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Deutschland debattiert über Leistungsbereitschaft

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Bürgerinnen und Bürger müssen mehr Leistungswillen zeigen. Diese Aussage wird in regelmäßigen Abständen von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Wirtschaft geäußert. Jüngst gesellte sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zu der Reihe der Befürworter dieses Gedankens und verkündete auf dem Weltwirtschaftsgipfel: Zur Stärkung der schwächelnden Wirtschaft brauche es in Deutschland mehr Leistungsbereitschaft. „Wir müssen über mentalitätspolitische Standortfaktoren sprechen“, wird Lindner von Medien zitiert.

Einzelne Stimmen aus der Wirtschaft schließen sich ihm an. So etwa der Vorsitzende der Bosch-Geschäftsführung Stefan Hartung: „Alleine durch Genialität wird man es nicht schaffen, man muss auch schwitzen“, sagte er. Doch was genau heißt schwitzen? Oftmals fehlt in der Debatte um die Leistungsbereitschaft in Deutschland eine Definition eben dieses Begriffs. Ist mit Leistungsbereitschaft gemeint, dass Menschen motiviert sind, eine Beschäftigung aufzunehmen und zu halten? Oder wird mit dem Begriff das Engagement bezeichnet, mit dem sie ihrer Arbeit nachgehen? Und was bedeutet Engagement in diesem Sinne: viele Arbeitsstunden leisten oder innerhalb der offiziellen Arbeitszeit die Extrameile gehen? Diese Fragen bleiben bisher in den meisten öffentlichen Debatten rund um Leistungsbereitschaft ungeklärt.

In der Wahrnehmung vieler hat die Leistungsbereitschaft abgenommen

Eine aktuelle repräsentative Datenerhebung des Instituts für Demografie Allensbach, über die in der F.A.Z. berichtet wurde, hat in einer Befragung von 1018 Personen Zahlen ermittelt, welche die wahrgenommene Leistungsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung beschreiben. Demnach glaubt die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, dass die Bereitschaft, im Beruf Einsatz zu zeigen, in den vergangenen Jahren abgenommen hat (55 Prozent). 33 Prozent glauben, dass die Einsatzbereitschaft stabil geblieben ist und drei Prozent denken, sie hat sich gesteigert (10 Prozent haben sich enthalten).

Auffallend ist für die Allensbach-Analystinnen und -Analysten, dass besonders Menschen aus sozial schwächeren Schichten beobachtet haben, dass die Einsatzbereitschaft zurückgeht. 67 Prozent von ihnen stimmen der Aussage „Diejenigen, die viel arbeiten und sich anstrengen, sind die Dummen“ zu. In der mittleren sozialen Schicht sind das 55 Prozent und in der höheren 38 Prozent.

Hinter der wahrgenommenen geringen Einsatzbereitschaft könnte laut den Allensbach-Analystinnen und -Analysten der geringe Abstand zwischen dem Erwerbseinkommen und der staatlichen Unterstützung wie dem Bürgergeld sowie der Zahlung von Miet- und Heizkosten liegen. Sie rechnen vor: Eine vierköpfige Familie, in der die Eltern arbeitslos und die Kinder im jugendlichen Alter sind, hat Anspruch auf eine staatliche Unterstützung von 3.200 bis 2.500 Euro monatlich. Das sei zu nah an dem Erwerbseinkommen von Geringverdienerinnen und -verdienern dran. Das zumindest sehe auch ein Großteil der deutschen Bevölkerung so (70 Prozent).

Was ist wichtiger: Geld oder soziale Anerkennung?

Beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) sieht man es zwar als Problem, dass Niedriglöhne und staatliche Unterstützung so nah beieinander liegen, glaubt aber nicht, dass dies zu einer verringerten Leistungsbereitschaft führt. „Wir im WSI haben festgestellt: Menschen, die arbeiten, haben immer mehr Geld“, sagte WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch Anfang Januar in einem Interview für die Webseite der Hans-Böckler-Stiftung. „Geringverdiener nehmen allerdings oft die ihnen zustehenden Zuschüsse nicht in Anspruch, weil sie davon nicht wissen oder das System zu kompliziert ist.“

Kohlrausch geht – basierend auf Forschungsergebnissen – davon aus, dass Menschen grundsätzlich eine Motivation dazu haben, zu arbeiten. Die Debatte um die Höhe des Bürgergeldes und der staatlichen Unterstützung generell sei für sie deshalb nicht nachvollziehbar: „Für viele Menschen ist das Entscheidende, dass Arbeit ein Ort ist, an dem sie soziale Anerkennung erfahren, sich mit Kolleginnen und Kollegen austauschen, selbst das Gefühl haben, etwas Sinnstiftendes zu tun.“ Kohlrausch sieht einen „großen Wunsch der Menschen, erwerbstätig zu sein“.

Die Allensbach-Analystinnen und -Analysten scheinen davon nicht überzeugt zu sein. Gerade auch in der Gruppe der sozial schwächeren Menschen spiele das Gehalt die ausschlaggebende Rolle für deren Leistungsbereitschaft. Sie benennen Gehalts- und Lohnerhöhungen als vielfach vorgeschlagenes Mittel, um die Leistungsbereitschaft zu vergrößern. „In der öffentlichen Diskussion wird als einfacher Weg gelegentlich die Anhebung der Löhne und Gehälter empfohlen“, schreiben sie und legen gleichzeitig kund: „Im vergangenen Jahr hat nur eine Minderheit eine Gehaltserhöhung von mehr als 5 Prozent bekommen.“

Andere Studien, andere Ergebnisse

Doch nicht nur die Gründe für die vielfach als sinkend wahrgenommene Leistungsbereitschaft sind derzeit Teil einer gesellschaftlichen Debatte, sondern auch die Frage, ob die Leistungsbereitschaft in Deutschland in den vergangenen Jahren generell tatsächlich abgenommen hat. Beim IW Köln sieht man dafür keine Anhaltspunkte. „Mit Blick auf die Bewertung des eigenen Arbeitsplatzes sehen wir aus den verfügbaren Daten keinen abnehmenden Trend bei der Zufriedenheit mit dem eigenen Arbeitsplatz“, sagt Oliver Stettes, Leiter Themencluster Arbeitswelt und Tarifpolitik, gegenüber der Personalwirtschaft. „Wir haben auch keine Anhaltspunkte für ein strukturell abnehmendes Engagement im Betrieb.“

Wenn Unternehmen einer abnehmenden Leistungsbereitschaft allerdings präventiv entgegenwirken möchten, sollten sie laut Stettes das Arbeitsumfeld und die Arbeitsbedingungen im Betrieb so attraktiv wie möglich gestalten. Dazu kann auch ein vergleichsweise hohes Entgelt gehören. Hierbei gelte allerdings: „Die Lohnhöhe ist nicht beliebig veränderbar.“ Schließlich können höhere Löhne nur gezahlt werden, wenn das Unternehmen auch genug dafür erwirtschaftet.

Wie oben beschrieben, werden oftmals die geleisteten Arbeitsstunden als Indikator für Leistungsbereitschaft verwendet. Demnach müsste gesamtgesellschaftlich die Leistungsbereitschaft gestiegen sein. Denn das Arbeitsvolumen ist von 2021 zu 2022 um 1,4 Prozent auf 61,10 Milliarden Stunden gestiegen. Dies liegt daran, dass sich die Zahl der Erwerbstätigen erhöht hat. Gleichzeitig arbeitet ein einzelner Mensch tendenziell weniger als noch vor einigen Jahren. So ging laut einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 2012 ein erwerbstätiger Mensch im Schnitt noch 1.408 Stunden seiner Tätigkeit nach. 2022 waren es etwas weniger, nämlich 1.340 Stunden. Auch ist die Teilzeitquote von 37 Prozent auf 38,7 Prozent gestiegen.

Ob die Leistungsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung gesunken ist, ist demnach weiterhin unklar. Bis dahin wird die Debatte wohl in regelmäßigen Abständen wieder aufgerollt.

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.