Wie wirkt es sich auf den Alltag von Beschäftigten aus, wenn sie eine Morgenroutine verfolgen, beispielsweise in Form von Achtsamkeitsübungen? Mit dieser Frage haben sich Forschende vom Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der Bergischen Universität Wuppertal und dem Trinity College Dublin beschäftigt. Konkret untersuchten sie, welchen Einfluss eine solche Morgenroutine auf die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der Beschäftigten während ihres Arbeitstages und auch nach Feierabend hat.
Investition in Selbststeuerung
Die Studie zeigt: Die Zeit für eine kurze Morgenroutine ist gut investiert. Die Steuerung von Verhalten, Emotionen und Gedanken würden unterstützt, schreiben die Verfasserinnen und Verfasser der Studie. Übersetzt heißt das: Man reagiert nicht direkt auf Impulse und Situationen bei der Arbeit, sondern hält inne und überlegt, was man fühlt und warum das so ist. So kann man steuern, ob diese Emotion den Rest des Tages bestimmen oder ob sie sich in ein anderes Gefühl umwandeln lassen.
Diese gesteigerte Selbstregulation ermögliche es den Beschäftigten, während ihres Arbeitstages bewusster zu handeln, ihre Emotionen besser zu kontrollieren und ihre Gedanken klarer zu fokussieren, heißt es in der Wuppertaler Studie. Als Folge davon seien die Beschäftigten besser in der Lage, sich auf ihre Arbeitsaufgaben zu konzentrieren und diese mit einem tieferen Engagement zu bewältigen. Sie erlebten einen Zustand des Flows, in dem sie vollständig in ihre Tätigkeiten vertieft sind und die Zeit wie im Flug vergeht.
Positive Folgen halten lange an
Die positiven Auswirkungen dieser Morgenroutine sind laut der Studie nicht nur während der Arbeitszeit spürbar, sondern erstrecken sich auch auf den Rest des Tages. Beschäftigte, die am Morgen meditieren, berichten am Abend von einer gesteigerten Vitalität und einem erhöhten Wohlbefinden. Dies hat weitreichende Implikationen für Organisationen, da glücklichere und engagiertere Mitarbeiter dazu neigen, produktiver zu sein und eine höhere Arbeitszufriedenheit aufrechtzuerhalten. Eine der Studienautorinnen, Charlotte Hohnemann, nennt ein Beispiel: „Nehmen wir für den Arbeitsalltag das Beispiel, dass ich einer Kollegin bei der Bearbeitung einer Excel-Tabelle helfen soll. Ich kann diese Aufgabe als sehr monoton empfinden, weshalb ich mich eigentlich dagegen wehren würde, akzeptiere sie aber, da ich weiß, dass sie getan werden muss. Oder aber ich sehe darin den positiven Aspekt, zum Beispiel, dass ich meiner Kollegin helfe, oder konzentriere mich gänzlich auf die geforderte Sorgfalt. Meditation kann unterstützen, diese unterschiedlichen Aspekte zu erkennen und für sich zu nutzen.“
Empfehlungen von Mental-Health-Expertin Breuer
Wie aber kann eine Morgenroutine mit Achtsamkeitsübungen aussehen? Und kann ein Arbeitgeber diese Routine auch für Teams im Betrieb anbieten? Laut der Mental-Health-Expertin und Co-Gründerin von Likeminded Kimberly Breuer kann eine Morgenroutine komplett frei gestaltet werden. Es gehe darum, den Tag mit einer Aktivität zu starten, auf die man sich freut und die einem dabei hilft, seine Achtsamkeit zu trainieren. Das kann zum Beispiel auch so aussehen, dass man direkt nach dem Aufstehen zunächst ein Glas heißes Wasser mit Zitrone trinkt und dabei nach draußen schaut. Eine Morgenroutine kann auch aus Meditieren und Sporttreiben bestehen. In jedem Fall empfiehlt Breuer allerdings innerhalb der ersten Stunde nach dem Aufstehen nicht auf das Handy zu schauen. „Eingehende Nachrichten und E-Mails können unseren Stresspegel sonst direkt am Morgen erhöhen”, sagt die Mental-Health-Expertin. Und das gelte es bei der Morgenroutine zu vermeiden.

Wer ganz frisch mit den Achtsamkeitsübungen am Morgen beginnt, dem rät Breuer nicht zu schnell zu viel zu wollen, sondern lieber erst kleine Schritte vorzunehmen. Statt von jetzt auf gleich 30 Minuten morgens zu meditieren, sei zu Beginn eine fünfminütige Meditation sinnvoll. Diese sollten Interessierte zunächst für zwei Wochen ausprobieren. Denn es brauche eine gewisse Zeit, bis sich ein Mehrwert einstellt und dazu motiviert, die Meditation zur Routine werden zu lassen. Eine Regelmäßigkeit sei aber nötig, damit sich die positive Wirkung von Achtsamkeitsübungen entfalten kann, so Breuer.
