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Wie geht es weiter mit dem Mindestlohn?

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Der gesetzliche Mindestlohn wird erhöht: Ab dem 1. Januar 2024 soll er in Deutschland um 41 Cent auf 12,41 Euro pro Stunde steigen. Im Jahr 2025 folgt eine Anpassung um weitere 41 Cent auf dann 12,82 Euro. Damit will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil den Beschluss der Mindestlohnkommission umsetzen. 

Die recht geringen Anhebungen haben bei Gewerkschaften und einigen Politikern für Empörung gesorgt. Sie hätten sich deutlich größere Sprünge gewünscht – nicht zuletzt, weil Arbeitnehmer unter der hohen Inflation und dem damit einhergehenden Kaufkraftverlust leiden. Die Kritik auf Seiten der Arbeitnehmer ist allerdings auch der Tatsache geschuldet, dass sie in der Mindestlohnkommission überstimmt wurden. Viele fordern daher den Gesetzgeber auf einzugreifen und den Mindestlohn zu erhöhen.   

Viele Arbeitgeber halten jedoch dagegen. Aus ihrer Sicht belaste der Mindestlohn ohnehin die Wirtschaft schon stark und sei im internationalen Vergleich bereits auf einem guten Niveau. Zu große Sprünge beim Mindestlohn würden zudem das Gehaltsgefüge insgesamt zerstören. In der Folge müssten Unternehmen auch die Vergütung aller anderen Beschäftigten anpassen, was Waren und Dienstleistungen weiter verteuere.  

Info

Kein Konsens mehr in Mindestlohnkommission 

Um einen Ausblick zu wagen, wie es mit dem Mindestlohn weitergehen kann, lohnt sich ein Blick auf die aktuelle Regelung: Bisher hat die Mindestlohnkommission einen wesentlichen Einfluss auf die Höhe des Mindestlohns. Sie setzt sich gemäß dem Mindestlohngesetz (MiLoG) aus je drei stimmberechtigten Mitgliedern der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite zusammen. Diese werden auf Vorschlag der jeweiligen Spitzenorganisationen von der Bundesregierung berufen. Der Vorsitzende wird grundsätzlich auf gemeinsamen Vorschlag der Spitzenorganisationen bestellt. Hinzu kommen zwei weitere beratende Mitglieder aus der Wissenschaft, die ebenfalls von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite vorgeschlagen werden. 

Die Mindestlohnkommission fasst ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit der anwesenden Stimmberechtigten. Dabei enthält sich der Vorsitzende zunächst der Stimme. Kommt keine Mehrheit zustande, unterbreitet der Vorsitzende einen Vermittlungsvorschlag. Über diesen berät die Kommission und stimmt schließlich ohne den Vorsitzenden darüber ab.  

Bis vor kurzem fasste das Gremium alle Erhöhungen des Mindestlohns einstimmig. Jedoch gab es bei der letzten Entscheidung im Juni 2023 keine Einigkeit – auch nicht über den Vermittlungsvorschlag. Daher fand eine weitere Abstimmung statt, an der auch die Vorsitzende teilnahm. Mit ihrer Stimme wurde die Arbeitnehmerseite überstimmt und zweimalige Erhöhungen um jeweils 41 Cent beschlossen. 

Kaum Handlungsspielraum für Politik

Die Uneinigkeit in der Kommission brachte die Bundesregierung politisch in eine schwierige Situation. Sie setzt den Beschluss der Mindestlohnkommission durch Rechtsverordnung um, kann das allerdings nur unverändert tun. Eine darüberhinausgehende Erhöhung oder andere inhaltliche Änderungen darf sie nicht vornehmen. Daher hatte sie lediglich die Möglichkeit, den vorgeschlagenen Betrag festsetzen oder es bei der bisherigen Lohnuntergrenze von 12 Euro zu belassen. Da die Regierung auf eine Erhöhung nicht verzichten wollte, stimmte sie den beiden kleinschrittigen Erhöhungen zu.  

