Streiten ein Beschäftigter und sein Arbeitgeber vor Gericht um eine Kündigung wegen (mutmaßlichen) Arbeitszeitbetrugs, gilt dabei für Videoaufnahmen ein sogenanntes Beweisverwertungsverbot. Das hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen entschieden. Das Gericht stellte zudem klar, dass Kameras am Eingang zum Betriebsgelände zur Arbeitszeitkontrolle “in der Regel weder geeignet noch erforderlich” seien.
Stein des Anstoßes für den Prozess waren anonyme Meldungen in einem firmeninternen Hinweisgebersystem des Arbeitgebers, wonach mehrere Mitarbeiter einer Abteilung in dem Unternehmen regelmäßig Arbeitszeitbetrug begangen haben sollen. Auch dem späteren Kläger wurde unter anderem zur Last gelegt, unerlaubt einen Kollegen eingestempelt und selbst eine Nachschicht geschwänzt sowie mehrfach vor Schichtende das Betriebsgelände verlassen zu haben. Als das Unternehmen ihm daraufhin fristlos kündigte, legte der Mann Kündigungsschutzklage ein – und war damit vor dem Arbeitsgericht Hannover erfolgreich, was nun vom LAG bestätigt wurde.
Wie die Kammer entschied, ist die fristlose Kündigung unwirksam, weil die mutmaßlichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers “nicht erwiesen sind und auch kein hinreichend dringender Verdacht für ihre Begehung” bestünde.
Persönlichkeitsrechte und Beweisverwertungsverbot
Zwar habe das Unternehmen dem Gericht sogenannte Logfiles der Kartenleser für die elektronische Anwesenheitserfassung am Werkstor vorlegen wollen. Diese seien aber im Prozess nicht zu berücksichtigen, da eine geltende Betriebsvereinbarung vor Ort festlegt, dass dort “keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolgt”.
Auch Bildmaterial von Kameras könne nicht berücksichtigt werden, so das LAG weiter. Denn auf Hinweistafeln der Firma heiße es, die entsprechenden Aufzeichnungen würden nur vier Tage aufbewahrt. Wenn nun aber über ein Jahr alte Videos vorlegt würden, werde gegen die entsprechende Selbstbindung “eklatant verstoßen” und die “berechtigte Privatheitserwartung” des Klägers verletzt. Überdies sei damit gegen die Grundsätze von Datensparsamkeit und -minimierung verstoßen worden.
Doch selbst wenn dies hier nicht der Fall wäre, dürfe das Bildmaterial im Prozess nicht verwendet werden, sondern unterliege einem Beweisverwertungsverbot. Videoüberwachung und -aufzeichnung am Werktor sei hier zur Arbeitszeitkontrolle “nicht angemessen” und “nicht erforderlich”. Denn die Arbeit beginne laut eigener Arbeitsordnung des Unternehmens nicht bereits mit Betreten des Betriebsgeländes.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde Revision zugelassen.
Info
Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 06.07.2022 (Az.: 8 Sa 1148/20).
(Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits auf unserer Schwesterseite betriebsratspraxis24.de.)
Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem BetriebsratsPraxis24.de, unser Portal für Mitbestimmung.