In den vergangenen Jahren ist eine Dynamik in der Gehaltsentwicklung in Deutschland zu beobachten, welche es in dieser Intensität und Breite in den letzten Jahrzehnten nicht gab. Angefeuert durch die steigende Inflation Anfang 2022 und den spürbar zunehmenden Fachkräftemangel wächst der Druck auf Unternehmen, wettbewerbsfähige Gehälter zu zahlen. Gleichzeitig stellen sich viele Arbeitgeber die Frage, wie sie sich diesem Druck stellen können – ohne gleichzeitig Bewerbende zu verlieren, die interne Gehaltshygiene zu gefährden oder auch die Personalkosten in die Höhe zu treiben.
Wir beobachten eine deutlich zunehmende Nachfrage nach aktuellen Vergütungsdaten. Auslöser ist die Sorge vieler Unternehmen, aufgrund ihrer Gehaltsstrukturen die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Sie fürchten, dass es noch schwieriger wird, geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für Neueinstellungen zu gewinnen, sowie wertvolle und geschätzte Mitarbeitende an andere Unternehmen zu verlieren. Vor diesem Hintergrund ist es von großer Bedeutung, eine valide Informationsgrundlage zu den marktüblichen Vergütungen zu schaffen und damit richtig umzugehen. Analysen der Vergütungsbenchmarks liefern in dieser Situation eine solide Argumentationsbasis für Gehaltsrunden und -gespräche. Sowohl bei der Zusammenstellung der Datenbasis als auch bei deren Interpretation sind allerdings einige Faktoren zu beachten. Mit diesem Beitrag wollen wir Ihnen dafür entsprechendes Handwerkszeug an die Hand geben.
Datenquellen unter der Lupe
Die Grundlage eines Vergütungsbenchmarks ist die Datenbasis, die zur Ermittlung eines marktüblichen Entgelts dient. Als Datenquellen stehen einige Alternativen zur Verfügung: kostenlose Angebote im Internet, administrative Quellen wie zum Beispiel das Statistische Bundesamt sowie in der Regel zahlungspflichtige Produkte oder Dienstleistungen von Beratungshäusern (Vergütungsstudien, Club Surveys, Online-Tools und andere). Eine weitere Alternative sind die sogenannten Individualbenchmarks: Vergütungsberatungen werten die ihnen zur Verfügung stehenden Daten passgenau für den spezifischen Kontext des Kunden aus und leiten Empfehlungen zur Positionierung der Vergütung ab. Jede der genannten Möglichkeiten führt zu einer Angabe der marktüblichen Vergütungshöhe. Je nach Datenquelle zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede hinsichtlich der Vollständigkeit, Vergleichbarkeit und Vertrauenswürdigkeit der Zahlen, die für die spätere Interpretation der Ergebnisse relevant sind.
- Vollständigkeit: Die Vollständigkeit der Daten spielt eine wesentliche Rolle, um umfassende Antworten zur Positionierung im relevanten Wettbewerbsumfeld geben zu können. Wie unterscheiden sich die potenziellen Datenquellen? Frei verfügbare Vergütungsinformationen im Internet beruhen mehrheitlich auf den freiwilligen Angaben von Privatpersonen. Da diesen oftmals nicht das vollständige Vergütungspaket präsent ist (zum Beispiel werden Zulagen oder die Vergütung von Überstunden außer Acht gelassen), ist die Vollständigkeit der Daten nicht durchgängig gesichert. Ähnlich sieht es bei den Zahlen des Statistischen Bundesamts oder der Bundesagentur für Arbeit aus, wenn auch aus anderen Gründen. In Datenerhebungen zu administrativen Zwecken wird exakt das erhoben, was für den Zweck notwendig ist, jedoch fehlen oftmals ergänzende Faktoren, die zur Interpretation der Daten wertvoll sein können. Dazu zählen beispielsweise genauere Auskünfte zu den Unternehmen oder weiteren Vergütungsbestandteilen wie etwa Benefits. Vergütungsdaten von Beratungshäusern umfassen dagegen neben der reinen Datenbasis auch ergänzende Informationen und werden in der Regel direkt bei den Arbeitgebenden erhoben.
