Noch ist offen, wie die neue EU-Richtlinie in den einzelnen Staaten umgesetzt wird. Unternehmen sollten dennoch jetzt schon den Grundstein für Equal Pay legen, um keine Zeit zu verlieren.
Die „EU-Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen“ (im Folgenden: EU-Richtlinie) ist verabschiedet. Die Einbindung in nationales Recht folgt. Wie Unternehmen sich auf die kommenden Änderungen im Bereich der Entgelttransparenz vorbereiten, hat WTW im Juli 2023 im Rahmen des europäischen „2023 WTW Pay Transparency Survey“ gefragt. Die Antworten der 1313 Teilnehmer geben Aufschluss über den Status quo und benennen die größten Herausforderungen aus Sicht der Unternehmen.
Wichtige Schritte unmittelbar einleiten Zwar steht die konkrete Umsetzung der EU-Richtlinie in den Mitgliedstaaten noch aus, aber die Eckpfeiler durch die Direktive sind bereits gesetzt. Trotzdem geben 35 Prozent der Befragten an, dass sie noch keine Vorbereitungen für die kommende EU-Richtlinie getroffen haben, da es aus ihrer Sicht dafür noch zu früh ist. Dies ist aus Beratungssicht ein Fehler. So lassen sich bereits heute wichtige Schritte auf dem Weg zur Umsetzung gehen.
Die EU-Richtlinie geht in vielen Punkten über die bereits bestehenden nationalen Gesetze hinaus. Ihr Fokus liegt auf der Schaffung von Strukturen und Transparenz. Einheitliche Vergütungsstrukturen sowie umfangreiche Informationspflichten gegenüber Mitarbeitenden und Bewerbenden sind nur die Kernpunkte.
Hinzu kommen die Berechnung und Ausweisung eines konkreten Gender Pay Gaps, dem die objektive Bewertung von Stellen zugrunde liegt. In Deutschland liefert das geltende Entgelttransparenzgesetz eine Orientierung zur Durchführung erster Analysen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich die Faktoren, die zur Bestimmung gleicher oder gleichwertiger Arbeit herangezogen werden, nicht maßgeblich von denen unterscheiden, die bereits jetzt zur Feststellung gleicher oder gleichwertiger Arbeit genutzt werden. Neben den gesetzlichen Bestimmungen bleibt hier die Frage zu beantworten, welche (zusätzlichen) Faktoren einen Gehaltsunterschied erklären dürfen.
In der täglichen Arbeit haben sich die Faktoren Wertigkeit (wie beispielsweise interne Karrierelevel, Grades oder Tarifgruppen), fachliche Funktion (zum Beispiel Produktion, Vertrieb und Finanzen), Standort, Führungsverantwortung und persönliche Leistungskennzahlen als relevant bestätigt. Inwiefern diese Faktoren für das jeweilige Unternehmen bedeutsam sind, bleibt im Einzelfall zu prüfen, jedoch können erste Analysen zu diesen Einflussfaktoren einen Anhaltspunkt für mögliche Problemfelder geben.
Gehaltsunterschiede mit statistischen Methoden aufspüren
Neben inferenzstatistischen Methoden wie beispielsweise der Regressionsanalyse, die mittelfristig das Instrument der Wahl für die Umsetzung der EU-Richtlinie sein wird, bietet bereits die deskriptive Statistik gute Möglichkeiten, Unregelmäßigkeiten im Gehalt aufzudecken. Punktdiagramme, die die interne Entgeltstufe gegen das Gehalt abtragen, zeigen Ausreißer auf und geben Anhaltspunkte für tiefergehende Analysen.
Denn auch wenn Details, wie beispielsweise die genaue Form der Berichtspflicht, noch nicht abschließend geklärt sind, können wir bereits heute ein gutes Gefühl dafür bekommen, welche Faktoren im eigenen Unternehmen zur Erklärung von Gehaltsunterschieden herangezogen werden sollten und wie hoch ein möglicher Handlungsbedarf ist. Für diese ersten Analysen empfiehlt sich, den Fokus auf die zentralen Vergütungsbestandteile wie Grundvergütung und Boni zu legen, die den Großteil der Gesamtvergütung ausmachen und bei denen in der Zuteilung Ermessensspielraum besteht, der prinzipiell zu Schieflagen führen kann.
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Was Sie jetzt tun können:
Starten Sie erste deskriptive Analysen. Neben einer Einschätzung zur Ausgangslage und möglichem Handlungsbedarf kann Ihnen dies auch dabei helfen, Inkonsistenzen und Risiken in den bestehenden Systemen und Prozessen aufzudecken.
Klarer Ordnungsrahmen und solide Datenqualität unerlässlich
Die Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Entgelttransparenz ist ein konsistenter personalpolitischer Ordnungsrahmen. Hierbei sind insbesondere die Aspekte (1) Stellenbewertung/Stellenarchitektur, (2) Vergütungsrichtlinien und -prozesse sowie (3) Datenqualität und Analysekompetenz von Bedeutung.
