Der Übergang von der Schule in Ausbildung oder Studium gelingt jungen Menschen hierzulande erst nach Umwegen oder gar nicht. Das zeigt eine aktuelle Studie, die die Universität Göttingen und die Helmut-Schmidt-Universität Hamburg im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführt haben. Auf Basis der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) wurden die nachschulischen Bildungswege von 7.168 Personen analysiert.
Derzeit hat mehr als jeder oder jede siebte Deutsche (15,5 Prozent) im Alter von 20 bis 34 Jahren weder einen Ausbildungs- oder Studienabschluss noch befindet er oder sie sich in Ausbildung. Das Phänomen ist nicht neu: Laut Daten des Mikrozensus 2020 verfügen von den 30- bis 64-Jährigen rund 14 Prozent und damit fast genauso viele nicht über einen Abschluss. Die Tendenz ist jedoch steigend und die Studienautoren befürchten, dass der Anteil aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise auf das Bildungswesen noch weiter zunimmt.
Ein Fünftel startet mit Verzögerung
Weniger als ein Drittel der Jugendlichen (29 Prozent) in Deutschland münden nach der Schule direkt in stabile Ausbildungsverläufe ein. In stabile Studienverläufe gehen 28 Prozent über. Bei 19 Prozent verzögert sich die Aufnahme von Ausbildung oder Studium ungewollt um ein bis zwei Jahre aufgrund von Problemen, im ersten Anlauf die passende Ausbildung oder das richtige Studium zu finden. Hier zeigen sich Unterschiede zwischen Schulabschluss und Geschlecht. Am häufigsten verspätet sich der Eintritt in eine Ausbildung bei jungen Menschen mit maximal einem Hauptschulabschluss, auch junge Frauen sind häufiger betroffen.
Problematischer als die verzögerte Aufnahme von Ausbildung oder Studium sind instabile Ausbildungsverläufe. Mit 15 Prozent hat etwa jeder oder jede siebte Jugendliche vier Jahre nach Verlassen der Schule noch nicht einmal den Einstieg in eine Lehre geschafft oder sie nach kurzer Zeit wieder abgebrochen. Instabile Verläufe sind bei Frauen mit maximal einem Hauptschulabschluss am höchsten; fast jede zweite (47 Prozent) ist betroffen. Aber auch bei Männern ist der Anteil mit gut einem Drittel (36 Prozent) hoch.
Instabile Ausbildungsverläufe durch soziale Vererbung
Weitere Risikofaktoren sind ein niedriger sozioökonomischer Status und ein niedriges Bildungsniveau der Eltern, ein Migrationshintergrund sowie Klassenwiederholungen in der allgemeinbildenden Schullaufbahn. Junge Frauen wie Männer mit maximal Hauptschulabschluss und instabilen Verläufen stammen zu zwei Fünfteln aus den unteren sozialen Schichten – ein Effekt der „sozialen Vererbung“, so die Studie. Diese Art der Bildungsbenachteiligung sei hierzulande seit langem als bildungspolitisches Problem bekannt, das nicht überwunden wurde. Jenseits dieser Studie bestätigen auch OECD-Berichte seit Jahren, dass in Deutschland die soziale Herkunft stärker als anderswo die Bildungschancen und damit den späteren sozialen Status bestimmt.
Insgesamt hat vier Jahre nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule weniger als die Hälfte (43 Prozent) der Deutschen einen ersten Abschluss erworben. Ein schneller Übergangs von der Schule in Ausbildung oder Studium und in den Beruf ist also keineswegs der Normalfall. Die Erkenntnisse seien alarmierend, so die Studie.
„Diese Zahlen bedeuten, dass angesichts von rund 750.000 Schulabgängern und Schulabgängerinnen jährlich mehr als 100.000 junge Menschen das Risiko haben, langfristig ohne Berufsabschluss zu bleiben“,
sagt Bertelsmann-Ausbildungsexpertin Claudia Burkard. Ungelernte hätten schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt, damit geringe Einkommen, wenig Aufstiegschancen und später eine knappe Rente.
Einstieg in Ausbildung und Studium durch bildungspolitische Maßnahmen fördern
Die Studie sieht daher Handlungsbedarf. Was die verzögerte Einmündung in Ausbildung oder Studium betrifft, müsse alles darangesetzt werden, mit bildungspolitischen Interventionen einen direkten Einstieg in Ausbildung und Studium zu unterstützen. Dies, so Burkard, könne eine staatliche Ausbildungsgarantie leisten, denn sie schaffe die rechtliche Grundlage dafür, dass alle ausbildungswilligen Jugendlichen ein Ausbildungsangebot erhalten. Als weitere sinnvolle Maßnahmen nennt die Studie die Einführung bildungsbereichsübergreifender Beratungsstellen in ganz Deutschland.
Die Studienergebnisse stehen hier als Download zur Verfügung.
Ute Wolter ist freie Mitarbeiterin der Personalwirtschaft in Freiburg und verfasst regelmäßig News, Artikel und Interviews für die Webseite.