Der Höhe und Ausgestaltung der Mitarbeitenden- und Managementvergütungen kommt eine entscheidende Rolle bei der Gewinnung und Bindung von Personal zu. Die meisten Unternehmen führen regelmäßige Benchmark-Analysen durch, um hinsichtlich der Vergütung weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Jüngste Entwicklungen zeigen, dass die Analyse von Vergütungen eine differenzierte und branchenspezifische Betrachtung erfordert.
Zwar betreffen globale Krisen wie die Covid-19-Pandemie oder hohe Inflationsraten alle Branchen, doch die Auswirkungen auf einzelne Industrien sowie die Art und Weise, damit umzugehen, sind durchaus unterschiedlich. Dies geht aus der aktuellen Mercer-Studie „Industry Reward Trends in Europe“ zu Vergütungstrends in verschiedenen Industrien in Europa hervor.
Trends in der Grundvergütung
Im europäischen Raum lässt sich mit Blick auf die Grundvergütung feststellen, dass die Chemie- sowie Energiebranche überdurchschnittlich hohe Grundgehälter zahlen. Innerhalb der Chemiebranche wurden zuletzt Einmalzahlungen gewährt sowie Gehälter an die Inflation angepasst. Die hohe Volatilität des Öl- und Gasangebots zwingt Energieunternehmen, vermehrt auf diversifizierte Energiequellen zu setzen. Hinzu kommt der steigende Druck seitens der EU, von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energiequellen umzusteigen. Für diesen Wandel bedarf es bestimmter Skills, die aktuell nur in geringem Umfang vorhanden sind und eine Umschulung von Mitarbeitenden voraussetzt (Reskilling/Upskilling). Der Bedarf nach kritischen Skills und die gleichzeitig geringe Zahl an Talenten mit solchen Fähigkeiten sorgen dafür, dass eine hohe Grundvergütung unabdingbar ist.
Relativ hohe Grundvergütungen lassen sich auch in der Landwirtschaft, der Life-Science-, Hightech- und Konsumgüterbranche wiederfinden. Innerhalb der Life-Science-Branche werden ebenfalls Einmalzahlungen sowie inflationsbedingte Gehaltsanpassungen beobachtet. Während die genaue Höhe der Grundvergütung in der Hightech-Industrie von der konkreten Größe des jeweiligen Unternehmens und der Subindustrie, in der es operiert abhängt, tendieren große Konzerne zu Grundgehältern, die deutlich oberhalb des allgemeinen Marktmedians liegen. Die Konsumgüterindustrie zahlt im Vergleich zu vorherigen Jahren zwar deutlich geringere Grundgehälter, gehört aber nach wie vor zu den gutbezahlten Industrien. Die geringste Grundvergütung erhalten Mitarbeitende im Einzelhandel.
Wer gewährt die höchsten Zulagen?
Aus der Studie geht hervor, dass die Energie- und Hightech-Branche die höchsten Zulagen anbieten. Die Zulagenpolitik in der Energiebranche ist häufig komplex, und das Zulagenangebot variiert deutlich zwischen einzelnen Unternehmen. Auch in der Hightech-Branche hängt das Angebot von Zulagen davon ab, wie groß das Unternehmen ist und welchen Reifegrad es erreicht hat. Die großen Hightech-Unternehmen bieten umfangreiche Nebenleistungspakete an, die alle gängigen Zulagen umfassen. Es lässt sich jedoch feststellen, dass die meisten Tech-Unternehmen die Anzahl sogenannter Wellness-Tage deutlich reduziert haben. Während der Covid-19-Pandemie hatten viele Tech-Unternehmen ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit gegeben, durch die Teilnahme an gesundheitsfördernden Aktivitäten zusätzliche freie Tage zu erhalten. In allen anderen Branchen lässt sich eine marktübliche Zahlung von Zulagen beobachten. Der Einzelhandel bietet neben den gängigen Zulagen häufig eine Sonderzulage für Arbeitskleidung an.
Trends bei den Short Term Incentives
Short Term Incentives (STI) sind in der Energiebranche im Vergleich zum allgemeinen Markt deutlich höher. Hinzu kommt, dass neben der allgemeinen ESG-Orientierung auch die Vergütung zunehmend nachhaltiger gestaltet werden soll. So fordern Investierende und Anteilshabende, ESG-Ziele noch stärker bei STIs einzusetzen. Auch in der Chemiebranche sowie im Life-Science-Bereich und der Landwirtschaft werden vergleichsweise hohe STIs angeboten. In der Chemiebranche sowie der Landwirtschaft liegt der Fokus aktuell auf Sales Incentives. In beiden Branchen wird verstärkt über das Verhältnis von Leistungskennzahlen auf individueller Ebene und Teamebene diskutiert. In der Life-Science-Industrie steht die Überarbeitung bestehender STI-Pläne und deren Anpassung an den Wettbewerb im Vordergrund.
