Wo kann ich besser Karriere machen: im Mittelstand oder im Konzern?
„Das kommt ganz auf die persönliche Definition von Karriere an“, sagt Heike Gorges. Die Vorständin der Personalberatung HR Blue (Eigenschreibweise: HRblue) beantwortet seit Jahren viele Fragen von Personalern zu ihren Berufsaussichten und kennt dadurch die Situation von Personalabteilungen in zahlreichen Unternehmen – im Mittelstand wie in Konzernen. Mitnichten sei es in kleineren Unternehmen leichter aufzusteigen, nur weil es weniger Schritte auf dem Weg zur Führungsposition gibt. „Das gibt die Rollenstruktur in der HR-Organisation oft gar nicht her, dass der Personalsachbearbeiter irgendwann Personalchef wird. Es fehlt einfach der entsprechende Entwicklungspfad dazwischen „, hat sie beobachtet. Braucht ein Mittelständler eine neue HR-Führungskraft, werde diese meist von außerhalb geholt.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Gorges berichtet zum Beispiel von einer Personalchefin, die vor Jahrzehnten nur für Verwaltungsthemen zuständig war. „Als das Unternehmen dann deutlich wuchs, bildete sie sich fort und stieg ins Management auf“, erzählt die Expertin. So etwas sei aber eher selten. In aller Regel werde ab einer bestimmten Größe des Unternehmens, auch im HR-Bereich, strategisches Denken immer wichtiger – und damit eine Führungskraft, die ihre Fähigkeit dazu schon unter Beweis gestellt hat. Viele kleinere mittelständische Unternehmen seien allerdings stark auf das Tagesgeschäft fokussiert, die HR-Strategie gerate mithin aus dem Blick.
Ist ein Wechsel vom Mittelstand in einen Konzern oder umgekehrt möglich?
Schaut man sich die Lebensläufe von Personalerinnen und Personalern in mittelständischen Unternehmen und großen Konzernen an, wirken die beiden Unternehmenstypen wie unterschiedliche Welten, zwischen denen ein Wechsel vor allem mit zunehmender Berufserfahrung eher selten vorkommt. Der Eindruck lässt sich zwar nur schwer mit Zahlen untermauern. Expertin Heike Gorges teilt die Beobachtung allerdings. „Das ist aber kein HR-spezifisches Phänomen“, glaubt sie. „In Finanz- oder IT-Abteilungen würden wir vermutlich das Gleiche sehen.“ Verschiedene Persönlichkeiten fühlten sich eben in verschiedenen Unternehmensumgebungen wohl.
Unsere Expertin
Heike Gorges ist Karriereexpertin für HR und Vorstand der Personalberatung HR Blue. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Besetzung von HR-Führungs- und Expertenpositionen und HR Interim Management.
Möglich sei ein Wechsel in die eine oder in die andere Richtung dennoch. Konzerne seien grundsätzlich schon interessiert, Personaler aus dem Mittelstand einzustellen. „Allerdings stellt sich immer die Frage, wie gut sie mit komplexen, meist internationalen Matrixstrukturen zurechtkommen“, sagt Gorges. Zudem seien die Chancen, aus mittelständischen Betrieben in einen Konzern zu wechseln, umso größer, je näher die neue Position an das operative Tagesgeschehen angegliedert sei. Und natürlich hilft es, wenn man in der gleichen Branche bleibt. „Wenn Sie etwa innerhalb der Branche von einem Zulieferer zu einem Konzern wechseln möchten, der vorher Ihr Kunde war, kann das bei der Bewerbung helfen“, sagt Gorges.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel?
Gorges rät, einen wachen Blick auf die Entwicklung des Unternehmens und der HR-Prozesse zu haben. „Wenn Ihr Unternehmen schon einen Teil der HR-Organisation – etwa das Recruiting oder die Gehaltsabrechnung – automatisiert hat, sollten Sie schauen, wo eine weitere Digitalisierung sinnvoll und eventuell sogar dringend nötig ist.“ Das sei nicht nur wichtig, damit das Unternehmen auf Dauer wettbewerbsfähig bleibt. Auch für die eigene Karriere sei es unumgänglich. „Wir beraten immer wieder engagierte Personalleitungen, die sich bei ihrem mittelständischen Arbeitgeber total wohlfühlen“, berichtet Gorges. „Gleichzeitig bemerken sie, dass die HR-Organisation und -Arbeit dort nicht weiterentwickelt werden kann.“ Und wer nicht Schritt halte, der habe bei einem späteren Jobwechsel schlechtere Chancen.
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Deshalb sollten ambitionierte Personaler spätestens dann über eine Veränderung ihrer Jobsituation nachdenken, wenn sie mit diesen Themen nicht mehr weiterkommen. „Das ist eine plausible Erklärung für eine Umorientierung, die auch in einem Vorstellungsgespräch nachvollziehbar ankommt“, hat Gorges beobachtet.
Sind die unterschiedlichen Unternehmenstypen für unterschiedliche Karrierephasen besser geeignet?
Karriereexpertin Heike Gorges glaubt, dass sich ein mittelständischer Arbeitgeber zum Beispiel am Anfang der Karriere gut eignet, um in verschiedenen operativen HR-Bereichen Grundkenntnisse aufzubauen. Anders sieht es mit bestimmten Spezialistenrollenaus. Es komme, wie so oft, auf die genauen Umstände an: „Nehmen wir einmal an, jemand hat Psychologie studiert und interessiert sich für Personalentwicklung. Der muss dann schauen, dass es diese Rolle bei seinem Arbeitgeber schon gibt.“ Nicht nur, dass solche Themen gerade bei sehr kleinen Mittelständlern mitunter komplett untergehen. „Auch in etwas größeren mittelständischen Unternehmen gibt es oft niemanden, von dem man Spezialwissen in der Bandbreite lernen kann“, sagt Gorges. „Und dann ist die Gefahr groß, schon zu Beginn der Karriere als Experte den Anschluss zu verlieren.“
Grundsätzlich hätten ohnehin die wenigsten Menschen schon zu Beginn ihrer Karriere eine genaue Vorstellung, wie diese einmal ablaufen soll. „Das passiert meist nach etwa zwei Jahren, in denen man in der HR-Welt ankommt und diese kennenlernt“, sagt sie. Im Idealfall wisse man dann, wo es mit der eigenen Karriere hingehen kann – und welche Art von Unternehmen am besten dazu passt.
Matthias Schmidt-Stein koordiniert als Chef vom Dienst die Onlineaktivitäten der Personalwirtschaft und leitet die Onlineredaktion. Thematisch beschäftigt er sich insbesondere mit dem Berufsbild HR und Karrieren in der Personalabteilung sowie mit Personalberatungen. Auch zu Vergütungsthemen schreibt und recherchiert er.