Das an Ereignissen nicht gerade arme Jahr 2022 gibt in seinen letzten Monaten noch einmal richtig Gas. Neben dem weiter hartnäckig durch die Gegend fliegenden Covid-19-Virus, Umweltkatastrophen und Krieg halten zwei Multimilliardären die Medien auf Trab und sägen publikumswirksam an ihren Thronen. Aktionäre und Werbekunden verlassen in Scharen das möglicherweise sinkende Schiff Twitter, frisch erworben von Tesla-Gründer Musk. Und auch bei Meta, vormals Facebook, macht sich Untergangsstimmung breit: Anfang November verkündete CEO Mark Zuckerberg, dass er rund 13 Prozent der Belegschaft entlassen wird.
Das Geld braucht der Facebook-Gründer für den derzeit heißesten Hype in der Tech-Welt: das Metaversum. In einer solchen vom Computer geschaffenen Welt tummeln sich Menschen in Gestalt von Avataren (siehe Personalwirtschaft 11/22). Bezahlt wird, natürlich, mit Kryptowährung.
Das Konzept ist nicht neu. Die Idee des Treffens in einem virtuellen Raum stammt, wie so viele Tech-Visionen, aus der Science Fiction. Und wie auch das Internet und Künstliche Intelligenz konnte sie ab etwa den 1980ern mit dem Aufkommen der ersten Netzwerke und der entsprechenden Computerleistung erste Form annehmen. Dennoch sorgte Zuckerbergs Ankündigung, ein eigenes Metaversum zu gründen und sein passend umgetauftes Unternehmen voll darauf einzusteuern, für globale Aufmerksamkeit. So manches Unternehmen wird nun vom FOMO befallen. Die „fear of missing out“ ist die Angst, etwas zu verpassen.
Wie wichtig wird das Metaverse?
Muss man jetzt wirklich über das Metaverse nachdenken, um nicht den Anschluss zu verpassen? Klar, Anbieter dieser Technologie sagen „Ja!“ – schließlich ist es ihr Geschäftsmodell. Basistechnologien für das Metaverse sind in einigen deutschen Großunternehmen bereits etabliert. Statt vor Ort und am Objekt lernen Mitarbeitende über Datenbrillen, wie Motoren montiert oder Schienen verlegt werden. Auch komplett virtuelle Verkaufsräume gibt es bereits. Warum nicht über den nächsten Sprung nachdenken und gleich alles in den Cyberspace verlegen? In der Theorie klingt das wundervoll: Das Zusammenschalten über Bits und Bytes spart Zeit, Reisekosten und verpasst Employee Experience einen schicken, futuristischen Anstrich. Auf in die wunderbare neue Metawelt!
Was also tun, wenn sich die Chefetage in die Metaebene wegträumt? Gegen FOMO des Managements helfen HR, wie üblich, Fakten. Wie jede neu aufkommende Technologie wird das Metaverse noch sehr von der verfügbaren Hard- und Software begrenzt. Das beginnt bei der grafischen Darstellung: Selbst die Workrooms des Vorreiters Horizon Worlds haben den leblosen Pixel-Charme eines Computerspiels der frühen 2000er.
Was ist also der vorläufige Unique Selling Point des Metaverse? Vielleicht dass, anders als über Videochat oder in Präsenz, das glattgebügelte Gesicht des Gegenübers hier immer gleich aufmerksam aussieht.
Eintritt nicht ohne Hardware
Davon abgesehen funktioniert der Eintritt ins Metaverse einstweilen nur mit ebenjener noch klobigen Hardware, die natürlich trotzdem teuer ist, in Anschaffung wie Wartung. Mit dem hauseigenen 3-D-Brillenmodell besetzt Meta laut Marktforscher Counterpoint 80 Prozent des Marktes – und hat im Zuge der wirtschaftlichen Krisen die Preise deutlich angehoben.
Das kürzlich vorgestellte Premium-modell für Firmenkunden namens Meta Quest Pro kostet 1499 Dollar pro Stück. Im Übrigen: Was nützt das Tor zum Metaverse etwa jenen KMUs, die in einem der zahlreichen blinden Internetflecken Deutschlands residieren? Dort hat HR ganz andere Baustellen, zum Beispiel, dass die Verbindung zum Intranet nicht abreißt.
Wenn diese Argumente nicht greifen, dann kann HR auf den Profit verweisen. Zuckerbergs Umschwung auf das Metaverse brachte ihm laut Handelsblatt einen Aktieneinbruch von 60 Prozent ein. Kritische Stimmen werden laut, der Konzern möge sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren, bevor er in virtuelle Welten abdriftet. Ein Argument, das auch HR nutzen kann, wenn die Chefetage nach den noch pixeligen Sternen im Metaversum greift, statt erstmal die Digitalisierung im guten, alten Sinn voranzutreiben.
Angela Heider-Willms verantwortet die Berichterstattung zu den Themen Transformation, Change Managemment und Leadership. Zudem beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit HR-Technologie und Diversity.