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Mehr sachgrundlos befristete Verträge – trotz Fachkräftemangel

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Ungeachtet des Fachkräftemangels ist der Anteil der ohne Sachgrund befristeten Arbeitsverträge an allen Befristungen im Jahr 2023 weiter gestiegen. Sachgrundlose Befristungen hatten einen Anteil von 56,5 Prozent. Im Jahr 2021 waren es nur 55,7 Prozent. Insgesamt waren im vergangenen Jahr 1,3 Millionen Arbeitsverträge sachgrundlos befristet. Das sind etwa 55.000 weniger als 2021. 

Die Zahl der sachgrundlosen Befristungen bei Neueinstellungen stagnierte weitgehend, bleibt jedoch hoch: Wurden 2021 63,4 Prozent aller neuen befristeten Arbeitsverträge ohne Sachgrund abgeschlossen, lag ihr Anteil 2023 mit 63,2 Prozent fast genauso hoch. Allerdings stieg die absolute Zahl der sachgrundlos befristeten Neueinstellungen um rund 50.000 auf 665.000 (2023). 

Die Zahlen gehen aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Susanne Ferschl hervor. Das Ministerium stützt sich dabei auf Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. 

Besonders häufig schließt die Privatwirtschaft befristete Verträge mit Mitarbeitenden, ohne einen Sachgrund anzugeben (71,8 Prozent an allen befristeten Verträgen 2023 gegenüber 69,2 Prozent 2021), wie das Ministerium schreibt. Überdurchschnittlich hohe Befristungsquoten gibt es für Angehörige akademischer Berufe sowie für Hilfskräfte. Zudem gibt es in den Bereichen Gesundheit und Soziales, Erziehung und Unterricht, im verarbeitenden Gewerbe, im Handel und in der Instandhaltung und Kfz-Reparatur überdurchschnittlich viele befristete Anstellungsverhältnisse

Im öffentlichen Dienst dagegen nahm der Anteil befristeter Verträge deutlich ab, von 33,3 Prozent 2021 auf 23,2 Prozent im vergangenen Jahr. Das könnte auch daran liegen, dass der Koalitionsvertrag ohnehin vorsieht, die Möglichkeit der sachgrundlos befristeten Verträge im öffentlichen Dienst schrittweise zu reduzieren. Ursprünglich wollte Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD die Möglichkeit, befristete Verträge abschließen zu können, deutlich erschweren.  

Befristungen nur in bestimmten Fällen  

Bei einem Arbeitsvertrag mit sachgrundloser Befristung gibt der Arbeitgeber keine nachvollziehbare Begründung, etwa eine Elternzeitvertretung, an. Das geht jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen, die §14 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) regelt.  

Grundsätzlich sind drei Arten der sachgrundlosen Befristung möglich: 

  1. Bei einer kalendermäßigen sachgrundlosen Befristung darf zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung noch kein gemeinsames Arbeitsverhältnis bestanden haben – auch nicht vor mehreren Jahren. Grundsätzlich darf die maximale Befristungsdauer zwei Jahre nicht überschreiten. Innerhalb dieses Zeitraums darf der Arbeitgeber die sachgrundlose Befristung bis zu dreimal verlängern, sofern die einzelnen Arbeitsverträge nahtlos ineinander übergehen. Eine zeitliche Unterbrechung von nur einem Tag macht eine weitere sachgrundlose Befristung unwirksam. 
  1. Ein neu gegründetes Unternehmen kann innerhalb der ersten vier Jahre Arbeitsverträge im Rahmen der kalendermäßig sachgrundlosen Befristung vereinbaren. Aufgrund der besonderen Situation, in der sich neu gegründete Unternehmen befinden, verlängert sich die maximale Befristungsdauer auf vier Jahre. Eine mehrfache nahtlose Verlängerung innerhalb dieses Zeitraums ist möglich, sofern der Arbeitnehmer bisher in keinem unbefristeten oder befristeten Arbeitsverhältnis stand. 
  1. Bei der Neueinstellung eines Arbeitnehmers ab dem 52. Lebensjahr ist die sachgrundlose Befristung ebenfalls möglich. Die Gesamtdauer dieser Arbeitsverhältnisse beträgt maximal fünf Jahre. Voraussetzungen dafür sind, dass der ältere Arbeitnehmer mindestens vier Monate beschäftigungslos war und entweder Transferkurzarbeitergeld bezogen oder an einer öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahme teilgenommen hat. 

