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Entgeltlücke schnell schließen

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Mittlerweile sollte es jedes Unternehmen in Deutschland mitbekommen haben: Im März 2023 hat das Europäische Parlament die Entgelttransparenz-Richtlinie (EU/2023/970) verabschiedet, und die Überführung in die deutsche Gesetzgebung steht bevor. Die EU-Richtlinie verpflichtet Unternehmen, Transparenz über die Gehälter ihrer Mitarbeitenden zu schaffen und Maßnahmen zur Schließung einer potenziell vorliegenden Entgeltlücke zu ergreifen.

Unsere Einblicke in den Markt zeigen, dass die Reaktionen der Arbeitgeber noch sehr unterschiedlich ausfallen: Einige planen, die Auswirkungen der EU-Richtlinie auszusitzen und erst einmal abzuwarten, welche Reaktionen eine mögliche Entgeltlücke überhaupt hervorruft. Andere versuchen, durch pragmatische Analysen einen groben Einblick in ihre Entgeltlücke zu bekommen, um erst mit Eintreten der Berichtspflicht eine gründliche Analyse folgen zu lassen und zu reagieren. Wir sind davon überzeugt, dass dies keine klugen Strategien sind und die anstehenden Änderungen frühzeitiges Handeln erfordern. Deshalb diskutieren wir in diesem Beitrag, warum Unternehmen das Thema sofort ernsthaft und konsequent angehen sollten.

Da die eigentlichen Berichtspflichten gemäß der Richtlinie frühestens mit dem Jahr 2027 starten, ist noch nicht jedem Arbeitgeber die faktische Dringlichkeit zum Handeln bewusst. Dabei müssen sie im Jahr 2027 rückwirkend über ihre Entgeltlücke aus dem Jahr 2026 berichten. Da bereits das Jahresende 2024 naht, ist das Zeitfenster zum Handeln entsprechend kurz.

Unser Eindruck aus unseren Beratungsprojekten ist, dass viele Unternehmen aktuell nicht ausreichend vorbereitet sind. Sie haben die Grundlagen zur Quantifizierung der Entgeltlücke entweder gar nicht oder nur teilweise vorliegen. Hier gilt es zunächst einmal, Basisarbeit zu verrichten. Ganz zu schweigen von der Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Reduktion einer möglichen Entgeltlücke. Von der Entwicklung, Implementierung und Etablierung von Maßnahmen bis hin zu ihrer tatsächlichen Wirkung braucht es Zeit – und diese wird zunehmend knapp.

Wichtig ist, dass Unternehmen JETZT handeln

In Beratungsprojekten mit Unternehmen, die das Thema nun konsequent angehen, schauen wir gleich auf mehrere Felder. Grundlegend gilt es sicherzustellen, dass eine Definition von gleichwertiger Arbeit für alle Positionen vorliegt. Diese geht über die Betrachtung gleicher Tätigkeiten hinaus. Gibt es eine solche Definition nicht, müssen sie zunächst eine vorgelagerte Stellenbewertung durchführen. Diese umfasst auch die Prüfung, ob die Stellenbewertung der EU-Richtlinie (und möglichst auch der zukünftigen deutschen Gesetzgebung) standhält. Hier gilt es zum Beispiel zu validieren, dass die in der EU-Richtlinie beschriebenen Mindestkriterien (Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen) in der Bewertungsmethodik abgebildet sind und die verwendeten Kriterien als geschlechtsneutral anzusehen sind.

Es ist ratsam, bei Bedarf rechtzeitig eine entsprechende Überprüfung und Anpassung der bestehenden Stellenbewertung durchzuführen. Diese sind nicht nebenbei zu erledigen, da in vielen Fällen weitere Stakeholder wie etwa Arbeitnehmervertretungen involviert sein können. Gleichzeitig ist eine solche Stellenbewertung nicht nur für die Entgeltgleichheit sinnvoll. Auch strategische Themen wie Karrieremodelle und Vergütungssystematiken profitieren von einer Stellenbewertung als struktureller Basis.