- Vergleichbarkeit: Eine weitere Dimension der Datenqualität liegt in der Vergleichbarkeit der erhobenen Daten. Bei kostenlosen Providern im Internet ist zu berücksichtigen, dass ihre Daten meistens von Privatpersonen stammen. Deren Interpretation von Vergütungsbestandteilen kann durchaus unterschiedlich ausfallen. So geben etwa einige bei der variablen Vergütung die ausgezahlte Summe (den sogenannten Ist-Bonus) an; andere wiederum den Betrag, den sie bei 100 Prozent Zielerreichung erhalten würden (den sogenannten Ziel-Bonus). Im Gegensatz dazu ist bei administrativen Daten die Vergleichbarkeit in besonderem Maße gegeben, da ein zentrales Ziel der handelnden Institutionen eine Zusammenführung der Daten ist und die Erhebungsprozesse in hohem Maße standardisiert sind. Bei Beratungshäusern wiederum hängt die Vergleichbarkeit der Daten davon ab, mit welchen Prozessen und Qualitätsansprüchen die Datenkonsolidierung durchgeführt wird. Hier zeigen sich beispielsweise zwischen Personal- und Managementberatungen teils deutliche Unterschiede in den Vorgehensweisen, die bei der Analyse und Bewertung der Daten berücksichtigt werden sollten. Stellvertretend dafür sei der Einsatz von Lösungen genannt, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, um bei der Datenaufbereitung Anomalien zu finden oder Matching-Prozesse zu unterstützen.
- Vertrauen: Eine weitere wesentliche zu klärende Frage lautet, inwieweit ein Arbeitgeber der Datenquelle vertrauen kann. Bei Providern, deren Datenbasis auf Angaben von Privatpersonen basiert, sind inkorrekte Daten durch bewusst höhere oder niedrigere Gehaltsangaben möglich. Grund dafür ist der sogenannte Social Desirability Bias, die besagt, dass sich Privatpersonen bei der Beantwortung von Fragen zu sensiblen Themen an sozialen Leitplanken orientieren. Dagegen sind administrative Daten im höchsten Maße vertrauenswürdig, da ihre Erhebung und Korrektheit teilweise durch Gesetze geregelt sind. Die Vergütungsdaten aus Beratungshäusern stammen in der Regel aus der vorbereitenden Lohnbuchhaltung ihrer Kunden. Diese Daten haben an sich schon den Anspruch, korrekt zu sein, da kein Arbeitnehmender eine zu geringe Auszahlung akzeptiert und kein Arbeitgebender unachtsam Geld verschenkt. Der zugrunde liegende datenbildende Prozess sorgt für ihre Korrektheit, sodass die Angaben im höchsten Maße vertrauenswürdig sind.
Ob die vorliegende Datenbasis die Qualitätskriterien der Vollständigkeit, Vergleichbarkeit und Vertrauenswürdigkeit erfüllt, gilt es im Einzelfall kritisch zu prüfen. Die drei Dimensionen bieten an dieser Stelle Orientierung. Sofern die Qualität der Datenbasis gesichert ist, besteht der nächste wichtige Schritt darin, mit den Daten zu arbeiten und den Marktrahmen zu definieren.
Welchen Vergleichsmarkt heranziehen?
Die Spezifizierung des Vergleichsmarktes und das richtige Funktionsverständnis bilden entscheidende Hebel für passgenaue Ergebnisse von Vergütungsbenchmarks. Wer ein marktübliches Entgelt anstrebt, muss sich die Frage stellen, mit welchem Markt eine bestimmte Funktion verglichen werden soll. Wird dieser Vergleichsmarkt zum Beispiel als Rekrutierungsmarkt definiert, oder wird lediglich das direkte Wettbewerbsumfeld einbezogen?
Bei branchenübergreifenden Querschnittsfunktionen wie zum Beispiel in den Bereichen Personal oder IT werden Mitarbeitende in der Regel nicht nur im direkten Branchenumfeld rekrutiert (oder verloren), da auch Arbeitgeber aus anderen Arbeitsgebieten außerhalb des direkten Wettbewerbsumfelds des Unternehmens um Kandidatinnen und Kandidaten konkurrieren. Wird dieser erweiterte Rekrutierungsmarkt betrachtet, ist außerdem zu klären, ob branchenübergreifend oder nur ausgewählte Branchen analysiert werden sollen. Neben dem Arbeitsgebiet spielt auch die Regionalität bei der Definition des Vergleichsmarkts eine wichtige Rolle: Sind regionale Vergütungsunterschiede von Bedeutung? Hierbei kann eine grobe Faustregel herangezogen werden: Je höher die Wertigkeit einer Funktion ist, desto weniger spielt das regionale Gehaltsniveau eine Rolle.
Tiefes Funktions- und Organisationswissen vorhanden?
Außerdem gilt es, die Eigenschaften der Organisation und der Funktion zu verstehen. So spielt das Operating Model eines Unternehmens eine große Rolle für die Wertigkeit der Position. Es macht einen entscheidenden Unterschied für das marktübliche Gehalt einer IT-Leitung, ob sie lediglich operativ den Betrieb betreut oder eine maßgebliche Rolle im digitalen Transformationsprozess des Unternehmens innehat. Zu verstehen, wie die Organisation funktioniert und welchen Einfluss dies auf die Wahl der zu berücksichtigenden Vergleichsunternehmen hat, ist in vielen Fällen eine komplexe Aufgabe.
