„Bei uns gab es nie eine klassische 40-Stunden-Woche.“ Das erzählt Nadja Amireh, Inhaberin der PR- und Social-Media-Agentur Wake up Communications. Schon seit mehreren Jahren gab es bei der Agentur den „kurzen Freitag.“ Freitagmittag war Feierabend und das Wochenende begann. Außerdem gab und gibt es Gleitzeit sowie Vertrauensarbeitszeit. Amireh erklärt die Rahmenbedingungen so: „Wir machen keine Zeiterfassung, mir geht es um die Ergebnisse und niemand muss hier seine Zeit absitzen. Ich vertraue meinem Team da vollkommen.”
Seit März testet das Unternehmen nun eine Art Vier-Tage-Woche. Jeweils die Hälfte des Teams hat den Freitag frei, jeder und jede Beschäftigte arbeitet dadurch jede zweite Woche nur vier Tage – bei gleicher Bezahlung und gleichem Urlaubsanspruch. Der Freitag bleibt für die, die arbeiten, ein kurzer Arbeitstag: Mittags ist Feierabend. Eigentlich sollte die Testphase im September zu Ende sein, Amireh hat sie aber inzwischen bis Ende November verlängert, da es neue und aufwendige Kundenprojekte gebe, die aktuell eine Betreuung auch am Freitag erfordern.
Die Idee, neben dem „kurzen Freitag“ noch einen Schritt weiterzugehen, hatte die Unternehmerin schon Ende 2021, da brachten die Berichte über entsprechende erfolgreiche Experimente in Island den Ausschlag. „Ich bin bei sowas schnell entschlossen“, erklärt Amireh, die arbeitsrechtlich keine Probleme sah und sich deshalb gemeinsam mit der HR-Verantwortlichen im Team für diesen Schritt entschied. Anschließend präsentierte Amireh ihr Vorhaben dem 14-köpfigen Team.
Vorherige Bedenken seien „unbegründet“ gewesen
Die Angestellten reagierten zunächst verhalten: „Es herrschte Stille. Keiner hat was gesagt.“ Amireh vermutet, dass sie damit „schlicht nicht gerechnet“ hatten und in diesem Moment etwas überfordert waren. Vielleicht hätten sie sich auch über die Beweggründe ihrer Chefin gewundert. Dass die Beschäftigten Sorge hatten, ihre Arbeit nicht in weniger Tagen zu schaffen, kann Amireh sich gut vorstellen – diese Bedenken seien aber „unbegründet“ gewesen. Das haben nach Angaben der Geschäftsführerin mittlerweile alle im Team gemerkt. Monatliche Feedback-Gespräche mit dem ganzen Team hätten gezeigt, dass alle sehr zufrieden seien und mit der neuen Regelung sehr gut zurechtkämen.
Begleitet werde die Testphase zudem von einer Organisationspsychologin, die mit den Kollegen und Kolleginnen zu Beginn und nach der Testphase anonyme Umfragen durchführe, um eine Entwicklung abzubilden. Die erste Befragung sei laut Amireh sehr positiv ausgefallen. Sie ist sich daher sicher, dass dauerhaft mindestens jeder zweite Freitag frei sein wird. Aber auch eine „vollumfängliche“ Vier-Tage-Woche für alle schließt sie nicht aus.
Warum sollte es ein fester, nicht frei wählbarer Tag sein, an dem die Mitarbeitenden freihaben? Jedes Projekt der Agentur hat mindestens zwei Projektmanager und einer soll immer mindestens anwesend sein. Außerdem soll immer eine Person aus dem Kreationsteam da sein. So könnte es bei einem frei auswählbaren Tag passieren, dass beide Projektmanager eines Projekts gleichzeitig freihaben wollen – oder eben keiner aus der Kreation da ist. Speziell den Freitag habe Amireh ausgewählt, weil sie den Wunsch hatte, dass die Mitarbeitenden eine längere Erholungsphase am Wochenende genießen sollten.
Freitags einspringen musste bisher niemand
Ausnahmen von der Regel, jeden zweiten Freitag freizuhaben, gibt es allerdings – zumindest theoretisch. Die Verträge hat Amireh bisher noch nicht angepasst, damit beide Seiten nicht vor Problemen stehen, wenn jemand in seiner oder ihrer eigentlich kurzen Woche doch fünf Tage arbeitet. Das würde zum Beispiel eintreten, wenn der zuständige Projektmanager oder mehrere Kollegen krankheitsbedingt ausfielen und ein Kollege oder eine Kollegin einspringen müsste. Das sei noch nicht vorgekommen, doch in Angesicht der Pandemie wolle sie vorbereitet sein. Der freie Tag würde in solch einem Fall „einfach verschoben“ werden. Nur, wenn es gar nicht anders geht, „müsste jemand im schlimmsten Fall auf seinen freien Freitag verzichten“, sagt Amireh. Denn neben Krankheitsfällen gäbe es manchmal Notfälle bei den Kunden.
Was sie mit dem Projekt hauptsächlich erreichen wollte, erklärt sie so: „Der Gedanke war, dass die Mitarbeiter so zufrieden sind, dass sie gerne und lange bei uns bleiben.“ Die Fluktuation sei vorher kein übermäßiges Problem gewesen, aber Amireh merkt an, dass „der Fachkräftemangel omnipräsent“ ist – auch in ihrer Agentur.
Wurde die Mitarbeitergewinnung erleichtert?
Ein weiterer erhoffter Nebeneffekt war eine leichtere Mitarbeitergewinnung. Die Inhaberin bewirbt das Modell bei sich, indem sie öffentlich darüber spricht, es in Stellenausschreibungen erwähnt und auch im Vorstellungsgespräch noch einmal darauf eingeht. Seit der Einführung der verkürzten Arbeitszeit hat es ihren Angaben nach auch mehr Bewerbungen auf die Jobausschreibungen der Agentur gegeben, aber „auch nicht dramatisch mehr“. Dieses Ziel erreicht die Agentur also teilweise. Amireh selbst hatte freitags übrigens bisher noch gar nicht frei. Sie ist sich aber sicher: „Das kommt noch“.
Stefanie Jansen ist Volontärin in der Redaktion der Personalwirtschaft. Ihre Themenschwerpunkte sind Aus- und Weiterbildung, der Job HR und neue Arbeitszeitmodelle.