Wurden in der EU über Plattformen 2016 noch drei Milliarden Euro an Einnahmen generiert, waren es laut der Europäischen Kommission 2020 schätzungsweise bereits 20 Milliarden – bei mehr als 500 Plattformen und über 28 Millionen dort tätigen Arbeitskräften. Bis 2025 werden es voraussichtlich 43 Millionen sein.
Die Plattformökonomie deutet also nichts weniger als die Neuordnung der Arbeitswelt an. Um die neue Form der Organisation bezahlter Arbeit zum Nutzen aller zu gestalten, bedarf es jedoch noch einige Neuregelungen – denn obgleich sie den Verbraucherinnen, Verbrauchern und Arbeitnehmenden viele Vorteile bringt, sehen sich Letztere auch mit einer Reihe von Nachteilen konfrontiert. Aus arbeitsrechtlicher Sicht können diese nur mithilfe aller Beteiligten – Unternehmen, Institutionen und Politik – gelöst werden.
Arbeitsrechtliche Aspekte und Konsequenzen
Anders als beim klassischen Szenario, in dem Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen am Markt anbieten und dafür als Arbeitgeber für Arbeitnehmende fungieren, agieren die Plattformanbieter als Intermediäre. Sie erstellen kein Produkt oder eine Dienstleistung, sie vermitteln „nur“ zwischen den Akteuren – den Arbeitenden und den Verbraucherinnen und Verbrauchern – über eine digitale Infrastruktur, die Plattform. Das bedeutet, dass die Plattformarbeitskräfte fast immer als Selbstständige arbeiten. Aus arbeitsrechtlicher Sicht haben sie deshalb keinen beziehungsweise nur begrenzten Anspruch auf Arbeitsschutz, wie zum Beispiel den Zugang zu Sozialversicherungssystemen oder das Recht auf Tarifverhandlungen.
Laut der 2019 von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten Studie „Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork“ sind etwas mehr als drei Viertel der Plattformarbeitskräfte noch nicht abgesichert hinsichtlich Krankheit, Alter, Pflegefall und Sonstiges. Die fehlende soziale Absicherung wird in der genannten Studie auch als größter Nachteil für die in der Plattformökonomie Arbeitenden genannt. Dazu kommen zusätzlicher, häufig nicht bezahlter Arbeitsaufwand, Konkurrenzkampf durch die Vielzahl an Plattformarbeitenden, unklare Regelungen bei Streitigkeiten mit Auftraggebern, wenig Schutz gegen eine unfaire Behandlung, unfaire, unzureichende Entlohnung und fehlende Unterstützung bei Streitigkeiten, ständige Verfügbarkeit sowie keine festen Arbeitszeiten.
Plattformarbeitende sind stark auf ihre Aufträge angewiesen
Zudem sind Beschäftigung und Einkommen nicht stetig und oft nicht vorhersehbar. Gerade geringer qualifizierte Plattformarbeitende sind oftmals stark auf ihre Aufträge angewiesen, jedoch zugleich auch leicht ersetzbar, weshalb sie sich eher schwer von der Konkurrenz absetzen können. Die Flexibilität, die die Plattformarbeit mit sich bringt, kann daher nicht voll genutzt werden, da sie so gut wie jeden Auftrag annehmen müssen.
Prekäre Lohnverhältnisse und gegenseitiges Ausbeuten sind Folge des Wettbewerbsdrucks. Etwa 55 Prozent der Plattformarbeitenden in der EU verdienen weniger als den Nettomindeststundenlohn des jeweiligen Landes, in dem sie tätig sind. Zudem arbeiten sie in einer Woche durchschnittlich 12,6 Stunden bezahlt, während im Schnitt 8,9 Stunden Zeitinvest für unbezahlte Aufgaben wie die Suche nach Aufträgen anfallen. Zu den Vorteilen der Plattformarbeit zählen laut der Bertelsmann-Studie vor allem die „zeitliche Flexibilität“ und „ein netter Nebenerwerb“. Auch die Aspekte „Unabhängigkeit“, „eine schnelle Bezahlung“ und „Entscheidungsfreiheit“ stehen hoch im Kurs. Eine eher geringe Rolle spielt jedoch die Geldnot, dieser Faktor befindet sich auf dem letzten Platz.