Herausfordernd ist ebenso, dass die notwendige Datengrundlage zur Quantifizierung einer Entgeltlücke gemäß den Anforderungen der Richtlinie häufig nicht vorliegt. Zu den üblichen Schwierigkeiten zählen beispielsweise eine verteilte Datenhaltung, asynchrone Wertelisten oder unterschiedliche IT-Systeme in Tochteroder Landesgesellschaften. Für viele Organisationen ist bereits der Aufwand der Datensammlung nicht zu unterschätzen – zuzüglich des Einsatzes der Konsolidierung der Daten für die Analyse. Erst wenn diese Entgeltlücke gemäß den Anforderungen der EU-Richtlinie korrekt quantifiziert wurde, können Arbeitgeber einschätzen, ob sie handeln müssen. Wir beobachten, dass sich in jeder Organisation Handlungsfelder eröffnen, um die Chancengleichheit zu stärken.

Wie die Entgeltlücke schließen?

In nahezu jedem Unternehmen liegt die unbereinigte Entgeltlücke deutlich über dem Schwellenwert von fünf Prozent. Eine der häufigsten Ursachen: Auf den oberen Hierarchieebenen sind deutlich weniger Frauen zu finden. Spätestens mit der Transparenz zur unbereinigten Entgeltlücke durch die EU-Richtlinie wird dies externe und interne Stakeholder interessieren. Es ist zu erwarten, dass Mitarbeiterinnen ein einfaches „Das ist bei uns nun einmal so …“, nicht hinnehmen werden, sondern verlangen werden, dass Arbeitgeber aufzeigen, wie sie die unbereinigte Entgeltlücke schließen wollen.

Auch mit Blick auf die bereinigte Entgeltlücke finden sich in nahezu jeder Organisation, welche wir beraten, Ansatzpunkte, um diese zu schließen. Sei es, dass die neu eingestellten Mitarbeitenden eine größere Entgeltlücke als die Bestandsmitarbeitenden aufweisen oder dass in einzelnen Bereichen des Unternehmens größere Gehaltsdiskrepanzen identifiziert werden. Fast immer sehen wir Bereiche, in denen Entgeltgleichheit noch nicht realisiert ist. Eine gründliche Analyse der Ergebnisse ist daher ratsam, um den richtigen Ansatzpunkt für Maßnahmen zu ermitteln.

Die Maßnahmen von Unternehmen, um die Entgeltlücken zu schließen, entfalten ihre Wirkung häufig nicht ad hoc. Ein Beispiel für eine Maßnahme: Gehälter von Mitarbeiterinnen, die eine Entgeltlücke ausweisen, werden gezielt angehoben.

Dies geschieht (wenn möglich) im Rahmen der üblichen Gehaltsrunden. In unserer Kienbaum Gehaltsentwicklungsprognose für das Jahr 2025 haben wir knapp 1250 Unternehmen gefragt, ob sie die kommende Gehaltsrunde gezielt zur Reduktion der Entgeltungleichheit nutzen. Dabei gaben 15 Prozent der befragten deutschen Unternehmen an, dass sie einen Teil des Budgets für Gehaltsanpassungen nutzen werden, um die Entgeltlücke zu schließen. Fünf Prozent sehen dies für einen späteren Zeitpunkt vor. Die Organisationen, die bereits wissen, wie hoch das eingesetzte Budget in der nächsten Gehaltsrunde sein wird, geben an, dass sie durchschnittlich rund 18 Prozent ihres Gehaltsbudgets einsetzen werden.

Gehaltsrunde für Korrekturen nur bedingt wirksam Wird die Gehaltsrunde zur Schließung der Entgeltlücke genutzt, haben Unternehmen mehrere Herausforderungen zu meistern. So ist beispielsweise eine bedachte Aufteilung des Budgets auf unterschiedliche strategische Ziele ratsam, etwa um Leistungsträgerinnen und -träger bei der Gehaltsentwicklung nicht zu vernachlässigen. Darüber hinaus gilt es die Führungskräfte vorzubereiten. Bekommt eine Mitarbeiterin in der Gehaltsrunde mehr Geld, um ihre Entgeltlücke zu schließen, wird unter Umständen transparent, dass bei ihr bisher eine solche bestand. Keine einfache Aufgabe für die Führungskräfte in diesen Gesprächen.

