Frage an die HR-Werkstatt: Wie können wir uns als Unternehmen auf die EU-Entgelttransparenz-Richtline vorbereiten?
Es antworten: Annette Hiesinger-Sanchez und Anja Pempelfort, WTW
Gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit: Die Realität vieler Arbeitgeber ist noch weit von diesem Ideal entfernt. Wie weit genau, wird die Umsetzung der neuen EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz in Kürze offenlegen. In Deutschland hat sich das aktuell geltende Entgelttransparenzgesetz aus dem Jahr 2017 als nicht zielführend erwiesen, um Vergütungsgerechtigkeit nachhaltig voranzutreiben.
Ähnliches zeigen auch EU-weite Erhebungen: Aktuell wird das Recht auf gleiches Entgelt europaweit nicht ausreichend angewendet oder durchgesetzt, in vielen Mitgliedstaaten mangelt es schon an der dafür nötigen Transparenz.
Erste Berichterstattung wohl im Jahr 2027
Vor diesem Hintergrund entstand die neue EU-Richtlinie. Im Dezember 2022 hatten sich das Europäische Parlament und der Rat politisch auf die von der EU-Kommission im Frühjahr 2022 eingebrachten Regelungen geeinigt, im März 2023 verabschiedete das EU-Parlament schließlich den Richtlinienentwurf. Nun haben die Mitgliedsstaaten bis zu drei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Die genaue Frist wurde bisher noch nicht bestätigt – zu erwarten ist aber, dass die nationalstaatlichen Gesetze bis spätestens 2026 in Kraft treten müssen.
Für Unternehmen ab 150 Mitarbeitenden ist davon auszugehen, dass die erste externe Berichterstattung bereits 2027 für das Jahr 2026 erfolgen muss. Kleinere Unternehmen ab 100 Mitarbeitende haben voraussichtlich Zeit bis 2031 (für das Jahr 2030). Diesen Vorlauf sollten Arbeitgeber unbedingt nutzen, um sich Transparenz über die eigene Ausgangslage zu schaffen, einen nachhaltigen Maßnahmenplan zu entwickeln und diesen Schritt für Schritt umzusetzen.
Anforderungen an Arbeitgeber
Diskriminierungsfreie, objektiv nachvollziehbare und transparente Vergütungsstrukturen
Arbeitgeber müssen zukünftig sicherstellen, dass ihre Vergütungsstrukturen und -prozesse geschlechtsspezifischen Entgeltdifferenzen vorbeugen. Unterschiede in der Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit müssen auf objektive, geschlechtsneutrale Kriterien (z.B. Verantwortungsumfang, Fähigkeiten, Erfahrung, Arbeitsbedingungen, Leistung) zurückgeführt werden können. Diesen Kriterienkatalog für Entgeltgruppe, Entgelthöhe und Entgeltentwicklung müssen Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden leicht zugänglich machen.
Weitgehende Informationsrechte von Mitarbeitenden und Bewerbern
Mitarbeitende haben das Recht auf geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselte Informationen über ihr individuelles Entgeltniveau sowie das durchschnittliche Entgeltniveau von Mitarbeitendengruppen, die eine gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Über dieses Recht müssen die Arbeitgeber jährlich informieren und Ergebnisse zeitnah bereitstellen.
Auch Bewerber müssen künftig Informationen über die Entgeltstufe und -spanne erhalten, die sie zu Beginn des Arbeitsverhältnisses erwartet. Die bisherige Vergütung darf von neuen Arbeitgebern nicht mehr erfragt werden.
Berichtspflichten des Arbeitgebers
Arbeitgeber mit mindestens 100 Mitarbeitenden sind zukünftig verpflichtet, Gender Pay Gaps, also geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede, nach Mitarbeitenden-Kategorien zu berechnen und diese Informationen unternehmensintern zugänglich zu machen sowie der zuständigen Behörde zu melden. Arbeitgeber, die 100 bis 249 Mitarbeitende beschäftigen, müssen diese Informationen alle drei Jahre aufbereiten, Arbeitgeber mit 250 und mehr Mitarbeitenden sind dazu jährlich verpflichtet.
Bei einem ungerechtfertigten geschlechtsspezifischen Entgeltgefälle ab 5 Prozent müssen Arbeitgeber in Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmervertretung eine gemeinsame Untersuchung durchführen, um diese Unterschiede zu beseitigen.
Mitarbeitende, die von geschlechtsspezifischer Entgeltdiskriminierung betroffen sind, haben Anspruch auf Entschädigung. Diese umfasst die vollständige Ausbezahlung des rückständigen Arbeitsentgelts und der entsprechenden Boni oder Nebenleistungen, Entschädigung für entgangene Chancen, immaterielle Schäden sowie Schäden, die durch andere relevante Faktoren verursacht wurden, zu denen auch intersektionelle Diskriminierung gehören kann, sowie Zinsen.
