Onboarding: Auf ins freundliche Hamsterrad
Wenn ein Start-up wächst, wird Personalarbeit plötzlich zum zentralen Thema. Beim Kölner IT-Unternehmen Eyeo kommt dem Onboarding eine mindestens so wichtige Rolle zu wie dem Recruiting. Wir waren vor Ort.
Die muss einerseits Schritt halten mit der Expansion des Unternehmens. HR muss vor allem vorausschauend Maßnahmen zur Integration neuer Mitarbeiter entwickeln. Deren Zahl wächst rapide. Von einer Handvoll ITler zum Start im Jahr 2011 stieg sie zügig auf 70 an. Zum Jahresende werden voraussichtlich 120 Frauen und Männer an Bord sein. Bereits 2014 hatte die Geschäftsleitung deshalb beschlossen, mit Maren Böger eine HR-Managerin einzustellen.
Recruitment und Onboarding der neuen Kollegen im Akkordtempo, in einer Branche, in der Fachkräfte nicht im Überangebot am Markt sind, in ein Unternehmen, das viele Mitarbeiter als Freelancer beschäftigt – und die zum Teil im Ausland beheimatet sind und von dort aus arbeiten: Maren Bögers Job ist das, was man gern eine Herausforderung nennt.
Fachkräfte bevorzugen flache Hierarchie
Die Gründer des Unternehmens haben von Anfang an auf eine hierarchische Struktur verzichtet. Oben die Geschäftsleitung, darunter alle Mitarbeiter – that’s it. „Das schafft ein hohes Maß an Zufriedenheit“, versichert Maren Böger. Eine im März dieses Jahres vorlegelegte Studie zu Organisationsstrukturen in deutschen Unternehmen (siehe Seiten 20 und 21) bestätigt dies. „Vier von fünf Fachkräften in Deutschland wünschen sich flache Hierarchien“, ergab die von Kienbaum und Stepstone unternommene Befragung von 12 000 Angestellten. Beim Recruitment ist die flache Hierarchie also ein klares Plus. „Die Schwierigkeit liegt für uns nicht darin, gute Leute auf uns aufmerksam zu machen“, betont Maren Böger. Aber es werde immer aufwendiger, sie in das rasant wachsende Unternehmen zu integrieren.
„Als wir noch alle an einen Tisch passten, lief das mehr oder weniger von allein. Wir redeten darüber, was uns wichtig ist, wie wir arbeiten, welche Projekte anstehen, was wir vom neuen Kollegen erwarten. Und der schilderte, was er bislang gearbeitet hatte und warum es ihn zu uns zieht.“ Die Frage, ob der oder die Neue zur Kultur des Unternehmens passt, war schnell und im Konsens getroffen.
Zeitnah und selbstkritisch nachfragen
Inzwischen geht es nicht mehr so einfach. Deshalb gibt es bei Eyeo jetzt ein strukturiertes Onboarding in drei Stufen (siehe Kasten, Seite 9). Nach den ersten vier Wochen im Unternehmen fragt HR-Managerin Maren Böger in strukturierten Interviews, welchen ersten Eindruck der Kollege gewonnen hat, was stört und was fehlt. „Wir führen die ersten Interviews zeitnah nach dem Start und nicht erst Monate, nachdem der oder die Neue zu uns gekommen ist“, erklärt die HR-Managerin.
Die Eindrücke müssen frisch sein und uns die Möglichkeit geben, schnell gegenzusteuern, wenn etwas in die falsche Richtung läuft.
Ausgeprägte Skepsis pflegt die HRlerin gegenüber Kennzahlen, die den Erfolg des Recruitings messen. Wer war nach welcher Zeit in welchem Maße produktiv? Wie viele der Neuen sind ein Jahr nach Übernahme noch an Bord? Wer hat aus welchen Gründen das Unternehmen wieder verlassen? „Selbstverständlich messen wir den Erfolg unserer Recruiting-Kanäle sowie weitere KPIs im gesamten Prozess“, so Böger. „Die Zahlen helfen uns, schneller zu identifizieren, auf welcher Stufe wir genauer hinschauen müssen.“ Aber wichtiger als das Erfassen solcher Zahlen sei ihr die individuelle Begleitung im Onboarding. „Wir gehen näher ran an jeden Einzelnen und fragen: Wie hast du das Ankommen in der Firma erlebt? Was war hilfreich? Was war hinderlich, ärgerlich, störend? Und wir fragen bei jeder Antwort präzise nach, warum.“ Das, so Böger, helfe für die stetige Verbesserung des Recruitments mehr, als nackte Zahlen zu erheben.
