Die Rechtsanwältin Sandra Runge und die Kommunikationsberaterin Karline Wenzel haben die Initiative #proparents gegründet und eine Petition gestartet, die zum Ziel hat, dass Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufgenommen wird. Denn für die beiden Mütter ist klar: Eltern werden im Arbeitsleben diskriminiert.
Personalwirtschaft: Diskriminierung ist nicht unbedingt das erste Worte, das viele mit Elternschaft in Verbindung bringen. Sie aber kämpfen dafür, dass die Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal ins AGG eingefügt wird – neben unter anderen Alter, Herkunft, Religion und Geschlecht. Wieso?
Sandra Runge: Das wird an vielen Beispielen klar, die ich als Rechtsanwältin leider beobachten kann. Oftmals fängt die Diskriminierung bereits ab der Verkündigung der Schwangerschaft an. Insbesondere Mütter werden nach dieser Offenbarung oft direkt auf’s Abstellgleis gestellt. Nach dem Motto: Sie kann nicht mehr performen. Bei Karriereprogrammen werden Eltern häufig nicht mehr mitgedacht, Verantwortung wird ihnen nicht mehr gegeben. Eine Mandantin von mir wurde zudem in Corona-Zeiten direkt in die Kurzarbeit geschickt, nachdem sie sagte, dass sie schwanger ist. Damit ist die Frau vom Arbeitsmarkt weg und wird nicht mehr so schnell eine verantwortungsvolle Tätigkeit übernehmen. Auch kommt es vor, dass Schwangere in Beschäftigungsverbote gedrängt werden, obwohl sie arbeiten wollen.
Gibt es auch nach der Elternzeit eine Diskriminierung?
Runge: Der Wiedereinstieg ins Berufsleben ist in vielen Fällen von Benachteiligungen geprägt. In der Elternzeit werden teilweise schon Aufhebungsverträge vorgelegt, ohne groß darüber zu reden. Es kommt in einigen Fällen zu Degradierungen oder Kündigungen. Wenn das Kind länger krank ist, gibt es Riesenärger. Eltern müssen dann ihren Urlaub abbauen und bekommen Projekte weggenommen. Oder sie müssen sich blöde Sprüche von Vorgesetzten und Kollegen anhören, zum Beispiel ‚Das wirst du als Elternteil nicht schaffen‘.
Warum kommt es Ihrer Meinung nach zu dieser Benachteiligung?
Runge: Die meisten Diskriminierungen beruhen auf Unterstellungen, die tragisch sind, weil wir sehr viel Potential dadurch verlieren. Nur weil man Mutter oder Vater ist, heißt das nicht, dass man ein schlechterer Arbeitnehmer ist als eine Kinderlose oder ein Kinderloser. Im Gegenteil: Viele Eltern bringen man Fähigkeiten, Perspektiven und eine Effizienz mit, von denen jedes Unternehmen profitieren kann.
Handelt es sich bei den oben genannten Beispielen um Einzelfälle oder ist dies Standard in den Unternehmen?
Karline Wenzel: Das Thema betrifft rund 20 Millionen Eltern in diesem Land und ein Großteil davon ist auf irgendeine Weise in der Arbeitswelt benachteiligt. Leider gibt es so gut wie keine genauen Zahlen hierfür. Es wird gerade eine Studie von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes durchgeführt. Die Ergebnisse wird es erst Ende dieses Sommers geben. In jedem Fall fehlt die Sichtbarkeit des Themas. Wir wollen das ändern und einen Denkprozess anstoßen, wie Lösungen dafür aussehen können.
Und eine Lösung ist laut Ihrer Petition eine Gesetzesänderung nach österreichischem Vorbild, wonach in der Arbeitswelt „niemand aufgrund des Geschlechtes, insbesondere unter Bezugnahmen auf den Familienstand oder den Umstand, ob jemand Kinder hat, unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden“ (§4 GIBG) darf. Reichen die bereits bestehenden Regelungen in Deutschland nicht aus, um die Zustände, die sie beschrieben haben, anzufechten?