Arbeitgeber schätzen Flexibilität bei Befristungen 

Sachgrundlose Befristungen sind seit Jahren umstritten und auch im derzeitigen Arbeitskräftemangel nicht immer nachvollziehbar. Bisher nutzten viele Arbeitgeber sie vor allem, um in konjunkturellen Schwächephasen den Personaleinsatz flexibel planen zu können. Wie lange sie Mitarbeitende beschäftigen können, können sie in einer solchen Lage vorab nicht sicher abschätzen.  

Das bestätigt eine Sprecherin des Automobilherstellers Porsche: „Befristete Arbeitsverträge geben uns Flexibilität in der Personalplanung. Sie ermöglichen es uns, schnell und frühzeitig auf verschiedene Situationen zu reagieren – sei es für Vertretungen während der Elternzeit oder bei kurzfristigen Schwankungen in der Produktion.“ Das Stuttgarter Unternehmen sieht befristete Arbeitsverhältnisse – ob mit oder ohne Sachgrund – auch als Chance, für Talente, um zu einer Festanstellung zu kommen. Das heißt, ein befristetes Arbeitsverhältnis kann später in ein unbefristetes münden. 

Auch beim Südwestrundfunk (SWR) können nach Angaben eines Unternehmenssprechers befristete Positionen den Einstieg in eine dauerhafte Beschäftigung ermöglichen. Nach eigenen Angaben erhält das Medienhaus auch auf Ausschreibungen mit sachgrundloser Befristung Bewerbungen. „Das zeigt, dass junge Talente und Neueinsteiger sachgrundlos befristete Verträge nicht nur als unsicher und unattraktiv wahrnehmen, sondern gegebenenfalls auch als Chance, wertvolle Erfahrungen zu sammeln und ihren Lebenslauf erweitern zu können“, so der SWR-Sprecher. Auch wenn in Einzelfällen sachgrundlose Befristungen im dynamischen Medienumfeld weiterhin wichtig seien, spielten sie für den SWR zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle.

Ähnlich ist es bei Radio Bremen, einer weiteren Landesrundfunkanstalt der ARD. Der Radiosender nimmt nach eigenen Angaben im Bereich der Festanstellungen gar keine sachgrundlosen Befristungen vor. „Befristungen ergeben sich nur dort, wo es Gründe gibt, beispielsweise bei Krankheits-, Urlaubs- oder bei Elternzeiten oder im Rahmen von Projekten“, heißt es auf Anfrage.

Befristungen sind umstritten 

Gewerkschaften werfen den Arbeitgebern vor, durch die Befristungen den Kündigungsschutz zu umgehen. Sie gehen davon aus, dass Arbeitgeber befristete Verträge auch unabhängig von der Konjunkturlage nutzen, um Beschäftigte leichter wieder loswerden zu können. Ein Hinweis darauf ist der hohe Anteil der Befristungen bei Neueinstellungen. Mehr als ein Drittel der neu eingestellten Talente, darunter vor allem Berufseinsteiger, werden nur befristet eingestellt.  

Auch die Gruppe Die Linke im Bundestag kritisiert, dass Befristungen gute Arbeit verhindern und Unsicherheit fördern würden. Sie sehen Befristungen als „legales Instrument zur Umgehung von Arbeitsrechten“ und fordern, das Teilzeit– und Befristungsgesetz zu ändern, so dass es keine Möglichkeit gibt, einen Arbeitsvertrag sachgrundlos zu befristen. 

Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersvorsorge. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das Magazin "Comp & Ben". Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.