Was getan wird – und was noch zu tun ist
Hinsichtlich der bereits genannten Aspekte ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich Plattformarbeitende vor allem eine bessere Absicherung, die Regulierung des Preiswettbewerbs auf den Plattformen, die Schaffung einer Interessenvertretung sowie eine Art TÜV für Plattformen (insbesondere in Bezug auf Fairness) wünschen. Als Letzterer agiert die in Oxford angesiedelte Fairwork Foundation. Sie arbeitete fünf Prinzipien für eine faire Arbeit über Plattformen aus: faire Bezahlung, faire Bedingungen, faire Verträge, faires Management und faire Vertretung.
Plattformen können sich an diesen Prinzipien orientieren und auf deren Grundlage auch objektiv bewertet werden. Zudem legte die Europäische Kommission im Dezember 2021 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit vor. Sie beinhaltet eine Liste von Kriterien, anhand derer bestimmt werden kann, ob es sich bei der Plattform um den Arbeitgeber handelt. Sind davon mindestens zwei erfüllt, so gilt sie rechtlich als Arbeitgeber.
Die Plattform als Arbeitgeber
Demnach wären etwa zwischen 1,7 und 4,1 Millionen Plattformarbeitende als Arbeitnehmende einzustufen. Sie hätten dann garantierte Ruhezeiten, bezahlten Urlaub, mindestens den landes- oder branchenweiten Mindestlohn, Sicherheits- und Gesundheitsschutz, Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Gesundheitsleistungen, Elternurlaub, Rentenleistungen und Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten.
Weiterhin werden in der Richtlinie die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmerstatus rechtswirksam ist und durchgesetzt wird, indem die Richtlinie in Verwaltungen und Gerichtsverfahren Anwendung findet und die Einhaltung der Richtlinien durch Plattformen kontrolliert wird. Zudem sollen Arbeitnehmende dann Informationen darüber erhalten, wie ihre Aufträge und Arbeit (algorithmisch) zugewiesen und bewertet werden.
Die Plattformanbieter müssen indes den nationalen Behörden Informationen über die Arbeitenden auf ihrer Plattform sowie die Geschäftsbedingungen zukommen lassen. Ziel der Richtlinie ist es, den Beschäftigungsstatus von Plattformarbeitenden korrekt zu bestimmen und ihnen den Zugang zu Rechten von Arbeitnehmenden und Sozialleistungen zu gewährleisten. Außerdem geht es darum, mehr Transparenz, Rechte und Rechenschaftspflichten in puncto algorithmisches Management auf den Plattformen zu schaffen, Tarifverhandlungen und den sozialen Dialog zu stärken sowie die Durchsetzung und Rückverfolgbarkeit der Arbeit zu verbessern. Auch auf nationaler Ebene finden diesbezüglich bereits Anhörungen statt. Hierzu gibt es jedoch noch einiges an Diskussionsbedarf, was die Ausgestaltung anbelangt.
Politik soll eine rechtliche Grundlage für die Plattformökonomie schaffen
Als Plattformanbieter sollte man sich jedoch nicht der Verantwortung entziehen, sondern sich bewusst als Mitgestalter einer fairen neuen Arbeitswelt positionieren. Es ist wichtig, dass über die Politik und Gesetzgebung eine klare rechtliche Grundlage geschaffen wird, um wirklich auf die Ansprüche und die veränderten Situationen der Arbeitnehmenden in der modernen Arbeitswelt eingehen zu können. Die Bemühungen zur Verbesserung der Bedingungen in der Plattformökonomie mittels der Richtlinie sind daher ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Doch auch Unternehmen sind natürlich in der Pflicht, selbst die Weichen mit zu stellen, um das Potenzial der Plattformökonomie ausschöpfen zu können und die Zukunft der Arbeit so flexibel und sicher wie möglich zu gestalten. Von Mindestlöhnen über das Arbeitszeitschutzgesetz bis hin zu Möglichkeiten, um Feedback zu geben, gibt es viele Ansatzpunkte, wie Plattformanbieter im Austausch mit Verbänden, Aufsichtsbehörden und Regierungen die Plattformökonomie letzten Endes zum Nutzen aller Teilnehmenden verändern können.
Autor
Frederik Fahning ist Mitgründer und Managing Director bei Zenjob in Berlin. Erreichen können Sie ihn unter: frederik.fahning@zenjob.com