Runge: Nein, sie reichen nicht aus. Wir haben einen punktuellen Schutz mit dem Mutterschutzgesetz, dem Bundeselterngeld- und -Elternzeitgesetz. Auch den Sonderkündigungsschutz gibt es, der Eltern davor bewahrt, in der Elternzeit gekündigt zu bekommen. Der dauert allerdings nur bis zum letzten Tag der Elternzeit an. Unser AGG hat aktuell eine Schutzlücke für den Zeitraum nach der Elternzeit, hinzu kommt, dass Väter ausgeklammert werden. Das ist fatal, denn viele Väter wollen Fürsorgearbeit leisten und immer länger in Elternzeit gehen. Auch sie benötigen daher einen umfassenden Schutz vor Diskriminierung in der Arbeitswelt.
Wenzel: Deswegen wollen wir mit der Petition eine Gesetzesänderung herbeiführen. Bisher habe rund 35.000 Menschen unterzeichnet. 50.000 Unterschriften benötigen wir, um mit der Petition zum Bundestag zu gehen. Aber es soll nicht auf der politischen Ebene bleiben. Wir möchten das Thema in die Unternehmen bringen.
In den Organisationen sehen nicht alle Mitarbeitenden, dass Eltern diskriminiert werden. Manchmal fühlen sich eher Kinderlose benachteiligt, gerade auch, wenn es um die Urlaubsplanung geht. Da bekommen Eltern meist den Vorrang für die Zeit in den Schulferien. Bei Wochenend- und Feierabendschichten fühlen sich Kinderlose oft mehr in der Pflicht, diese unbeliebten Arbeitszeiten zu übernehmen.
Wenzel: Es ist eine Frage der Kommunikation und Gestaltung. Ich kenne viele Eltern, die auch mal am Wochenende oder Abends arbeiten können.
Runge: Trotzdem ist die mögliche Benachteiligung von Kinderlosen noch einmal auf einem anderen Level. Klar ist die Urlaubsthematik herausfordernd, aber man verliert dabei nicht seinen Job. Außerdem kann man von Kinderlosen schon eine gewisse Solidarität verlangen. Eltern ziehen die nächste Generation groß, die das weitere Funktionieren unserer Gesellschaft sicherstellt. Zudem profitieren auch Kinderlose von einer familienfreundlichen Unternehmenskultur. Denn vielleicht haben sie irgendwann einen Pflegefall in der Familie und müssen sich um die Mutter kümmern und brauchen vom Arbeitgeber und den Kollegen auch eine Form der Rücksichtnahme.
Was können Personaler tun, um eine Benachteiligung von Eltern zu verhindern?
Runge: Erst einmal können sie sich bewusst machen, dass es die Tendenz gibt, Eltern in eine Schublade zu stecken. Zudem ist Kommunikation enorm wichtig.
Wenzel: Ja, Kommunikation ist ein Schlüssel. Als ich mit meiner Tochter in Elternzeit gegangen bin, hat mich der Personaler zur Seite genommen und gesagt ‚Wir hätten Sie gerne schnell wieder. Was brauchen Sie dafür?‘. Das ist ein ganz anderes Miteinander als den Mitarbeitenden vor vollendete Tatsachen zu setzen, die aufgrund von Unterstellungen eingeleitet wurden. Es sollte darum gehen, gemeinsam Lösungen zu finden. Denn damit verhindert man nicht nur eine Benachteiligung eines großen Teils der Gesellschaft, sondern erhält auch einen Gewinn fürs Unternehmen.
Runge: Ein solch wertschätzendes Gespräch sorgt oftmals auch dafür, dass Eltern bereit sind, Veränderungen hinsichtlich der Position und Aufgaben mitzugehen. Wie wäre es zudem mit einer Art Onboarding-Programm für Wiedereinsteiger, Jobsharing oder Probephasen, um herauszufinden, ob das frische gewordene Elternteil nicht doch trotz neuer privater Verantwortung den Job zufriedenstellend erledigt?
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.