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Entgelttransparenz im Bewerbungsprozess

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Mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie kommen auf Arbeitgeber bis 2026 deutlich umfangreichere Pflichten zu. Im Vergleich zum Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG), das bereits seit 2017 „gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ für Frauen und Männer verlangt, müssen sie sich unter anderem auf erweiterte Auskunftsansprüche einstellen sowie auf die Offenlegung des Einstiegsgehalts für Stellenbewerber. Dr. Sebastian Schulte, Rechtsanwalt und Arbeitsrechtler von Justem Rechtsanwälte, klärt im Interview zum einen über Missverständnisse und offene Fragen auf; zum anderen skizziert er mögliche Folgen der EU-Entgelttransparenzrichtlinie auf Vergütungssysteme und begründet, warum der individuelle Leistungsbonus ein Comeback erfährt.

Ein Blick in die Jobbörsen zeigt: Stellenangebote mit Vergütungsangaben nehmen zu, doch letztlich sind sie noch eine Ausnahme. Wird die EU-Entgelttransparenzrichtlinie, die bis 2026 in nationales Recht umgewandelt werden muss, daran etwas ändern? Werden Gehaltsangaben in Jobofferten die Regel?

Dr. Sebastian Schulte: Nicht zwingend, denn die EU-Richtlinie schreibt nicht vor, dass Arbeitgeber Vergütungsdaten in der Stellenanzeige nennen müssen. In Artikel 5 heißt es, dass Stellenbewerber Informationen über das Einstiegsentgelt oder dessen Spanne erhalten sollen, beispielsweise „in einer veröffentlichten Stellenausschreibung, vor dem Vorstellungsgespräch oder auf andere Weise“, sodass fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden. Hinsichtlich des Modus Operandi der Offenlegung einer Vergütung für eine bestimmte Position bleibt abzuwarten, was der Gesetzgeber daraus macht. Er muss bis Juni 2026 die EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzen und dabei sicherstellen, dass Unternehmen ihren Kandidatinnen und Kandidaten die Entgeltzahlen rechtzeitig auf den Tisch legen. Nach jetziger Lesart haben Arbeitgeber beispielsweise die Möglichkeit, nur Personen, die in eine engere Auswahl kommen, vor den jeweiligen Bewerbungsgesprächen die Vergütungsspanne mitzuteilen.

Arbeitgeber haben – wenn die Richtlinie in dieser Hinsicht eins zu eins übernommen wird – also die Wahl, die Entgeltdaten über Jobausschreibungen auf breiter Linie zu kommunizieren oder aber nur gegenüber einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten. Wohin wird die Entwicklung gehen?

Ich rechne nicht damit, dass flächendeckend Unternehmen in Stellenzeigen ihre Gehaltsspannen nennen, da es zum einen die EU-Richtlinie nicht vorschreibt. Zum anderen handelt es sich aus Sicht der Arbeitgeber auch um eine Frage der Unternehmenskultur – und nicht zuletzt eine strategische, also wie viel Einblick will man den Mitbewerbern auf dem Arbeitsmarkt geben? Natürlich ist es möglich, dass der deutsche Gesetzgeber den Artikel 5,1 anders gestalten will, also Arbeitgeber verpflichtet, die Zahlen bereits in der Stellenausschreibung zu nennen, was nicht wünschenswert wäre.

Aus Arbeitnehmersicht klingt die Gehaltsnennung in Stellenanzeigen eigentlich positiv. Stellensuchende könnte die Höhe eines genannten Gehalts dazu motivieren, sich mit dem Unternehmen auseinanderzusetzen und eine Bewerbung zu starten. Hat die Transparenz auch Vorteile für Arbeitgeber?

Grundsätzlich müssen sich Unternehmen die Frage stellen, welchen Nutzen sie davon haben. In angespannten Bewerbermärkten versprechen sich Arbeitgeber einen Vorteil im Recruiting-Prozess, wenn sie das Bruttogehalt oder eine Gehaltsspanne offenlegen. Auch unbekanntere Firmen können über Entgelthöhen vielleicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Oder aber Unternehmen, die sehr gute Gehälter zahlen, wollen ihre Zahlen in der Stellenanzeige direkt präsentieren. Im öffentlichen Dienst ist die Nennung von Vergütungshöhen meiner Beobachtung nach bereits häufig üblich, da die Tarifwerke kein Geheimnis sind. Sicherlich wird die Veröffentlichung von Gehaltszahlen in Jobausschreibungen auf gewisse Branchen und Arbeitgeber Auswirkungen haben. Wenn große und kleine Mitbewerber um Fachkräfte ihre Vergütungsdetails öffentlich machen, setzt das andere unter Druck, gleichzuziehen. Allerdings schafft das Unternehmen mit einer Veröffentlichung bis zu einem gewissen Grad Transparenz über seine Vergütungsstruktur, die auch die Konkurrenz einsieht. Es tritt also ein Effekt ein, den man jenseits der Tarifwelt vermeiden will. Dies würde eher dafür sprechen, die Zahlen erst zu einem späteren Zeitpunkt den Bewerbern zugänglich zu machen.

