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Entgeltgleichheit: ungerechtfertigte Pay Gaps aufspüren und beheben

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Mögliche Diskriminierungen in Entgeltstrukturen aufzuspüren und zu beheben, ist ein sehr komplexer Prozess. Einige Instrumente unterstützen Unternehmen dabei, die Entgeltgleichheit zu überprüfen. Außerdem decken sie innerbetriebliche Umstände auf, die die Lohngleichheit von Frau und Mann behindern.

Nach dem Entgelttransparenzgesetz sind Arbeitgeber frei bei der Wahl ihrer betrieblichen Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Lohngleichheit, solange sie sich an die Vorgaben und Ziele des Entgeltgleichheitsgebots und das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG, 8 AZR 450/21) halten. Danach gilt: Für gleiche oder für gleichwertige Arbeit darf nicht wegen des Geschlechts des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder ausgezahlt werden als bei einer Vergleichsperson des anderen Geschlechts.

Lohngerechtigkeit im Betrieb einzuführen und umzusetzen geschieht allerdings nicht einfach auf Ansage, sondern bedarf eines planvollen Prozesses und geeigneter Tools. Um die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern vollständig auszugleichen, ist es zunächst erforderlich, die Arbeitsbedingungen und vor allem die Entgeltstrukturen im Unternehmen genau zu analysieren. Dafür empfiehlt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) einige Werkzeuge.

Sind diese Instrumente geeignet, um der fehlenden Lohngleichheit auf die Spur zu kommen? „Keines dieser Instrumente ist in der Lage, Lohngerechtigkeit umfassend festzustellen, allerdings gibt es auch nicht ‚das‘ eine ideale Tool, das die vielen Bereiche abdeckt, die betrachtet werden müssen“, sagt Sophie Janke, Implementation Consultant bei gradar.com. Da (fehlende) Entgelttransparenz auf vielen Ebenen stattfinde, müsse sie dementsprechend auch auf verschiedenen Ebenen analysiert und sichergestellt werden.

Schließlich gehe es im weitesten Sinne nicht nur darum, die Löhne unter Berücksichtigung verschiedener möglicher Einflussfaktoren (wie Geschlecht, Alter, Nationalität) zu analysieren, sondern auch darum, dass die Chancen, bestimmte Lohnniveaus zu erreichen, für alle diese Personengruppen gleich sind. „Dies beginnt bei der Arbeitsanalyse, geht über die Stellenbeschreibung und Stellenbewertung und reicht bis in die Bereiche der Stellenbesetzung und Beförderungspolitik.“

Die empfohlenen Tools des BMFSFJ dienen auf jeden Fall dazu, die personalpolitischen Augen zu öffnen und Handlungsbedarfe zu erkennen. So basieren EVA und der KMU-Gleichstellungscheck auf Fragebögen, deren Auswertungen personalpolitische Defizite offenlegen.

Logib, ein Standard-Analyse-Tool für Lohngleichheitsanalysen, wurde 2006 in der Schweiz entwickelt. „Es erlaubt, ein erstes Bild zu gewinnen, wie groß die Lohnungleichheit in einem Unternehmen ist“, sagt Henrike von Platen, Hochschulrätin und CEO des FPI Fair Pay Innovation Lab. Allerdings sei Logib in Deutschland nie weiterentwickelt worden. Sicher ist: Wenn der Geschlechtereffekt statistisch signifikant ist, benötigen Unternehmen weitere Analysen, um die Ursachen für die Lohnlücken zu finden.

Schwachpunkt Stellenbewertung

Problematisch für Unternehmen bei der Bewertung des Gender Pay Gaps ist die Definition von „gleicher“ oder „gleichwertiger“ Arbeit. „Tatsache ist, dass die Wertigkeit einer Stelle der Haupttreiber für Vergütungsunterschiede ist – und ja auch sein soll“, sagt Jennifer S. Schulz von hkp///group. Die Vergütungsexpertin merkt an: Unternehmen, die über kein Stellenbewertungssystem verfügen, haben es schwerer, diskriminierungsfreie Vergütung mittels eines kleinen bereinigten Gender Pay Gap nachzuweisen. „Im Umkehrschluss heißt das: Wenn die Vergütungsgestaltung oder -festlegung überwiegend diskretionär erfolgt, also ohne eine neutrale Systematik, dann besteht ein größeres Risko für unbewusste Diskriminierung.“

Dass eine diskriminierungsfreie Systematik fehlt, ist jedoch keine Ausnahme: „Stellenbewertung ist für viele Organisationen noch kein Begriff“, berichtet Sophie Janke, Implementation Consultant von gradar. com. „Viele Unternehmen erkennen die Notwendigkeit eines Systems erst an, wenn es fast zu spät ist, also Strukturen und Entlohnungspraktiken aus dem Ruder gelaufen sind und Gehälter fast willkürlich oder nach ‚Bauchgefühl‘ festgelegt wurden.“ Ein Stellenbewertungssystem einzuführen, geschehe jedoch nicht über Nacht.