- Stellenbewertung und Stellenarchitektur ermöglichen die Ermittlung gleicher oder gleichwertiger Tätigkeiten. Stellenbewertungssysteme unterstützen dabei anhand objektiver Faktoren, die Wertigkeit einer Position zu bestimmen. Die Stellenarchitektur (zum Beispiel Stellenfamilien, Subfamilien und Rollen) hilft dabei, Stellen in gleichen oder verwandten Tätigkeitsfeldern zu ermitteln. All dies dient dazu, relevante Vergleichsgruppen zu definieren und in der Vergütung „Äpfel mit Äpfeln“ zu vergleichen.
- Im Bereich Vergütungsrichtlinien und -prozesse geht es um die Risikoanalyse aller Bereiche, die diskretionären Spielraum bieten oder bei denen das Regelwerk nur für einen Teil der Mitarbeitenden gilt (zum Beispiel bei Incentives, Essenszuschüssen und Firmenwagen. Auch der Umgang mit Vergütung während der Abwesenheitszeiten (etwa Elternzeit) ist hier relevant.
- Der Bereich Datenqualität und Analysekompetenz konzentriert sich darauf, dass qualitativ hochwertige und belastbare Daten zur Erklärung von Vergütungsunterschieden vorliegen und dokumentiert sind. Diese reichen von der aktuellen Bewertung von Stellen bis zum Performance Management oder der Operationalisierung und datenseitigen Abbildung von Kriterien wie Leistung und Erfahrung. Gleichzeitig geht es um den Aufbau von Analysekompetenz im Unternehmen beziehungsweise deren Unterstützung von externen Know-how-Trägern. Neben der deskriptiven Statistik kommen multivariate Regressionsanalysen zum Einsatz, deren Nutzung zukünftig zum jährlichen Regelprozess gehören werden, sodass der Aufbau interner Kompetenz sinnvoll ist.
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Was Sie jetzt tun können:
Definieren Sie im Kontext Ihrer Vergütungsphilosophie, welche objektiven Faktoren Gehaltsunterschiede erklären sollen, und prüfen Sie, ob diese strukturell und prozessual passend umgesetzt sind. Kontrollieren Sie, ob Daten vorliegen, anhand derer dies gemessen und nachvollzogen werden kann. Definieren Sie darüber hinaus ein Team aus Spezialistinnen und Spezialisten, das sich in das Thema vertieft, und die statistischen Analysen aufsetzt und durchführt.
Die Kommunikation optimieren
Die WTW-Umfrage zur Vergütungstransparenz identifiziert drei wesentliche Kanäle, die Unternehmen zur Kommunikation ihrer Vergütungsprogramme nutzen: Führungskräfte, Intranet und HR-Portal. Die Kommunikation über die Führungskräfte nimmt dabei die zentrale Rolle ein. Hier zeigt sich Handlungsbedarf in den Informations- und Trainingskampagnen. Denn obwohl 80 Prozent der befragten Unternehmen die Kommunikation von Vergütungsprogrammen und Entgelttransparenz bei den Vorgesetzten sehen, glauben nur 44 Prozent, dass sie diese effektiv darauf vorbereiten.
Bewährt hat sich hierbei ein Informations- beziehungsweise Schulungskonzept zu drei Themenfeldern:(1) aktuelle Vergütungspraxis, (2) Umsetzung von Entgelttransparenz in den kommenden Jahren sowie (3) Sollzustand der Entgelttransparenz im Unternehmen.
- Aktuelle Praxis: Wie funktionieren Stellenbewertung und Stellenarchitektur heute? Wie funktioniert das Vergütungsmanagement? Gibt es bereits Richtlinien, die sich explizit mit dem Thema Entgelttransparenz und Entgeltgerechtigkeit beschäftigen? Welche Rückmeldungen hören Sie von Mitarbeitenden zum Thema?
- Umsetzung: Mit welchen Stakeholdern sind Sie schon im Gespräch? Wurden bereits erste Analysen gemacht? Falls nein, wann planen Sie diese? Haben Sie bereits eine Roadmap mit Meilensteinen?
- Sollzustand: Wie transparent wollen Sie kommunizieren? Werden Sie sich extern zertifizieren lassen? Gibt es schon Überlegungen, um den Prozess der Gehaltsanpassung zu steuern?
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Was Sie jetzt tun können:
Planen Sie eine Informations-, Awareness- und Schulungskampagne für Ihre Führungskräfte. Sie sind die wichtigsten Mittler und Multiplikatoren für die Themen Entgeltgerechtigkeit und Entgelttransparenz.
Wichtig ist, dass sich die Kommunikation zur Entgelttransparenz sinnvoll und stringent in breitere Kampagnen zu den Themenfeldern Environment, Social, Governance (ESG) beziehungsweise Diversity, Equity & Inclusion (DEI) einfügt. Auch wenn momentan noch viel Unsicherheit in Hinblick auf die konkrete Umsetzung der EU-Richtlinie besteht, ist jeder Schritt, den Sie jetzt schon auf Ihrer Reise hin zu Gehaltstransparenz und Equal Pay machen, hilfreich, um das Beste aus der verbleibenden Zeit zu machen.
Autor
Florian Frank
Leiter Talent & Rewards Deutschland, WTW
Florian.frank@wtwco.com
www.wtwco.com
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Mehr zum Thema
Die „2023 WTW Pay Transparency Survey“ gibt Aufschluss über
die aktuellen Herausforderungen der Unternehmen bei der
Umsetzung der EU-Richtlinie. Die Ergebnisse können Sie hier einsehen.