Die Entgelthöhen sollen den Stellenbewerbern als Bruttojahresentgelt oder Bruttostundenentgelt oder aber als Gehaltsspanne angegeben werden. Was ist sinnvoller?

Ob Unternehmen mit einem Jahres- oder Stundengehalt oder einer Entgeltrange operieren, wird letztlich auch von der Branche und den Arbeitnehmergruppen bestimmt. Die Angabe eines Gehaltsbetrags statt einer Range kann je nach Höhe zu einer Bewerbung motivieren, aber auch abschreckend wirken, da an einer festen Zahl – scheinbar – nicht zu rütteln ist. Die Gehaltsrange suggeriert dagegen mehr Spielraum für den Arbeitnehmer. Für den Arbeitgeber ist der Vorteil, dass er von vornherein festlegt, in welchem Rahmen er beabsichtigt zu verhandeln. Aus Sicht der Gleichbehandlung von Frauen und Männern, die mit der EU-Transparenzrichtlinie angestrebt wird, bringt die Range keinen wirklichen Vorteil, weil Unternehmen trotzdem das individuell vereinbarte Gehalt diskriminierungsfrei gestalten müssen.   

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Comp & Ben

Dieser Beitrag ist zuerst im Vergütungsmagazin Comp & Ben erschienen. Das Onlinemagazin berichtet in sechs Ausgaben pro Jahr über aktuelle Themen rund um Compensation & Benefits und betriebliche Altersversorgung. Das Magazin, in dem dieser Beitrag erschienen ist, können Sie hier herunterladen.

Was zählt nach der EU-Richtlinie als Jahresentgelt?

Das Entgelt wird sehr breit definiert, da es alle Geld- und Sachleistungen umfasst. Was aus der Richtlinie nicht ganz eindeutig hervorgeht: Müssen diese Leistungen aufgeschlüsselt oder können sie als Paket genannt werden? Zieht man die bisherige EuGH-Rechtsprechung heran, müssten Arbeitgeber die einzelnen Komponenten aufschlüsseln. Das würde bedeuten, dass sie dem Stellensuchenden vor dem Bewerbungsgespräch das Grundgehalt, die variable Vergütung, Mobilitäts- und Verpflegungszuschüsse, Betriebsrenten, Dienstwagen und so weiter vorrechnen. Dieser Punkt wird vom nationalen Gesetzgeber geklärt werden müssen, beziehungsweise von den Arbeitsgerichten.

Angenommen, als unterste Grenze einer Gehaltsrange werden in der Stellenanzeige oder vor dem Bewerbungsgespräch 100.000 Euro genannt. Der dann eingestellte Arbeitnehmer erhält aber nur 95.000 Euro. Kann er den Arbeitgeber verklagen?

Die Richtlinie deutet an, dass die genannte Zahl nicht das letzte Wort sein muss, also der Arbeitgeber nicht an die genannte Gehaltsspanne gebunden ist. Aber: Wenn der für 95.000 Euro Jahresbrutto im Unternehmen Beschäftigte die Auskunft seiner Vergleichsgruppe erhält und erkennt, dass der Durchschnitt dort bei 100.000 Euro liegt, könnte er klagen. Wenn Unternehmen eine Range angeben und ein abweichendes Gehalt vom Durchschnitt einer Vergleichsgruppe des jeweils anderen Geschlechts vereinbaren, kann es bereits kritisch werden. Mit Blick auf den EuGH und die jüngste BAG-Rechtsprechung zur bisherigen Rechtslage ist dies schon ein erstes Indiz dafür, dass eine Ungleichbehandlung vorliegt. Falls der Mitarbeitende den Arbeitgeber verklagt, muss dieser dann darlegen, dass das Gehalt von 95.000 Euro auf sachlich gerechtfertigten Gründen beruht, was für Arbeitgeber recht aufwendig werden wird.

Zieht das Gehaltsranges nach sich, die weniger aussagekräftig sind, also eher beliebig? Geben Unternehmen vielleicht sicherheitshalber zum Beispiel eine Range von 60.000 Euro bis 100.000 Euro an?

Die Gehaltsrange löst für Arbeitgeber dieses Problem nicht. Entscheidend ist, welches Gehalt sie schließlich mit dem jeweiligen Bewerber vereinbaren und inwieweit dieses vom Durchschnitt der entsprechenden Vergleichsgruppe abweicht. Möglicherweise ist eine Folge der Richtlinie, dass Arbeitgeber das Risiko vermeiden werden – Dokumentation und prozessualer Aufwand sind erheblich –, Unterschiede im Gehalt zuzulassen, selbst wenn die Begründung für die Differenz nicht geschlechtsbezogen ist.

Ist in den Gehaltsverhandlungen mit einer potenziellen Kandidatin oder einem Kandidaten eine Abweichung von der genannten Gehaltsrange nach oben möglich?