Auch bei den verschiedenen Methoden zur Bewertung von Stellen, wie beispielsweise Rangreihenmethode oder Stellenklassifikation, haben Unternehmen die Qual der Wahl. Die Entscheidung für ein Vorgehen kann wiederum die Ergebnisse beeinflussen und zu Inkonsistenzen führen, sagt Sophie Janke. „Um eine faire und genaue Stellenbewertung zu gewährleisten, ist es von entscheidender Bedeutung, eine klare und konsistente Methodik und Software für Bewertungsverfahren zu wählen, die objektive und standardisierte Kriterien enthält.“

Externe Audits

Damit Arbeitgeber das für sie passende Verfahren finden, hat das FPI eine Übersicht einiger geprüfter Vergütungsberatungen zusammengestellt. Unternehmen können ihre Bedarfe klären und entscheiden, welches Prüfverfahren sich für ihr Haus eignet. Die Entgeltspezialistinnen und -spezialisten ermitteln bei der Verdienststrukturanalyse zum Beispiel die Medianentgelte von Frauen und Männern, die statistische Verteilung von Frauen und Männern auf Betriebs- und Hierarchieebene, nach Tätigkeitsfeldern und nach Entgeltbestandteilen sowie statistische Auffälligkeiten. Die Verfahren unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich der Art der Dateneingabe und Berichterstellung nach § 21 EntgTranspG und § 10 EntgTranspG.

Wie den Pay Gap schließen?

Der unbereinigte Gender Pay Gap liegt in der Regel in vielen Unternehmen zumeist im zweistelligen Bereich. „Die Hauptursache ist in einer ungleichen Karriereentwicklung von Männern und Frauen zu sehen, häufig verbunden mit einem geringeren Anteil an Frauen in den oberen Hierarchieebenen“, sagt Charlotte Thiel von Kienbaum. Der bereinigte Gender Pay Gap liege im Durchschnitt häufig zwischen drei und vier Prozent, „wobei die meisten Unternehmen im Vorfeld der Analysen noch keine Maßnahme ergriffen beziehungsweise sich nicht auf das Problem fokussiert haben“. Bezogen auf das Bewertungssystem bestehe die Problematik darin, dass die Systeme nicht differenziert genug seien, um „gleiche“ beziehungsweise „gleichwertige“ Arbeit zutreffend zu identifizieren. Thiel: „Nicht adäquat aufgestellte Vergütungssysteme oder eine uneinheitliche Anwendung der Systeme innerhalb eines Unternehmens sind Gründe dafür, warum Unternehmen trotz guter Karrieremodelle weiterhin eine bereinigte Entgeltlücke haben.“ Wie anspruchsvoll es ist, den Gender Pay Gap zu schließen, lässt sich auch daran erkennen, dass die meisten Fair-Pay-Zertifizierungen mit drei unterschiedlichen Auszeichnungen arbeiten: Angefangen mit der untersten Stufe für die Anfänger, die guten Willens sind, die Lohnlücke zu schließen, bis zur dritten Stufe, bei der Unternehmen jeliches Pay Gap beseitigt haben.

Wo also liegen aus Arbeitgebersicht die spezifischen Probleme bei der Schließung der Gaps? Es sind erstens die fehlenden oder nicht passenden Stellenwertungssysteme, die diesen Angleichungsprozess erschweren. Und zweitens: Wenn ein Unternehmen nach einer Entgeltstrukturanalyse auf Basis eines Gradings entscheiden würde, künftig allen Mitarbeitenden auf demselben Stellenwertigkeitsniveau ein Gehalt in identischer Höhe zu zahlen, dann könnte theoretisch und praktisch der bereinigte Pay Gap auf einen Schlag bei null liegen. „Doch wie lange die Annäherung an den Null-Status dauert, hängt in der Praxis vom verfügbaren Gehaltsanpassungsbudget und der Höhe des Gaps ab“, erläutert Jennifer Schulz von der Unternehmensberatung hkp///group.

Ein Unternehmen kann den angepassten Gender Pay Gap quasi über Nacht schließen, so es denn will, sagt Henrike von Platen von FPI. Gezeigt habe dies das Unternehmen Puma, das von einem Jahr auf das andere den Gender Pay Gap auf null mit einer Schwankungstoleranz von +/-1 geschlossen hat. „Das ist nach einer durchgeführten Analyse, der entsprechende Gehaltsanpassungen folgen, kein Hexenwerk.“

Müssen Arbeitgeber also davon ausgehen, dass die Lohngleichheit im Endeffekt zu höheren Personalausgaben führt? „Die Kosten werden meist überschätzt. Wenn es um die Schließung des angepassten Gender Pay Gap geht, muss ein Unternehmen in der Regel zwischen ein bis drei Prozent der Lohnsumme einmalig in die Hand nehmen. Dieser Betrag findet sich in der Regel ohnehin im jährlichen Budget für Lohnerhöhungen. Die Kosten sind eine Ausrede. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg zu Lohngerechtigkeit.“

Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.