Personalwirtschaft: Frau Herrmann – Gesine – Sie betreiben seit rund zwölf Jahren einen Newsletter: „Gesines Jobtipps – Handverlesene Stellen in Bildung, Kultur & NGOs für Berlin und Halle-Leipzig“. Wie kam es zur Gründung des Newsletters?
Gesine Herrmann: Mir hat es schon immer Spaß gemacht zu gucken, was es für Stellen gibt. Dafür war ich auf vielen Newslettern und Karriereseiten unterwegs. Außerdem sammele ich einfach total gerne Informationen und stelle die anderen zur Verfügung. Zwei Jahre lang habe ich das als Hobby neben meinem eigentlichen Job gemacht und die Stellenausschreibungen, die ich gefunden habe, als Blog veröffentlicht. Danach habe ich das Hobby zu meinem Beruf gemacht.
Warum fokussieren Sie sich auf diese spezielle Zielgruppe?
Weil ich selbst dazu gehöre. Ich habe Politikwissenschaft und interkulturelle Kommunikation studiert. Als ich mein Studium 2009 abgeschlossen hatte, konnte der Studienberater auch nicht so richtig sagen, was meine Kommilitonen und Kommilitoninnen und ich damit anfangen können. Und wir alle kannten natürlich die Frage aus dem Freundes- und Familienkreis, ob wir nicht lieber noch einen Taxiführerschein machen sollten, um ins Berufsleben einsteigen zu können. Zu der Zeit galten Geisteswissenschaften als brotlose Disziplin. Gleichzeitig haben mich meine eigenen beruflichen Schritte immer wieder mit Karrierefragen in Kontakt gebracht.

Inwiefern?
Ich hatte während des Studiums mal ein Projektstipendium der Robert Bosch Stiftung und habe ein Praktikum beim Deutschen Akademischen Dienst in Russland gemacht. Nach meinem Abschluss habe ich dann Deutsch als Fremdsprache in Kasachstan unterrichtet und war bei zwei Berliner Hochschulen und bei einem Verein in Potsdam. Da ging es an sich immer um Berufs- und Karrierefragen. Den dritten Sektor kenne ich also aus meiner eigenen Berufslaufbahn und aus meinem Umfeld. Im Grunde meines Herzens bin ich immer noch Jobsuchende – nur jetzt nicht mehr für mich, sondern für Andere.
Sie veröffentlichen zweimal wöchentlich den Newsletter mit Ausschreibungen für Berlin, einmal pro Woche für Halle-Leipzig – woher kommen diese Stellen?
Ursprünglich basierten die veröffentlichten Stellen zu 100 Prozent auf meinen eigenen Recherchen. Aber schon als ich nur den Blog veröffentlichte, kamen erste Anfragen von Arbeitgebern. Heute hält es sich ungefähr die Waage – die Hälfte der Angebote suche ich, die andere Hälfte kommt von den ausschreibenden Organisationen. Ich habe mich nie darauf verlassen, dass Arbeitgeber mir Stellenausschreibungen schicken.
Ich habe mich nie darauf verlassen, dass Arbeitgeber mir Stellenausschreibungen schicken.
Warum ist das so?
Zum einen fallen gelegentlich Arbeitgeber völlig weg, vielleicht weil handelnde Personen wechseln oder weniger Stellen vorhanden sind. Zum anderen interessiert mich aber auch persönlich, was es auf dem Markt an Stellen gibt.
Welche Organisationen bieten Jobs für Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftler?
Am häufigsten sind es Vereine, die plötzlich ein größeres Projekt haben, weil sie vom Bund oder europäischen Organisationen Gelder akquiriert haben und dann eine Stelle ausschreiben. Dazu kommen Stiftungen und beispielsweise Hochschulen. Immer wieder sind es auch sehr kleine Organisationen, von denen ich vorher selbst nie gehört habe, obwohl ich inzwischen wirklich viele Player in der Landschaft kenne.
Woher kennen Organisationen und Jobsuchende Ihren Newsletter?
Mundpropaganda spielt da eine ganz große Rolle, etwa durch Empfehlungen beispielsweise auf Alumni- und Karriereveranstaltungen von Hochschulen, und ich höre auch immer wieder, dass die Berliner Arbeitsagenturen die Jobtipps empfehlen. Die Webseite galt lange als Geheimtipp. Das ist jetzt nicht mehr so – was für mich aus unternehmerischer Sicht auch gut ist. Insgesamt haben knapp 9.000 Personen den Newsletter abonniert, es gibt etwa 2.000 Follower auf Social Media und diejenigen, die einfach auf die Webseite gehen.
Für welche Bereiche werden Mitarbeitende gesucht?
Es gibt im Grunde drei Bereiche, die immer am Start sind: Finanzen, Kommunikation und Management.
Hat sich der Zuschnitt der Stellen für diese Zielgruppe in den letzten Jahren verändert?
Auf jeden Fall: Zugenommen haben Jobs für das Fundraising – es werden mehr Menschen gesucht, die Förderanträge stellen oder bei Stiftungen oder reichen Privatpersonen Geld akquirieren sollen. Geändert haben sich auch die Stellen im Kommunikationsbereich. Der Bundespräsident sucht beispielsweise eine oder sogar mehrere Personen nur für Social Media. Das hätte es vor zehn Jahren noch nicht gegeben, damals hat man eher für klassische Presse und Öffentlichkeitsarbeit Personal gesucht, Social Media hat das stark verändert. Der Digitalisierungstrend spiegelt sich nicht nur in Kommunikationsberufen, sondern auch in anderen Bereichen.