Verpassen Unternehmen die anstehende Gehaltsrunde für 2025, um Korrekturen vorzunehmen, ist lediglich die Gehaltsrunde für 2026 noch ein regulärer Zeitpunkt, um korrigierend einzugreifen. Reicht dies nicht aus, weil etwa die Entgeltlücke zu groß ist, müssen im Jahr 2025 entsprechende Anpassungen außerhalb der Reihe zur Reduktion der Entgeltlücke vorgenommen werden. Dies kostet Geld und sollte bereits heute in die Budgets für 2025 eingeplant werden. Außerdem stellt ein solches Vorgehen die Organisation vor umfangreiche administrative und kommunikative Aufgaben. Auch diese gilt es entsprechend vorzubereiten. Diese kurzfristig wirksamen Maßnahmen sind unter Umständen notwendig, um bei Offenlegung der Entgeltlücke im Jahr 2027 nicht in Verlegenheit zu kommen.

Ebenso wichtig ist es jedoch, die gehaltsbildenden Prozesse zu überprüfen und anzupassen, um sicherzustellen, dass die Ursachen der Entgeltlücke nachhaltig bekämpft werden. Ansonsten verpuffen die kurzfristigen Maßnahmen, und die Entgeltlücke reißt in den Folgejahren wieder auf. In den Beratungsprojekten analysieren wir demnach nicht nur die Höhe der Entgeltlücke, sondern wo im Unternehmen sich diese Gaps finden und welche Ursachen es dafür gibt. Ist diese Analyse durchgeführt, werden individuelle Antworten erarbeitet, die nachhaltig Wirkung erzielen. Die One-size-fits-all Lösung ist keine gute Lösung. Vielmehr sollten Prozesse so angepasst werden, dass sich das Verhalten in der Organisation ändert. Dies kann zum Beispiel der Gehaltsfindungsprozess bei Einstellung oder Beförderung sein. Übliche Argumentationsmuster und Vorgehensweisen nachhaltig aufzubrechen ist eine Herausforderung. Die Entwicklung, Implementierung und Etablierung neuer Prozesse braucht erfahrungsgemäß Zeit – und die ist wie oben beschrieben knapp.

Alles zum Thema

Comp & Ben

Dieser Beitrag ist zuerst im Vergütungsmagazin Comp & Ben erschienen. Das Onlinemagazin berichtet in sechs Ausgaben pro Jahr über aktuelle Themen rund um Compensation & Benefits und betriebliche Altersversorgung. Das Magazin, in dem dieser Beitrag erschienen ist, können Sie hier herunterladen.

Transparenter Gender Pay Gap führt zu Unzufriedenheit

Die anstehenden Aufgaben vor dem Hintergrund der regulatorischen Anforderungen zu Entgelttransparenz erscheinen aufwendig und zeitraubend. Von Kunden hören wir, dass einige Unternehmen geneigt sind, den Angang dieser Aufgaben hinauszuzögern. Allerdings ist dies in Zeiten des Fachkräftemangels keine gute Idee. In der aktuellen Marktsituation ist es entscheidend, die geschätzten Mitarbeitenden zu halten und neue Talente anziehen zu können.

Eine in der Öffentlichkeit transparente überdurchschnittliche Entgeltlücke wird zu Unruhe unter den Mitarbeitenden führen. Die weiblichen Beschäftigten werden sich selbst (aber auch ihren Führungskräften) sicherlich die Frage stellen, inwieweit sie von einer Ungleichbehandlung betroffen sind – und Konsequenzen ziehen. Transparenz, durch die EU-Richtlinie gefördert, macht die Mitarbeiterbindung nicht einfacher, wenn Arbeitgeber das Thema Entgeltgleichheit nicht im Griff haben. Im gleichen Maße ist zu erwarten, dass potenzielle Bewerberinnen von einer überdurchschnittlich großen Entgeltlücke abgeschreckt werden. Welches Unternehmen kann es sich leisten, weibliche Beschäftigte als großes Arbeitskräftepotenzial in Deutschland abzuschrecken?

Dabei sollte die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz aus Sicht der Unternehmen nicht nur als Bedrohung interpretiert werden. Sie bietet die Chance, die eigene Vergütungspolitik zu überprüfen und zu verbessern. Dies ist nicht nur aus rechtlicher Sicht wichtig, sondern auch, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu wer- den und das Personalbudget effizient einzusetzen.

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