Immer öfter werden in Stellenofferten für „Senior Manager Total Rewards (w/m/d)“ und „HR-Manager (w/m/d)“ People-Analytics-Kompetenzen und KI-Kenntnisse vorausgesetzt. Ändern sich im Compensation-Bereich gerade die Jobprofile? Senior Partner Petra Knab-Hägele und Senior Director Jennifer S. Schulz, beide von der Unternehmensberatung hkp///group, erläutern, ob und wie HR-IT und KI die Arbeit von Comp-&-Ben-Verantwortlichen verändert.
Comp & Ben: Welche KI-Kenntnisse sollten RewardsManagerinnen und -Manager derzeit mitbringen?
Petra Knab-Hägele: Wir beobachten, dass HR-Abteilungen einschließlich des Vergütungsbereichs Mitarbeitende mit Analytic Skills suchen oder Software Engineers, die KI-Modelle gestalten und implementieren können. Inzwischen gibt es für das Personalmanagement eine ganze Reihe von Lösungen, die auf Basis von KI arbeiten. Zum Beispiel in der Personaldiagnostik in Bewerbungsprozessen, in Chatbots oder eigenen ChatGPT-Anwendungen. In den Comp-&-Ben-Bereich sind substanzielle KI-Tools dagegen noch nicht vorgedrungen. Auch läuft manches derzeit unter dem Label KI, was noch keine KI ist.
Sondern?
Petra Knab-Hägele: Generell unterscheiden wir zwischen Descriptive, Predictive und Prescriptive Analytics. Während Predictive Analytics Daten aus der Vergangenheit bewertet und diese Information nutzt, um künftige Trends vorherzusagen, kann Prescriptive Analytics Unternehmen Handlungsempfehlungen geben und ermöglicht eine automatisierte Entscheidungsfindung. Diese beiden Prozesse stützen sich auf eine saubere Datenbasis und nutzen mathematische Algorithmen. Bislang können sich jedoch die wenigsten Organisationen auf eine konsolidierte HR-Datenbasis für HR-Analytics beziehungsweise KI-Vergütungslösungen stützen. Wenn also aktuell Compensation-Fachkräfte mit KI- und People-Analytics-Kenntnissen gesucht werden, ist das ein Indiz dafür, dass Unternehmen Total Rewards und KI-Anwendungen verbinden möchten. Dafür benötigen sie Mitarbeitende, die über Kompetenzen an der Schnittstelle von Technologie, HR- und Data-Management inklusive Datenschutz und -sicherheit verfügen und unter anderem beurteilen können, welche Daten in ein Modell einfließen müssen, welche verzerren oder voreingenommen sind und wo die Datenschutzprobleme liegen.
Jennifer S. Schulz: Unternehmen haben in der Regel die Daten für eine Predictive- und Prescriptive-Analyse nicht vorliegen. Solange sie aber nicht den ersten notwendigen Schritt vollzogen haben, kann auch die „intelligenteste“ KI keine verlässlichen Ergebnisse liefern. In Fair-Pay-Projekten erleben wir die Herausforderung der Unternehmen, eine saubere Datenbasis zu schaffen. Ähnlich wie beim Thema Reporting muss gewährleistet sein, dass die relevanten Daten in den HR-IT-Systemen so sauber erfasst sind, dass sie auf Knopfdruck konsolidiert werden könnten. Die meisten Organisationen berichten uns, dass sie eine sehr große Menge an Daten haben. Aber welche davon sind steuerungsrelevant zum Beispiel für ein internes oder externes Benchmarking? Die vorliegenden Daten müssen nach einer bestimmten Struktur gescreent werden – und in global tätigen Unternehmen auch für jede einzelne Niederlassung.
Ist es Aufgabe von HR und Reward Management, den Prozess der Datengenerierung voranzutreiben?
Petra Knab-Hägele: Auf jeden Fall! Aber nicht nur das: HR und seine Teildisziplinen müssen den Prozess der Datenaufbereitung mitgestalten und das eigene Wissen einbringen, um Fehler zu vermeiden. Bleiben wir beim Beispiel eines Fair-Pay-Projekts: Die Schwierigkeit liegt darin, die Daten nach einer einheitlichen Struktur zu erfassen. Für manche Unternehmen ist es schon schwierig, innerhalb Deutschlands standardisiert Daten in vorgegebenen Formaten zu erfassen, wenn sie mehrere Tarifpartner mit unterschiedlichen Verträgen haben. Umso schwieriger wird es bei global tätigen Unternehmen, da es in jedem Land andere Zusatzleistungen, Arbeitszeiten und anderes gibt.
Jennifer S. Schulz: Ohne ein durchgehendes HR-IT-System ist es nicht möglich, eine einheitliche Struktur zu erreichen. Lange haben Unternehmen die Ausgaben gescheut. Was im Finance-Reporting Standard ist, galt für HR noch lange nicht. Viele Unternehmen ziehen jetzt nach und investieren hier. Großunternehmen sind schon seit Jahren dabei, HR-IT-Systeme weltweit auszurollen, sodass die technische Basis für die Datenverfügbarkeit perspektivisch gesichert ist.
