Ein Arbeitgeber agiert widersprüchlich, wenn er einem Arbeitnehmer wegen angeblicher unzumutbarer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fristlos kündigt, diesem aber zugleich „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ für die Zeit des Kündigungsschutzprozesses die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Konditionen anbietet. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. In einem solchen Fall nämlich spreche „eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist“ (Az.: 5 AZR 255/22).
In dem Fall stritten eine Firma und ihr (vormaliger) technischer Leiter um die Wirksamkeit zweier Kündigungen und die Zahlung von Lohn wegen sogenanntem Annahmeverzug. Nachdem der Mann seit Sommer 2018 als sogenannter CTO in dem Unternehmen gearbeitet hatte, erhielt er Anfang Dezember 2019 eine fristlose Änderungskündigung, der zufolge er künftig als (einfacher) Softwareentwickler zu deutlich verringerten Bezügen arbeiten sollte.
Laut einer BAG-Mitteilung hieß es in dem Schreiben weiter, „im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 5. Dezember 2019 spätestens um 12 Uhr zum Arbeitsantritt“.
Als der Mann das Angebot dann ausschlug und auch nicht zur Arbeit kam, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis Mitte Dezember noch einmal – diesmal „außerordentlich zum 17. Dezember 2019 um 12 Uhr“. In diesem Dokument teilte die Firma ferner mit, „im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung“ erwarte man den Arbeitnehmer „am 17. Dezember 2019 spätestens um 12 Uhr zum Arbeitsantritt“. Darauf reagierte der Mann nicht, sondern ging vor Gericht.
War die Weiterbeschäftigung zumutbar? Und wenn ja, für wen?
Während die Vorinstanzen die beiden Kündigungen bereits für unwirksam erklärt hatten, stritten die Parteien in Erfurt nun noch um ausstehenden Lohn. Konkret forderte der ehemalige Arbeitnehmer, der zum April 2020 einen neuen Job gefunden hatte, „die Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalts abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes bis zum Antritt der neuen Beschäftigung“. Sein Argument: Die Firma habe sich angesichts der unwirksamen Kündigungen im Annahmeverzug befunden. Für ihn hingegen sei eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar gewesen, da ihm zuvor „zu Unrecht mannigfaches Fehlverhalten vorgeworfen und seine Person herabgewürdigt“ worden sei. Das sah das Unternehmen anders und argumentierte, der Mann habe die Arbeit während Prozesses ohne hinreichend Grund verweigert.
Der Fünfte Senat ließ diese Rechtsaufassung jedoch nicht gelten und entschied, dass sich der Beklagte aufgrund der unwirksamen fristlosen Kündigungen tatsächlich im Annahmeverzug befand, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Klägers bedurft hätte. Die komplette Begründung des BAG können Sie hier lesen.
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.03.2023 (Az.: 5 AZR 255/22).
Vorinstanz: Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts 01.11.2021 (Az.: 1 Sa 330/20).
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Eine Fassung dieses Beitrags ist zuerst bei unserem Schwesterportal BetriebsratsPraxis24.de erschienen.
Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem BetriebsratsPraxis24.de, unser Portal für Mitbestimmung.