Escape-Room oder in die Lasertaghalle schickt. In agilen Workshops werden das Planning Poker oder andere spielerische Tools genutzt. Die Azubis im Hotel lernen beim Point-and-Click- Adventure die richtige Reaktion bei Gästebegegnungen, und selbst bei der Führungskräfteentwicklung wird mit bunten Klemmbausteinen gespielt. Damit ganz klar ist, dass es sich hier um ernsten Spaß handelt, heißt die Moderationsmethode „Lego Serious Play“, natürlich ist sie offiziell vom Hersteller zertifiziert.
Und auch die Personalabteilung spielt ihr eigenes Spiel. Recrutainment heißt das Zauberwort, das eine Umsetzung in Matching-Tools und spielerischem Online- Assessment findet. So schickt Autohersteller Porsche seine potenziellen Kfz-Mechatroniker und -Mechatronikerinnen durch ein Quiz, bei dem Bauteile benannt oder andere Fachfragen beantwortet werden müssen.
Ist was dran am Hype?
Nerviger Hype oder dringend benötigter frischer Wind? Die Antwort liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Natürlich kann man durch spielerische Elemente Mitarbeitende motivieren oder auch anlocken. Auch macht es einen ganz anderen Eindruck auf Talente, wenn sie nicht in einem öden Assessmentcenter unter Neonlicht bei tickender Uhr Kästchen auf Recyclingpapier ankreuzen müssen, sondern ihr Fachwissen spielerisch beweisen dürfen. Und ganz sicher verträgt die Employee Experience in manchen Konzernen hier und da etwas Auflockerung.
Doch passen müssen die Konzepte: zum Unternehmen und auch der Belegschaft, der sie nicht gegen ihren Willen aufgedrückt werden dürfen. Genau wie Fingerfarbe Kindern (und Eltern) auch mal einfach Freude am Herumklecksen machen darf, ohne ein maximal wertvolles pädagogisches Erlebnis zu sein, muss nicht jedes Compliance-Training, nicht jeder Teamausflug auf zwangslustige Spaßveranstaltung getrimmt werden. Denn sonst kann es passieren, dass die Mitarbeitenden die Maßnahme, ihr Ziel und damit auch HR nicht wirklich ernst nehmen.
Info
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Angela Heider-Willms verantwortet die Berichterstattung zu den Themen Transformation, Change Management und Leadership. Zudem beschäftigt sie sich mit dem Thema Diversity.