Inwiefern?
Die Verwaltung will digitalisieren, die Museen wollen ihre Sammlungen digitalisieren, Personalprozesse werden digitalisiert. Wir brauchen immer mehr Leute, die diese technischen Anforderungen umsetzen können und entsprechende Prozesse in den Organisationen begleiten.
In Ihrem Newsletter veröffentlichen Sie Digitaljobs aber gar nicht, ebenso wenig wie reine Verwaltungsjobs – warum?
Ich bin da eher altmodisch. In meiner Vorstellung sind Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftlerinnen Menschen, die an vielen verschiedenen Bereichen interessiert sind und ihre Querschnittskompetenzen auch nutzen sollten. Sie können Zusammenhänge herstellen, Begegnungen zwischen Menschen möglich machen und inhaltlich und konzeptionell arbeiten. Wer beispielsweise die Aufgabe hat, die Sammlung eines Museums zu digitalisieren, wird all diese Kompetenzen nicht nutzen – und deswegen präsentiere ich den Job nicht, auch wenn er natürlich für das Museum sinnvoll ist.
Nach welchen Kriterien wählen Sie die „handverlesenen“ Jobs aus?
Zunächst sind es die Fachgebiete Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaft. Anbieter kommen aus dem Kulturbereich oder der Bildung, es sind beispielsweise Vereine, Stiftungen, NGOs und sehr oft auch der öffentliche Bereich. Parteien auch, soweit sie im demokratischen Spektrum verankert sind. Ich nehme auch Angebote von Think Tanks oder auch mal von einer eine gGmbH auf. Der zweite Faktor ist der regionale Fokus auf Berlin und Umgebung sowie Halle-Leipzig. Drittes Auswahlkriterium ist die Bezahlung: Die Stellen müssen als Vollzeitstelle mit mindestens 3.500 Euro brutto vergütet werden. Das leitet sich entweder aus der Stellenausschreibung ab oder ich kläre diese Frage persönlich.
Die Stellen müssen als Vollzeitstelle mit mindestens 3.500 Euro brutto vergütet werden.
Sie bedienen damit ein sehr enges Spektrum an Stellen – wie funktioniert das?
Auf der einen Seite ist dies eine Verengung auf relativ wenige Stellen, auf der anderen Seite ist dadurch der Match zwischen Jobsuchenden und Jobanbietern extrem gut. Von Seite der Arbeitgeberinnen bekomme ich die Rückmeldung, dass bei ihnen sehr gute, zum Teil auch sehr viele qualifizierte Bewerbungen eingehen. Durch diese Hyperfokussierung auf eine ganz enge Nische ist mein Newsletter unter Umständen wirklich der perfekte Kanal, der perfekte Zugang zu lauter Menschen mit passenden Qualifikationen, die einen Job suchen.
Muss die Zielgruppe Ihren Newsletter abonnieren oder stellen Sie die Jobs auch auf anderen Kanälen vor?
Ich veröffentliche alle Stellen auf der Webseite, im Newsletter, auf Facebook und der Social-Media-Plattform Bluesky. Es gibt da keine Unterschiede, sodass jede und jeder da schauen kann, wo es für ihn oder sie am besten passt.
Sie betreiben den Newsletter hauptberuflich. Wie finanziert sich Ihre Arbeit?
Es gibt kein festes Bezahlmodell. Ich habe auch keine Werbung im Newsletter und auf der Webseite. Es gilt: Pay what you want. Keiner muss etwas bezahlen, aber alle können es. Dieses Geschäftsmodell funktioniert wunderbar. Der weitaus größte Anteil kommt von Arbeitgebern und von Coaches, die ich auf meiner Webseite verlinke, aber auch viele Jobsuchende zahlen etwas. Ich arbeite völlig transparent und veröffentliche jedes Jahr die Zahlen auf meiner Webseite. Bis 2023 sind die Zahlungen stetig angestiegen, in dem Jahr habe ich 115.000 Euro – inklusive Mehrwertsteuer – an freiwilligen Zahlungen erhalten. Seit 2024 merke ich aber auch einen Rückgang sowohl bei den Stellen, die mir von Arbeitgebern geschickt werden, als auch bei den Zahlungen.
Wie groß ist der Rückgang und woran liegt er?
Früher habe ich etwa 100 Stellen pro Woche veröffentlicht, aktuell sind es eher 70 bis 80. Die Mittelkürzungen in Berlin und auch vom Bund machen sich bemerkbar. Manche Organisationen gibt es gar nicht mehr, es fallen viele Projekte weg. Von den Berliner Hochschulen gab es auch nur noch wenige Ausschreibungen.
Sie haben einen guten Überblick über die Anforderungen, die an Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaftler sowie -wissenschaftlerinnen gestellt werden. Nach welchen Skills suchen die Arbeitgeber?
Eindeutig digitale Skills. Ich sehe auch teilweise einen Bedarf an sehr spezieller Expertise, etwa im Bereich Antikolonialismus oder Antiziganismus. Es gibt sowohl inhaltlich stark zugespitzte Stellen als auch solche, die sehr breit angelegt sind. Tatsache ist, dass wir keinen Arbeitnehmermarkt mehr haben, wie noch vor ein paar Jahren, sondern wieder einen Arbeitgebermarkt. Trotzdem müssen nicht alle Geistes- und Kulturwissenschaftler künftig Taxi fahren.
Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Berichterstattung zur Aus- und Weiterbildung. Zudem ist sie verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft sowie den Deutschen Personalwirtschaftspreis.