Neben den oben genannten Faktoren spielen weitere Aspekte eine wichtige Rolle: Sind die Unternehmen von ihrer Größe und Komplexität her vergleichbar? Ist die Rechtsform zu berücksichtigen? So sind beispielsweise öffentliche Unternehmen und Verbände kaum mit Unternehmen der Privatwirtschaft vergleichbar. Aus diesem Grund nimmt die Selektion der Vergleichsgruppe eine zentrale Rolle eines Vergütungsbenchmarks ein. Vergütungsberatungen führen diesen Schritt grundsätzlich gemeinsam oder zumindest in enger Abstimmung mit den Kundenunternehmen durch.
Zu guter Letzt ist die Interpretation der Analyse der Funktion selbst essenziell für die Herstellung von Vergleichbarkeit. Präzise formulierte (und zur Realität passende) Funktionsbeschreibungen der unternehmenseigenen Position sowie der Vergleichspositionen der externen Quelle sind von großer Bedeutung, um ein passgenaues Matching vornehmen zu können. Bei der Zuordnung von vergleichbaren Daten können vorhandene Jobgrades (Stellenbewertungen) sehr hilfreich sein.
Fazit
Die derzeitige Dynamik bei Gehaltsentwicklungen und neue Anforderungen im Bereich Gender Pay und Entgelttransparenz zwingen Unternehmen, sich angemessen mit der marktüblichen Vergütung auseinanderzusetzen. Die Ausgestaltung eines wettbewerbsfähigen Entgelts ist bei der Gewinnung von Talenten und der Bindung geschätzter Mitarbeitender von großer Bedeutung. Die Arbeitgeber sind hier gut beraten, ihre „Hausaufgaben“ zu machen und dabei nicht nur auf eine Zahl (wie zum Beispiel die Gesamtbarvergütung), sondern auch auf die weiteren relevanten Vergütungsaspekte wie den Pay Mix aus fixer und variabler Vergütung, Zulagen, attraktiven Benefits und anderem zu achten.
Gerade Benefits gewinnen als differenzierendes Merkmal im Wettbewerb zunehmend an Bedeutung. In einer aktuellen Arbeitgeberbefragung von Kienbaum bei knapp 800 Unternehmen gaben mehr als die Hälfte der Befragten an, dass sie zusätzliche Benefits zur Differenzierung einführen werden. Weitere aktuelle Kienbaum-Untersuchungen von rund 1200 Arbeitnehmenden legten offen, dass rund drei Viertel der Befragten auch das Benefits-Portfolio vergleichen, wenn sie sich zwischen zwei Jobs entscheiden können. Daraus wird ersichtlich, dass zu einem sinnvollen Vergütungsbenchmark auch diese Komponenten einbezogen werden sollten.
Ergänzend gilt zu beachten, dass neben der Vergütung noch weitere Aspekte zur Mitarbeitendengewinnung und -bindung relevant sind. So spielen etwa die Kultur, das Verhalten der Führungskräfte, die Reputation oder auch die Standortattraktivität eines Unternehmens eine wichtige Rolle. Inwieweit ein Arbeitgeber Entwicklungsfelder in diesen Aspekten durch ein Mehr an Vergütung kompensieren muss, ist ein weiterer Punkt, der in diesem Kontext berücksichtigt werden sollte.
Da die Gehaltsdynamik auf dem Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren nach unseren Umfragen nicht abnehmen wird, bleibt die umsichtige Generierung von validen Vergütungsbenchmarks von großer Bedeutung. Dabei gilt es im Blick zu behalten, dass das Entgelt nur eine von mehreren wichtigen Komponenten ist, um Mitarbeitende zu gewinnen oder zu binden. Auf diese Weise gut vorbereitet, können die Verantwortlichen Gehaltsverhandlungen sachlich begründet führen und den Forderungen von Bewerbenden und Mitarbeitenden angemessen begegnen.
Autor
Dr. Michael Kind
Director
Kienbaum Consultants International GmbH
michael.kind@kienbaum.de
www.kienbaum.de
Dr. Julia Leitl-Civan
Senior Manager
Kienbaum Consultants International GmbH
julia.leitl-civan@kienbaum.de
www.kienbaum.de
Dr. Vera Bannas
Manager
Kienbaum Consultants International GmbH
vera.bannas@kienbaum.de
www.kienbaum.de