Änderung der Gesetze erforderlich? 

Die Diskussionen um den Mindestlohn sind damit nicht beendet. Da nicht davon auszugehen ist, dass die Kommission künftig immer zu Konsensentscheidungen kommen wird, sind folgende Szenarien möglich.  

  1. Weitere Lohnschritte könnten demnächst beschlossen werden, indem sich die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberseite überstimmen. Bislang wurde der Vorsitzende der Mindestlohnkommission zwar auf gemeinsamen Vorschlag der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite berufen. Das ist aber nicht zwingend notwendig. Denkbar ist auch, dass die Spitzenorganisationen keinen gemeinsamen Vorschlag unterbreiten und somit die Bundesregierung jeweils einen Vorsitzenden berufen muss. Welche Seite – Arbeitnehmer oder Arbeitgeber – den Vorsitz stellt, könnte dann wechseln, und zwar nach jeder Beschlussfassung über die Mindestlohnanpassung, die alle zwei Jahre erfolgt. Damit käme es in der Mindestlohnkommission zu wechselnden Mehrheiten und somit auch zu Entscheidungen, die meist nur eine Seite mitträgt.  
  1. Möglich ist auch, dass der Gesetzgeber das MiLoG ändert und sich dabei auf die europäische Richtlinie über angemessene Mindestlöhne (MiLo-RL) vom 19. Oktober 2022 stützt. Diese sieht für die Mitgliedstaaten, in denen ein gesetzlicher Mindestlohn besteht, Verfahrensvorgaben und inhaltliche Mindeststandards für die Lohnfindung vor. Während die Verfahrensvorgaben, etwa die Beteiligung der Sozialpartner, bereits im deutschen MiLoG verankert sind, kann sich aus anderen Bestimmungen der Richtlinie ergeben, dass das deutsche Gesetz geändert werden muss. Das betrifft insbesondere die Festlegung der Höhe des Mindestlohns.

    Die europäische Richtlinie muss der Gesetzgeber bis zum 15. November 2024 in deutsches Recht umwandeln. Da die Vorgaben der europäischen Mindestlohnrichtlinie für die Festlegung der Lohnuntergrenze strenger sind als die der deutschen Regelung, muss die Ampelkoalition hier nachbessern. Es könnte beispielsweise gesetzlich eine dynamische Lohnuntergrenze festlegen, die sich automatisch an die Änderung des durchschnittlichen Lohns anpasst. Dadurch wären der Mindestlohn vorgegeben und die Mindestlohnkommission weitgehend ausgehebelt. Sie hätte nur noch die Befugnis zu entscheiden, ob der Mindestlohn darüber hinaus angehoben werden soll. Allerdings gab es bereits Kritik an der Mindestlohnrichtlinie der EU, die damit möglicherweise ihre Kompetenzen überschritten hat.  

Die Grünen fordern derweil eine Reform der Mindestlohnkommission. Das zumindest taten die Fraktionsmitglieder Frank Bsirske und Sandra Detzer jüngst in ihrem entsprechenden Positionspapier Kund. Wie genau diese Reform aussehen soll, ist unklar. Nur so viel äußerten die Fraktionsmitglieder: Die Rahmenbedingungen der Kommission müssten so angepasst werden, „dass der gesetzliche Mindestlohn immer auf einem armutsfesten Niveau liegt, eine Anpassung schneller erfolgt und ein Beschluss ohne Konsens beider Sozialpartner unwahrscheinlich wird“. Es sei nicht hilfreich, wenn Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite ihre Forderungen nur mithilfe des Vorsitzes durchsetzen könnten. Stattdessen wäre eine Schlichtung, ähnlich der in Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes mit einem wechselnden Stimmrecht beider Vorsitzender denkbar.

Wann und ob Unternehmen in Deutschland deutlich höhere Mindestlöhne zahlen müssen als bisher, ist somit noch offen. 

Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersvorsorge. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das Magazin "Comp & Ben". Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.