Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) liegen im Wettbewerb um die besten Talente meist hinter großen Konzernen. Schließlich ziehen große Unternehmen mit bekannten Namen naturgemäß erst einmal mehr Aufmerksamkeit auf sich als KMU und zahlen höhere Gehälter. Gleichzeitig haben Recruiting-Teams in großen Unternehmen meist weitaus mehr finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung als die Recruiterinnen und Recruiter im Mittelstand. Doch es gibt Vorteile von KMU, welche diese im Recruiting nutzen sollten, um mithalten zu können – und an mancher Stelle die übermächtig erscheinende Konkurrenz sogar zu übertrumpfen.
Das geht jüngst erneut aus dem aktuellen Mittelstandsreport 2025 der Stepstone Group hervor. Demnach haben sich vier von fünf Fach- und Führungskräften schon einmal bei einem KMU beworben. Die Gründe dafür: Der Standort des Unternehmens mit der Nähe zum Wohnort hat überzeugt (56 Prozent), es gab dort spannende und sinnhafte Tätigkeiten und sie hatten das Gefühl, dort etwas bewirken zu können (44 Prozent). Auch attraktiv erschienen den Bewerbenden die flachen Hierarchien sowie der hohe individuelle Gestaltungsspielraum (41 Prozent) und die familiäre Atmosphäre im Unternehmen (39 Prozent).
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Der Stepstone Mittelstandsreport 2025
Für den Mittelstandsreport wurden in drei repräsentativen Online-Befragungen mehr als 12.000 Fach- und Führungskräfte sowie Recruiterinnen und Recruiter aus kleinen und mittelständischen Unternehmen befragt. Die Befragungen wurden in den Jahren 2023 und 2024 durchgeführt. Als KMU gelten in der Studie alle Unternehmen, die bis zu 250 Mitarbeitende haben, einen Jahresumsatz von bis zu 50 Millionen Euro verzeichnen und inhabergeführt sind.
Die Herausforderungen für KMU
Dem gegenüber stehen die Gründe für eine Nicht-Bewerbung – abgesehen von der Tatsache, dass KMU keine passende Stelle für die befragte Person angeboten haben. Gegen eine Bewerbung bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sprechen demnach vor allem die besseren Verdienstmöglichkeiten (44 Prozent), die höhere Jobsicherheit und Stabilität (33 Prozent), die besseren Aufstiegs- und Weiterbildungschancen (32 Prozent) sowie der attraktivere Standort (30 Prozent) von größeren Unternehmen.
Denn der oftmals ländliche Raum, in dem KMU häufig sitzen, ist nicht für alle Talente attraktiv. Das wiederum macht es für Recruiterinnen und Recruiter herausfordernd, einen großen Pool an potenziellen Bewerbenden zu kreieren. Es sei schwierig, Kandidatinnen und Kandidaten mit relevanten Fähigkeiten zu finden und noch schwieriger, den Gehaltsforderungen von Talenten gerecht zu werden. 69 Prozent von ihnen finden es herausfordernd, eine attraktive Arbeitgebermarke aufzubauen.
Fokus auf Alleinstellungsmerkmale: Das sollten KMU betonen
So sehr es nötig ist, sich den Herausforderungen bewusst zu sein, ist der Fokus auf die Nachteile nicht unbedingt förderlich fürs Recruiting. Vielmehr sollten sich die Recruiterinnen und Recruiter laut Stepstone-Arbeitsmarktexperte Tobias Zimmermann auf ihre Vorteile gegenüber Großkonzernen fokussieren. „Mittelständische Unternehmen haben mit ihrer nahbaren Unternehmenskultur ein echtes Alleinstellungsmerkmal: Hoher Gestaltungsspielraum, kurze Entscheidungswege und familiäre Atmosphäre schaffen ein Arbeitsumfeld, in dem sich viele Arbeitnehmende besonders wohlfühlen“, fasst Zimmermann zusammen. Und genau diese Punkte gelte es beim Employer Branding und im Recruiting zu betonen.
