Das Grundgesetz feiert 75. Geburtstag. Seit es am 23. Mai 1949 verkündet wurde, prägt es nicht nur das gesellschaftliche und politische Zusammenleben in Deutschland, sondern auch unser Wertesystem und ist die Basis unter anderem für die herrschende Meinungs- und Redefreiheit. Grund genug auch für die HR-Szene, das Gesetz zu feiern.
Etwa auf Linkedin: „Gerade im Bereich des Recruitings zeigt sich deine Bedeutung besonders deutlich“, schreibt der HR-Influencer Wolfgang Brickwedde in einer Art Brief ans Grundgesetz. Denn die deutsche Verfassung schaffe die Rahmenbedingungen, in denen Chancengleichheit und Fairness garantiert werden. „Happy Birthday, Grundgesetz!“, wünscht auch Jenny Zeller, Vorständin für Personal und Soziales bei den Berliner Verkehrsbetrieben. Sie bricht außerdem eine Lanze für die Demokratie und spricht sich gegen Hetze und Populismus aus. Eva Stock, Chief People & Marketing Officer beim Softwareentwickler comspace, nimmt das Jubiläum zum Anlass, um zur Teilnahme an der anstehenden Wahl des Europäischen Parlamentes aufzurufen.
Das Interesse der Szene ist begründet, schließlich haben insbesondere die sogenannten Grundrechtsartikel zentrale Bedeutung für das Arbeitsleben und den Umgang miteinander in den Betrieben. Doch was sind zentrale Punkte des Grundgesetzes, die das Arbeitsrecht beeinflussen?
Drei Beispiele, wie das Grundgesetz das Arbeitsrecht beeinflusst
Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG)
Dieser Artikel garantiert die Gleichheit vor dem Gesetz und das Verbot der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöser oder politischer Anschauungen. Im Arbeitsrecht bedeutet dies, dass keine Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz stattfinden darf und Gleichbehandlung sichergestellt werden muss.
Vor allem letzteres war nicht immer so. Erst 1958 trat das sogenannte Gleichberechtigungsgesetz in Kraft, durch das der Ehemann das „Letztentscheidungsrecht“ verloren hat. Frauen konnten nun beispielsweise auch gegen den Willen ihres Mannes einen Führerschein machen, ein Konto eröffnen oder arbeiten gehen, solange sie Mann und Kinder nicht vernachlässigten. Mit dem Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts wurde schließlich 1977 eine vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe abgeschafft.
Bis zur gesetzlich festgeschriebenen Gleichbehandlung am Arbeitsplatz mussten allerdings noch Jahre vergehen. Frauen dürfen erst seit 1980 weder bei der Einstellung, der Entlohnung noch beim beruflichen Aufstieg benachteiligt werden. Sanktioniert werden Arbeitgeber, die dem nicht nachkommen, allerdings erst seit 1994. Seitdem ist das „Zweite Gleichbehandlungsgesetz“ in Kraft. Seit 2006 trägt auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Diskriminierung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen Rechnung.
Ganz praktisch relevant ist das Gesetz auch bei der Formulierung von Stellenausschreibungen. So entschied das Arbeitsgericht Heilbronn in diesem Jahr beispielweise, dass die Formulierung „Digital Native“, die Menschen bezeichnet, die im Digitalzeitalter aufgewachsen und im Umgang mit digitalen Technologien geübt sind, altersdiskriminierend ist. In diesem Fall lag zwar ein eindeutiger Beweis für eine Diskriminierung vor, das ist allerdings nicht immer so. Generell gilt dabei laut § 22 AGG folgender Grundsatz: Wenn Beschäftigte oder Sich-Bewerbende im Prozess Indizien vorbringen, die eine Benachteiligung vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Berufsfreiheit (Art. 12 GG)
Artikel 12 GG garantiert die Freiheit der Berufswahl und der Berufsausübung. Dies bedeutet, dass jeder das Recht hat, seinen Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Beschränkungen sind nur durch Gesetz und aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls zulässig. Dies schützt Arbeitnehmer vor willkürlichen Beschränkungen bei der Ausübung ihres Berufs und sichert ihnen eine gewisse Freiheit in der beruflichen Betätigung.
In arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen geht es dabei in der Regel darum, ob eine Beschränkung der Berufsfreiheit eben „zwingende Gründe“ hat und damit zulässig ist – oder nicht. Ein Beispiel für eine gerechtfertigte Einschränkung durch ein Gericht ist die Impfflicht für Arbeitnehmende in Pflegeberufen im Zuge der Corona-Pandemie. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte sie im Jahr 2022, obwohl diese die Berufsfreiheit beeinträchtigt. Die Richterinnen und Richter rechtfertigten ihre Entscheidung durch den gesteigerten Schutz von gefährdeten Menschen.
Dabei spielte der Schutzaspekt von Menschenleben nicht zum ersten Mal eine Rolle bei einer einschneidenden Entscheidung zur Berufsfreiheit. So stellte der Europäische Gerichtshof 2017 fest, dass die Altersgrenze von 65 Jahren für Piloten aus Sicherheitsgründen richtig sei. Denn die Einschränkung verstoße in diesem Fall nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG)
Artikel 9 schützt die Freiheit, Vereinigungen zu bilden, einschließlich Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Dies ist die Grundlage für das kollektive Arbeitsrecht in Deutschland und ermöglicht Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfe.
Vor allem in den vergangenen Monaten gab es davon viele, wie man unter anderem in unserem Tarifticker lesen kann. Doch gilt dieses Recht im arbeitsrechtlichen Kontext nicht grenzenlos. So ist etwa „das Streikrecht nicht um seiner selbst Willen geschützt, sondern nur als Mittel zum Zweck des Abschlusses von Tarifverträgen“, zitieren wir in einem Beitrag dazu ein Papier des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Daher ist zum Beispiel ein sogenannter Klimastreik auch kein Streik im gesetzlichen Sinne, genauso wie „Bauernproteste“ juristisch anders anzusehen sind.
Und auch im Tarifrecht, dessen Basis in diesem Artikel des Grundgesetzes festgeschrieben steht, gibt es immer wieder Bewegung. Das zeigt auch die letzte maßgebliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Tarifeinheitsgesetz von 2022. Der EuGH bestätigte das Gesetz und verwarf damit die Rechtsauffassung mehrerer Spartengewerkschaften . Es regelt, dass, wenn sich verschiedene im Betrieb vertretenen Gewerkschaften mit dem Arbeitgeber nicht auf einen einheitlichen Tarifvertrag einigen, der Tarifvertrag der Gewerkschaft anwendbar ist, die die meisten Mitglieder hat.
Darüber hinaus wirken sich zahlreiche andere Artikel des Grundgesetzes auch auf das Arbeitsleben aus. So gelten die Menschenwürde aus Artikel 1 und die Meinungsfreiheit aus Artikel 5 natürlich auch im Betrieb – und können hier auch in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen relevant sein.
Tim Stakenborg war bis Sommer 2024 Redakteur bei der Personalwirtschaft.