Petra Knab-Hägele: Der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, dass die Einführung moderner, unternehmensübergreifender HR-IT-Landschaften kein Selbstläufer ist. Abgesehen von der Ablösung beziehungsweise Integration von Altsystemen und dem damit erforderlichen Schnittstellen-Management sind häufig das Re- und Neudesign von Prozessen der Knackpunkt. Am Ende soll ja nicht für viel Investment mit neuer Technik Bekanntes neu erfasst und schöner dargestellt werden. Es geht darum, die Potenziale moderner Technologien vollumfänglich nutzbar zu machen.
Lösen HR-IT-Systeme alle Probleme bei der Standardisierung der Daten?
Jennifer S. Schulz: Die Qualität des Ergebnisses hängt davon ab, wie gut die Datenbasis ist. Das Problem ist nicht, dass die KI bestimmte Analysen nicht beherrscht: Die Voraussetzung für eine erfolgreiche KI-Anwendung sind belastbare Informationen, auf deren Datenbasis sie auch Vorhersagen treffen kann. Im Compensation-Bereich bedeutet das, genau festzulegen, was verglichen werden soll und wie die einzelnen Datenfelder definiert werden. Es kann nur auf Daten abgestellt werden, die zur Verfügung stehen, und die sind sorgfältig zu überprüfen, bevor man den Algorithmus damit lernen lässt, weil sonst Verzerrungen – die Data Bias – weitergegeben werden.
Bekannt ist das Beispiel eines namhaften US-Unternehmens, wo ein im Recruiting eingesetzter Algorithmus – statt objektive Vorschläge zu unterbreiten – Frauen benachteiligt hat. Da das Unternehmen seit 30 Jahren nur männliche Führungskräfte eingestellt hatte und die HR-IT nur männliche Kandidaten kannte, schlug die KI nie eine Frau vor.
Welche Rolle spielt das Reward Management beim Aufsetzen eines HR-IT-Systems?
Petra Knab-Hägele: HR-IT-Systeme sind standardisierte Systeme, die sehr gut funktionieren, solange es sich um Standardinformationen handelt. Was aber, wenn jede Teilgesellschaft ein eigenes System benötigt? Wenn dieselben Datenelemente innerhalb des Konzernverbundes von Gesellschaften anders interpretiert werden und sich Datenelemente finden, die nicht in die Konsolidierung passen? Das bedeutet: Beim Prozess der Entwicklung der HR-IT, bei der Implementierung und beim Rollout werden Vergütungsspezialisten gebraucht, die darauf achten, dass die Daten zentral vergleichbar sind.
Gibt es weitere Aufgaben?
Jennifer S. Schulz: Eine Herausforderung ist sicherlich der Datenschutz sowie der angemessene Umgang mit den Daten. Nach der DSGVO gilt das Prinzip der Datenminimierung, das bedeutet, personenbezogene Daten müssen dem Zweck angemessen sein und auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt werden. Dieses Maß ist zu definieren und auch perspektivisch immer im Auge zu behalten. Hinzu kommt: Viele KI-Lösungen zielen ja darauf ab, im Markt Informationen zu sammeln, sei es in Lebensläufen oder Stellenanzeigen. Aber wie können diese Daten mit internen Daten sinnvoll verknüpft werden? An dieser Stelle brauchen wir Experten, die die fachlichen Anforderungen verstehen, gleichzeitig aber auch eine KI-Lösung intelligent füttern können, um am Ende die relevanten Prozesse für das gesamte Unternehmen nach einem einheitlichen Standard zu gestalten.
Welches Vorgehen empfehlen Sie Unternehmen im Mittelstand, die noch kein HR-IT-System haben?
Petra Knab-Hägele: Es kommt immer auf die Zielsetzung an. Mit dem EU Pay Transparency Act, der ab 2027 zum Tragen kommt, sollten sich Unternehmen schon jetzt auseinandersetzen. Betriebe mit über 250 Mitarbeitenden müssen erstmals für 2026 und dann jährlich das geschlechterspezifische Lohngefälle und Gehaltsspannen für Bewerber offenlegen sowie intern Auskunft zum Entgelt anderer Arbeitnehmer für gleichwertige Arbeit erteilen. Dafür ist die Basis zu schaffen, es müssen Konzepte entwickelt, Systeme und Prozesse implementiert und der Vergleich von Stellen und Entgelt ermöglicht werden. Auch die neue EU Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) fordert den Gender Pay Gap auszuweisen.
Das hat aber noch nichts mit KI zu tun …
Petra Knab-Hägele: Nein, die deskriptive Analyse ist eine Stufe der „Vorermittlung“ der Daten. Wollen Organisationen dagegen ein HR-Analytics-Modell aufbauen, ist es wichtig, die Ziele zu definieren: Was soll berichtet werden? Welche KPIs sind für das Unternehmen relevant? Welche Daten braucht es dafür? Wie muss die Struktur dafür aussehen? Wir können dabei unterstützen, die Daten zu identifizieren, und die HR-Abteilung dabei begleiten, die regulatorischen Anforderungen als Chance zur Gestaltung zu sehen.
Jennifer S. Schulz: Bei aller Last aus der Bewältigung eines solchen in der Regel eher aufwendigen Schritts sollten die Potenziale klar und wiederholt kommuniziert werden. Menschen sind häufig veränderungsresistent. Aber gibt man ein klares Ziel vor, definiert machbare Meilensteine, schafft rasch erste Quick Wins und bleibt auch bei Rückschlägen zuversichtlich im Sinne der Lösung, dann ist auch die Bereitschaft zur Mitarbeit gegeben.
Frau Knab-Hägele, Frau Schulz, vielen Dank für das Gespräch!
Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.