In der Hightech-Branche werden für Rollen außerhalb des Vertriebs STIs gezahlt, die sich am allgemeinen Marktmedian orientieren. Bei Vertriebsrollen wird auf einen aggressiven Pay Mix gesetzt, der beispielsweise im Softwarevertrieb bis zu 50 Prozent variable Vergütung und 50 Prozent Fixgehalt betragen kann. Außerdem gibt es eine abnehmende Tendenz hinsichtlich der Zahlung von Sign-on-Boni, die bei Neueinstellungen gezahlt werden. Gleiches gilt für Retention-Boni, die gezahlt werden, um Mitarbeitende an das Unternehmen zu binden. In der Konsumgüterindustrie sowie dem Einzelhandel sind STI weitverbreitet und generell marktkonform. Im Einzelhandel werden häufig industriespezifische Leistungskennzahlen wie der Net Promoter Score genutzt. Der Umsatzerlös bleibt aber nach wie vor die meistgenutzte Leistungskennzahl.
Long Term Incentives: Ausweitung der Berechtigung?
Die höchsten Long Term Incentives (LTI) werden in der Hightech- sowie Energiebranche gezahlt. In der Hightech-Branche setzen Unternehmen nach wie vor auf Aktienbonuspläne, um begehrte Talente mit strategisch wichtigen Ingenieurskenntnissen zu gewinnen und langfristig zu binden. Tech-Unternehmen halten weiterhin daran fest, Aktienbonuspläne auch auf Ebenen unterhalb des Managements anzubieten. Auffällig ist, dass eine Vielzahl an Unternehmen die Dauer der Vesting-Perioden überdenkt und überarbeitet. In der Landwirtschaft, der Life-Sciences-Branche-, der Chemie- und Konsumgüterindustrie werden tendenziell marktübliche LTIs gezahlt. Diese Leistung wird dort aber aktuell nicht priorisiert. Allerdings gewinnt beispielsweise im Life-Science-Bereich die Gestaltung von LTI-Plänen zunehmend an Bedeutung, während in der Konsumgüterbranche über eine Ausweitung der LTI-Berechtigung auf Ebenen unterhalb des Managements diskutiert wird. Noch ist es in der Konsumgüterbranche allerdings äußerst unüblich, unterhalb des Managements LTIs anzubieten.
Die niedrigsten LTIs werden im Einzelhandel gezahlt. Dort liegen die LTI-Höhen nicht nur unter dem allgemeinen Marktmedian, sondern werden auch ausschließlich Vorstandsmitgliedern angeboten. Zwar wird aktuell über eine Ausweitung der Berechtigung auf bestimmte begehrte Talente insbesondere im Digitalbereich gesprochen, dies ist jedoch sehr selten.
Benefits für die Mobilität
Industrieübergreifend fokussieren Unternehmen bei Mobilitätsleistungen zunehmend auf umweltfreundlichere Alternativen inklusive Hybrid- und E-Autos. Was die konkreten Höhen der Car Benefits anbelangt, liegt die Energiebranche weit vor allen anderen Branchen, dicht gefolgt von der Konsumgüterbranche und der Landwirtschaft. Die Energiebranche setzt verstärkt auf flexible Benefits, um den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeitenden gerecht zu werden. In der Konsumgüterindustrie stellen Car Benefits eine wichtige Leistung dar. Während in Zentral- und Osteuropa Leasingfahrzeuge weitverbreitet sind, nehmen allgemein Kostenzuschüsse für Autos weiter zu. Die Chemie- und Life-Science-Industrie bieten marktübliche Car Benefits an. Nur die Hightech-Industrie und der Einzelhandel bieten vergleichsweise niedrige Car Benefits an. In der Hightech-Industrie lässt sich dies zum einen darauf zurückführen, dass die meisten Büros zentral liegen und auch ohne Auto gut erreichbar sind. Zum anderen wird mit diesem Ansatz versucht, junge Talente mit einem hohen Umweltbewusstsein anzuziehen. Im Einzelhandel sind derzeit Zuschüsse für Autos häufiger zu sehen.
Fazit
Abschließend lässt sich festhalten, dass der Energiesektor über alle Vergütungselemente hinweg am meisten zahlt. Der Einzelhandel wiederum bildet bei fast allen Vergütungselementen das Schlusslicht. Die aktuelle Mercer-Studie zeigt, dass es zwar deutliche Überschneidungen zwischen den einzelnen Branchen beispielsweise im Hinblick auf Nachhaltigkeit bei Mobilitätsleistungen gibt. Gleichzeitig bestehen signifikante Unterschiede zum Beispiel bei der LTI-Berechtigung und den LTI-Höhen zwischen den einzelnen Branchen. Um diesen Unterschieden Rechnung tragen zu können, ist eine branchenspezifische Analyse der Vergütungen zwingend erforderlich.
Autor
Patrick Gutmann
Principal, European Leader Industries and Networking, Career und Workforce Solutions, Mercer, patrick.gutmann@mercer.com, www.mercer.de
Dr. Björn Hinderlich
Partner, Executive Rewards Solution, Leader Central & Eastern Europe, Mercer, bjoern.hinderlich@mercer.com, www.mercer.de
Anahita Korn
Junior Consultant Rewards, Central Europe, Career und Workforce Solutions, Mercer, anahita.korn@mercer.com, www.mercer.de