Auch andere Routinen wirken
Um Mitarbeitende an Achtsamkeitsübungen heranzuführen, können Unternehmen Morgenroutine auch während der Arbeit in Teams abhalten. Breuer hatte dies bei Likeminded, einem Dienstleister für mentale Gesundheitsförderung, ausprobiert, ist aber wieder davon abgerückt. Der Grund: „Wir haben bei uns eine starke Fluktuation morgens. Die Mitarbeitenden haben nur schwer ein Zeitfenster gefunden, in dem sie sich als Team für die Morgenroutine treffen können.” Stattdessen hat Likeminded eine Achtsamkeitsroutine zu anderen Tageszeiten eingeführt. Unter dem Titel „Informal Check-In“ machen interessierte Mitarbeitende mittwochs um 17.15 Uhr Atemübungen, tauschen sich über Erfolgserlebnisse der Woche oder Fuck-ups aus oder machen zusammen 15-minütige Online-Spiele. Einmal im Monat gibt es zudem den sogenannten Mental Health Circle, bei dem sich Beschäftigte im Kreis zusammensetzen und darüber sprechen, wie es ihnen aktuell geht. „Viele haben darüber gelernt, ihre eigenen Emotionen wahrzunehmen, über sie zu sprechen und den Raum zu bekommen, beides zu tun”, sagt Breuer.
Freiwilligkeit ist oberstes Gebot
Doch es gibt auch Stolperfallen bei der gemeinsamen (Morgen-)Routine. „Nicht jeder ist bereit dafür”, so die Co-Gründerin von Likeminded. „Deshalb sollten diese Routinen niemals eine Pflichtveranstaltung sein, sondern freiwillig. Ansonsten erzeugt man nur eine Abwehrhaltung und Druck.” Auch muss klar sein: Die Routinen sind ein emotional geschützter Raum und müssen nicht im Team durchgeführt werden. Es sei auch denkbar, dass man den Beschäftigten einen leisen Ort im Betrieb zur Verfügung stellt, an dem sie ihrer Achtsamkeitsroutine selbst nachgehen können.
Info
Kimberly Breuer gibt unseren Leserinnen und Lesern in ihrer Kolumne „HR – mental stark!“ monatlich Tipps dazu, wie HR die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden aber auch sich selbst stärken kann. Hier erfahren Sie mehr!
Wissenschaftler empfehlen Audiodateien
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni Wuppertal haben mit ihrer Studie auch konkrete Vorschläge geliefert, wie man als Arbeitgeber eine Morgenroutine der Mitarbeitenden fördern kann. Unternehmen können beispielsweise geführte Meditationen als Audiodateien bereitstellen, Workshops zu Morgenroutinen anbieten und flexible Arbeitszeiten einführen, die es den Mitarbeitenden ermöglichen morgens mehr Zeit für Achtsamkeitsübungen zu nehmen, bevor sie in den Arbeitsalltag starten.
Info
Die Studie
An der Studie zur Wirksamkeit von Morgenroutinen für den Arbeitsalltag nahmen 78 Personen teil. 72 Prozent der Teilnehmenden waren Frauen, das durchschnittliche Alter betrug 33,7 Jahre. Die Befragten kamen aus unterschiedlichen beruflichen Kontexten, gehen in ihrem Arbeitsalltag also unterschiedlichen Aufgaben nach. Zehn Arbeitstage lang bekamen die Teilnehmenden dreimal täglich einen Fragebogen zugeschickt. In der zweiten Hälfte der Studie, an Tag sechs bis zehn, setzten zudem die Achtsamkeitsübungen ein: Jeden Morgen sollten die Teilnehmenden vor der Arbeit und zu Hause eine zehnminütige, audio-geführte Meditation durchführen. Sie wurden angewiesen, sich bequem hinzusetzen, sich auf den Atem zu fokussieren und Gedanken ohne jegliches Urteil zur Kenntnis zu nehmen. Außerdem wurden die Teilnehmenden motiviert, das Gefühl und ihre Einstellung am Morgen in den folgenden Arbeitstag zu integrieren.
In den Online-Fragebögen gaben die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer ausführlich Rückmeldung über ihre Eigenwahrnehmung zu Selbstregulation, Selbstkontrolle, Flow-Erleben sowie Vitalität am Abend.
Die Studie wurde im Journal of Occupational Health Psychology veröffentlicht: https://doi.org/10.1037/ocp0000369
