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Lebenslauf: Sebastian Harrer – ein Denker als Bänker

Personalwirtschaft: Du wolltest eigentlich in Philosophie habilitieren, bist dann in die Wirtschaft gewechselt. Wie kam es dazu?
Sebastian Harrer: Der Traum, Professor zu werden, zerplatzte recht schnell, als ich merkte, was das bedeuten würde: viel lesen, viel schreiben und veröffentlichen. Was mich aber reizte, war Studierende auf ihrem Weg zu begleiten. Und in ähnlicher Form findet sich das auch in der Personalarbeit wieder – die Entwicklung von Menschen und Organisationen. Zu dem Themenvorschlag meiner Doktorarbeit, der Zusammenhang zwischen Emotion und Motivation, sagte mein Doktorvater damals: „Damit werden Sie nichts in der akademischen Welt.“ Ich wusste aber natürlich schon, dass ich eine andere Richtung einschlagen werde.

Welche zentralen Lehren aus Ausbildung und Studium haben Dir im Berufsleben wirklich weitergeholfen?
Unter anderem habe ich durch die Philosophie gelernt, welche Bedeutung die Themen Werte und menschliche Identitäten im Leben haben. In dem wirtschaftswissenschaftlichen Teil meines Studiums ging es natürlich um Effizienz eines Betriebs, aber durch die Kombination beider Fächer hatte ich früh einen Blick für den gesellschaftlichen Wert eines Unternehmens. Beides hat eine Relevanz.

Du warst zwölf Jahre lang bei der Bosch Gruppe in verschiedenen Positionen und Stationen tätig. Wie schwer fiel es Dir, zu gehen?
Das war nicht schwer. Ich habe dort eine lehrreiche, abwechslungsreiche Zeit verbracht und konnte in den unterschiedlichen Rollen viel bewegen.

Was reizte Dich an dem Jobwechsel zur Bank ING – einem Unternehmen, das nicht zum produzierenden Gewerbe gehört wie Bosch?
Ich wollte HR in einem anderen Kontext erleben. Mich interessieren spannende Geschäftsmodelle. Daher würde ich niemals sagen, dass mir nur Industrie, Handel oder eben auch Banking gefällt. Die ING hat 2016 global eine digitale Plattformstrategie ins Leben gerufen. Der CEO in Deutschland, Nick Jue, wollte gleich mit Antritt etwas verändern, eine vollständig agile Bank schaffen und er suchte jemanden, der das mit ihm machte. Das hat mich angesprochen.

Der tabellarische Lebenslauf von Sebastian Harrer.

Was war das Schwierigste für Dich an dieser Transformation zum Agilen?
Eigentlich war daran alles schwierig. Aber insbesondere, das Thema Kulturveränderung auf eine konstante und nachhaltige Art anzutreiben. Bei solchen Mammutaufgaben hilft mir mein langes Studium der Philosophie immer wieder – nämlich dabei, eine Frage nicht zu vergessen: Warum machen wir das eigentlich, und wo wollen wir hin?

Mit welchem Vorurteil zur Agilität würdest Du gerne aufräumen?
Viele denken, Agilität bedeute, dass es chaotisch ist und jeder macht, was er will. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt ganz klare Rollen und Routinen. Das Reflektieren nach kurzen Zyklen – die sogenannten Retros – können dafür sorgen, dass die Mitarbeitenden und auch das Unternehmen viel weniger im Dunklen tappen. Bei vielen anderen Arbeitsweisen gibt es dieses iterative Feedback nicht.

Wo liegen Deine Talente?
Chancen für eine Organisation erkennen und Menschen dann ermuntern, sich gemeinsam auf den Weg zu machen.

Welches HR-Thema beschäftigt Dich derzeit am meisten?
Bei allen Trends und Herausforderungen für HR, die es derzeit so gibt, komme ich gedanklich immer auf den Punkt der Vielfalt in der Arbeitswelt. Das beginnt schon bei crossfunktionalen Teamstrukturen, in denen der IT-Experte mit der Social-Media-Managerin zusammenarbeitet. Oder die Tatsache, dass in vielen Unternehmen vier verschiedene Generationen unter einem Dach „leben“. Dass wir heute von hybrider Arbeit und eben nicht nur von einer Arbeitsweise sprechen, zeigt, dass es überall Vielfalt gibt. Und Diversity ohne Inclusion: Das gibt Zoff. Ich sehe es als größte Herausforderung und wichtigste Aufgabe der Personalarbeit, Führungskräfte und Mitarbeitende dazu zu befähigen, eine inklusive Arbeitskultur für diese vielfältigen Elemente zu schaffen.

Was machst Du am liebsten, wenn Du abschalten möchtest?
Ich koche und esse sehr gern. Die Geselligkeit genieße ich sehr. Und ich mache Yoga, um kognitiv wie körperlich wieder in Balance zu kommen.

Wie würdest Du Dich in drei Adjektiven umschreiben?
Weltoffen, neugierig, veränderungsbereit.

Info

Gesine Wagner ist hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik und ist Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem schreibt Sie über Recruiting und Employer Branding.