Wie gesagt, der Arbeitgeber ist nicht an die genannte Gehaltsspanne gebunden. Jedoch muss der Arbeitgeber immer mitdenken, welche Auswirkungen die Erhöhung auf den Durchschnitt in der Vergleichsgruppe hat. Wenn ein Gehalt oberhalb des Durchschnitts liegt, zieht es gegebenenfalls den Durchschnitt hoch. Kann er begründen, warum er davon abweicht? Und führt dies eventuell dazu, dass das jeweils andere Geschlecht sich diskriminiert fühlt, weil es unter diesem Durchschnitt liegt? Arbeitgeber müssen sachliche Gründe für ein Abweichen nach oben nennen können, die nicht geschlechterbezogen sind. Ich sehe ein faktisches Risiko in dieser Richtlinie: Beispielsweise einen High Performer mit einem über dem Durchschnitt liegenden Entgelt einzustellen, führt immer zum Folgerisiko, das ganze Gehaltsniveau hochzuheben, sodass sich Arbeitgeber überlegen könnten, es lieber zu lassen.

Funktioniert es, Talente oder dringend benötigte Fachkräfte, die mehr als das Gebotene fordern, im Vergütungssystem in einer neuen Range oder mit einem anderen neuen Titel einzustellen?

Das ist schwierig, weil die Richtlinie „vergleichbare“ und „gleichwertige“ Arbeit sehr breit definiert. Für Arbeitgeber wird es eine große Herausforderung sein, sicher zu bestimmen, wo die Vergleichsgruppen liegen. Einfach einen anderen Titel „draufzukleben“ wird nicht reichen, wenn man am Ende zu dem Schluss kommt, dass ein Talent eine gleichwertige Arbeit ausführt, auch wenn sie das exzellent macht.

Also bleiben Arbeitgebern beziehungsweise Talenten und High Performern nur Verhandlungen über leistungsabhängige Variablen?

Das ist der Effekt, den ich erwarte. Wenn ich als Arbeitgeber wirklich noch leistungsbezogene Unterschiede abbilden will, dann kann dies nicht über das Grundgehalt geschehen. Spätestens beim Auskunftsrecht wird es für Arbeitgeber schwierig, dies zu verteidigen. Daher müssen Unternehmen ein sauberes variables Vergütungssystem aufziehen: Sie müssen Leistungskriterien definieren, die belastbar sind und keine geschlechtsbezogenen Differenzierungen beinhalten und die Bonifizierungen zulassen. Ein System, das diesen Ansprüchen genügt, wird Unterschiede abbilden können und müssen.

Mit anderen Worten: Der individuelle Leistungsbonus erfährt ein Comeback?

Davon ist auszugehen. Zwar geht der Trend in den vergangenen Jahren zu Bonuszahlungen, die von Team oder Unternehmenszielen abhängig sind und in denen individuelle Leistungen häufig nur noch mit einem geringeren Prozentsatz vertreten sind. Denkbar ist daher ein Roll-back, bei dem individuelle Unterschiede verstärkt abgebildet werden und Arbeitgeber ein Vergütungssystem aufsetzen, das auf individuelle Leistungsziele abstellt. Als Folge der EU-Transparenzrichtlinie können wir wahrscheinlich künftig beobachten, dass die Grundgehälter kleiner und leistungsbezogene Komponenten größer werden. Das ist sicherlich nicht im Sinne des Erfinders, aber Geld kann man halt nur einmal ausgeben. Es gibt Branchen, in denen fünfstellige Boni durchaus üblich sind. Ebenso gibt es Bereiche, in denen überhaupt kein Bonus gewährt wird. Das könnte sich vermutlich mit der Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie ändern. Sicher ist auf jeden Fall, dass auf Arbeitgeber und Betriebsräte viel Arbeit zukommt. Es gilt, überkommene Vergütungssysteme neu zu denken.

In Österreich werden Gehälter für Stellenbewerber schon seit zehn Jahren veröffentlicht, allerdings mit Ausnahmen für Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder einer Kapitalgesellschaft und leitende Angestellte mit maßgeblichem Einfluss auf die Unternehmensführung. Ist das auch für Deutschland denkbar?

Die Richtlinie sieht keine Ausnahmen für bestimmte Arbeitnehmergruppen vor. Sie greift auf den europäischen Arbeitnehmerbegriff zurück, der auch Geschäftsführer und ähnliche Positionen umfasst. Das bedeutet, dass ab 2026 in Österreich solche Sonderregelungen nicht mehr möglich sein werden. Auch der deutsche Gesetzgeber hat hier keinen Spielraum.

Wann wird die nationale Anpassung der EU-Transparenzrichtlinie kommen, und was wünschen Sie sich vom Gesetzgeber?

Ich gehe davon aus, dass die Anpassung nicht mehr in dieser Legislaturperiode geschieht, dann bliebe für die nächste Bundesregierung allerdings wenig Zeit für die Umsetzung. Viel Spielraum hat der Gesetzgeber in der EU-Richtlinie nicht mehr, aber er sollte den wenigen nicht nutzen, die Richtlinie noch enger zu fassen. Zum Beispiel die Arbeitgeber nicht zwingen, die Entgeltspanne bereits in der Stellenanzeige zu nennen.

Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.