Verstöße gegen die Richtlinien werden künftig konsequent verfolgt und mit Geldbußen sanktioniert. Daher sollten Arbeitgeber bereits jetzt damit beginnen, sich auf das Eintreten der Richtlinie samt ihren Bestimmungen vorzubereiten. Wie das aussehen kann und welche Maßnahmen in welchem Zeitrahmen sinnvoll sind, zeigt die folgende Roadmap.
Roadmap: Wie sich Arbeitgeber jetzt auf die neue Richtlinie vorbereiten können
2023: Zieldefinition
Noch sind vielen Arbeitgebern die Implikationen der EU-Richtlinie nicht bewusst. In einer aktuellen Befragung von WTW geben 35 Prozent der teilnehmenden Unternehmen an, nicht mit den Anforderungen der Richtlinie vertraut zu sein. Nach den Erfahrungen mit dem Entgelttransparenzgesetz sind viele Unternehmen darüber hinaus skeptisch, dass die neuen Regelungen helfen werden, das Gender Pay Gap zu schließen. Entsprechend ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Der Fokus für 2023 sollte deshalb neben der internen Aufklärungsarbeit auf der Definition der eigenen Ambition und konkreter Ziele im Einklang mit sonstigen Diversity-Equity-Inclusion-Zielen liegen.
2023/2024: Analysephase
In 2023/2024 steht die Transparenz über den Status Quo im Unternehmen im Vordergrund, um den Handlungsbedarf sowie mögliche Risiken eingrenzen zu können. Welche Anforderungen der Richtlinie sind bereits erfüllt und wo gibt es Handlungsdruck? Dies umfasst:
- Unternehmensspezifische Definition von „gleichwertiger Arbeit“
- Analyse der aktuellen Vergütungsstrukturen im Hinblick auf die Anforderungen der Richtlinie und Identifikation des individuellen und systemischen Handlungsbedarfs, zunächst im Rahmen eines Piloten, später für das gesamte Unternehmen
- Ursachenanalyse: Überprüfung von Entgeltstrukturen und -prozessen, Governance sowie vorgelagerten Personalprozessen im Mitarbeitenden-Lebenszyklus und deren Auswirkung auf die Vergütungsfindung
- Aufklärungsarbeit im Personalbereich und in der Unternehmensleitung
2024/2025: Umsetzungsphase
Nach der Analysephase erfolgt die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Korrektur existierender Ungleichheiten (individuelle Risiken) sowie zur Vorbeugung zukünftiger Ungleichheiten (systemische Risiken):
- Anpassung des individuellen Entgelts im Fall von Abweichungen
- Aktualisierung der Vergütungsrichtlinien, Prozesse und Praktiken sowie ggf. von vorgelagerten Personalprozessen (Recruiting, Performance Management, Beförderung, etc.)
- Definition der Standards für Governance, Technologie und operationale Exzellenz
- Sensibilisierung weiterer Stakeholder im Unternehmen für das Thema Vergütungsgerechtigkeit und -transparenz und deren Implikationen
2026: Regelprozess zur Sicherung der Nachhaltigkeit
Ab 2026 geht es dann um die Etablierung eines nachhaltigen Regelprozesses, der Vergütungsgerechtigkeit und -transparenz sicherstellt. Dies geschieht durch:
- Regelmäßige Kommunikation an die Mitarbeitenden
- Einrichtung von Anlaufstellen für Mitarbeitende und Mitarbeitenden-Vertretung
- Weiterbildung von Mitarbeitenden und Führungskräften
- Nachverfolgung und Dokumentation des Fortschritts
Auch wenn die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz die Arbeitgeber im ersten Moment vor neue Herausforderungen stellt, ist sie ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Entgeltgerechtigkeit. Aus deutscher Perspektive werden viele Regelungen strenger gefasst und deutlich weiterführende Vorgaben ergänzt. Arbeitgeber müssen sich deshalb kritisch mit ihren bestehenden Vergütungsstrukturen befassen und für mehr Transparenz und Chancengleichheit in ihrem Unternehmen sorgen – auf objektiv nachvollziehbarer, geschlechtsunabhängiger Basis.
Autor
Anja Pempelfort ist Director Work & Rewards bei WTW. Sie arbeitet seit mehr als 23 Jahren für die Beratung beziehungsweise deren Vorgängerunternehmen Watson Wyatt und Towers Watson.
Autor
Annette Hiesinger-Sanchez ist Director Work & Rewards bei WTW. Ihre Karriere begann die Diplom-Betriebswirtin 2010 als Junior Consultant bei Towers Watson.