Das hat Claudio Ingendaay, Employer-Branding-Berater für den Mittelstand, schon vor rund vier Jahren in einem Linkedin-Blog beschrieben: „KMU müssen das tun, was auch sonst ihre Stärke ist: eine Nische besetzen.“ Und diese Nische heiße im Recruiting: „Hier gibt es Arbeit mit Sinn, glaubwürdig gelebte Werte und ein Unternehmen, in dem der Einzelne zählt.“ Warum Mitarbeitende dies im Mittelstand meist mehr spüren als in Konzernen? Sie würden enger am Endprodukt arbeiten und deshalb eher die Reaktionen der Kunden mitbekommen. Zudem würde in vielen KMU durch eine flache Hierarchie mehr auf Augenhöhe zusammengearbeitet werden und die „berufliche Heimat“ sei spürbarer. Mit letzterem meint Ingendaay: „Wer will schon ein Rädchen im Getriebe sein? Aber je größer ein Unternehmen ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sich so fühlt. In KMU lässt sich die Bedeutung des Einzelnen für den Erfolg aller zeigen und erleben.“
HR-Handwerk, das in KMUs Verbesserungsbedarf hat
Neben dem Highlighten dieser Aspekte gibt Stepstone im Mittelstandsreport Recruiterinnen und Recruitern in KMU noch drei weitere Handlungsempfehlungen mit: Sie könnten mehr in Active Sourcing investieren, Recruiting-Prozesse stärker automatisieren und Stellenanzeigen besser gestalten.
Aktuell sprechen laut dem Report nur 44 Prozent der KMU Kandidatinnen und Kandidaten aktiv bezüglich Jobangeboten an. Laut den befragten Recruiterinnen und Recruitern liegt das vor allem an einem begrenzten Budget, an fehlender menschlicher Interaktion, an technischen Hürden und an fehlenden Schulungen.
Recruiterinnen und Recruiter in kleinen und mittelständischen Unternehmen verbringen laut der Stepstone-Analyse etwa ein Viertel ihrer Arbeitszeit mit administrativen Aufgaben, die automatisiert werden können. Dazu gehören etwa die Durchsicht von Bewerbungsunterlagen, der Erstkontakt mit den Kandidatinnen und Kandidaten, die Formulierung von Stellenanzeigen sowie die Terminplanung für Bewerbungsgespräche.
Bezüglich der Stellenanzeigen raten die Stepstone-Expertinnen und -Experten KMUs auf klare Gehaltsangaben, eine Beschreibung der Unternehmenswerte und -kultur, eine authentische Ansprache sowie die Darstellung von Benefits zu setzen. Denn diese Elemente würden die Attraktivität der Stelle erhöhen.
Die Recruiting-Strategie des Softwareentwicklers orgaMAX enthält viele dieser Punkte. So setzt der Mittelständler laut Eduard Bergmann, People & Culture Manager, auf die direkte Ansprache und Corporate Influencing in den sozialen Medien. In Posts geben Corporate Influencer persönliche Einblicke in den Arbeitsalltag, vermitteln Unternehmenswerte wie Offenheit, Teamarbeit und Transparenz und zeigen auch HR-Trends auf. Hier setzt das Team auch auf Community-Management und die aktive Ansprache: „Die persönliche Ansprache über Kommentare oder Direktnachrichten schafft Wertschätzung und Vertrauen“, sagt Bergmann.
Eine schnelle und transparente Kommunikation spiele im gesamten Recruiting-Prozess eine große Rolle. „Wir versuchen frühzeitig die Erwartungen auf beiden Seiten abzugleichen“, sagt der Personaler. Und hierbei seien – wie auch von der Stepstone-Studie erkannt – Gehaltsvorstellungen oftmals eine Herausforderung. Das Unternehmen sehe darin allerdings die Gelegenheit, die Vorteile, die es bietet, gezielt hervorzuheben. „Neben einer fairen Vergütung setzen wir auf ein breites Gesamtpaket, das flexible Arbeitszeiten, Homeoffice-Möglichkeiten, gezielte Weiterbildungen und individuelle Entwicklungsperspektiven umfasst“, so Bergmann. Seiner Erfahrung nach seien gerade diese „weichen Faktoren“ etwas, das Talente sehr schätzen.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.