Die hohe Kunst des kritischen Feedbacks
Trotz der großen Zahl neuer Kollegen versucht Böger weiterhin, sich individuell auf jeden Neuen einzustellen und ihn während der Einarbeitungszeit eng zu betreuen. Das sei angesichts der divers strukturierten Mitarbeiterschaft unbedingt notwendig. „Unsere Leute kommen aus 28 verschiedenen Ländern. Vom Ungelernten bis zum promovierten ITler ist alles dabei.“ Was zählt, seien die Skills – nicht wo sie erworben wurden. Ob der Kandidat fachlich fit ist, merken die Kollegen recht schnell. Schwieriger sei herauszufinden, ob er oder sie auch zur Kultur von Eyeo passt. Zwar sind auch hier die Kollegen zum kritischen Feedback aufgefordert. Das allerdings ist nicht jedermanns Paradedisziplin, weder in Unternehmen mit klassischen Führungsebenen noch in solchen mit flacher Hierarchie.
„Da müssen wir unsere Kollegen schon mal aus der Komfortzone rausholen und dafür sorgen, dass sie offen – und im Zweifel auch mal negativ – über einen Mitarbeiter urteilen“, so die HR-Managerin. Das lapidare „passt schon“ mag für den Augenblick die bequemere Haltung sein, würde aber langfristig nicht nur den unmittelbar betroffenen Kollegen, sondern dem ganzen Unternehmen schaden.
Homebase-Gefühl bindet Mitarbeiter
Nicht nur die flache Hierarchie, sondern auch die große Zahl von Freelancern erfordert ein Konzept, um die Loyalität zum Unternehmen zu festigen. Bei Eyeo versucht HR, die Bindung auch über einen zuverlässigen Service für alle Mitarbeiter zu schaffen. Der Wohlfühlfaktor spielt keine geringe Rolle. Dafür sollen auch moderne helle Büroräume mit Glaswänden, Sofaecken, einer Kaffeebar und einem Spielzimmer für die Kinder der Mitarbeiter sorgen. „Wir möchten jedem, der hier arbeitet, das Gefühl vermitteln, am Unternehmenssitz in Köln seine Homebase vorzufinden“, so Böger. Das begehbare Hamsterrad mit integriertem Stehpult, das im Flur aufgebaut ist, mahnt, auch mal auszusteigen. Temporär, versteht sich.
Autorin:
Barbara Sommerhoff
So läuft das Onboarding bei Eyeo |
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1. Die Onboarding-Planung Ist die Willkommenskarte an den Neuankömmling verschickt? Wer dekoriert den Tisch für den ersten Tag an Bord? Ist die Hardware bestellt, die er oder sie sich für die Arbeit ausgewählt hat? Ist der Account eingerichtet? Die Planung und Vorbereitung umfasst alle organisatorischen Themen und reicht bis hin zum Wohlfühlfaktor. So klärt HR auch, wer mit dem Neuen zum Mittagessen geht, damit der nicht plötzlich allein sitzt. |
2. Die Onboarding-Trainings In den Trainings lernt der neue Kollege die aktuellen Produkte kennen, die Eyeo am Markt hat, und die, die sich in der Entwicklung befinden. Er bekommt Informationen, welche Regeln zum Datenschutz und zum Umgang mit den Medien bei Eyeo gelten, wie der Entwicklungsprozess des Unternehmens aussieht und wer aktuell an welchen Fragen tüftelt. Eine Menge Holz und wenig strukturelle Orientierungspunkte, mit denen jeder Neuankömmling konfrontiert wird. „Wir wollen vermeiden, dass jemand aufgrund der Fülle von Informationen völlig verunsichert nach Hause geht“, erläutert Böger. Damit der neue Mitarbeiter nicht nur passiv Informationen aufsaugt, sondern auch selbst produktiv wird, ist er einem Team vergleichbar qualifizierter Kollegen zugeordnet und erhält ein „Starterprojekt“. Mit dessen Bearbeitung zeigt er seine fachliche Expertise. Zum anderen erkennt er ebenso wie sein Team, ob er mit der Kultur bei Eyeo zurechtkommt. Eine wichtige Funktion im Rahmen des Onboardings bei Eyeo nimmt der Mentor ein. Er gehört dem Team an, dem der Neue zugeordnet ist. Er beantwortet Fachfragen, hat zudem auch ein Ohr für die profanen, gleichwohl wichtigen Themen wie: Wie funktioniert die Kaffeemaschine? Wo trage ich meine Urlaubstage ein? Wie organisiere ich Dienstreisen? |
3. Die Onboarding-Interviews Die erste Onboarding-Phase dauert vier Wochen. Im Anschluss fragt HR-Managerin Maren Böger in strukturierten Interviews, welchen ersten Eindruck der Kollege gewonnen hat, was ihn stört, was fehlt. Erweiterte Feedbackrunden mit inkludiertem Peer-Feedback gibt es nach drei Monaten und zum Ende der Probezeit. Hier sei es besonders wichtig, die wechselseitig formulierten Erwartungen zu prüfen, so Böger. |
+++ Der Beitrag stammt aus der Personalwirtschaft 07/2017. Lesen Sie weiter zum Thema flache Hierarchien in:
› dem Interview mit Dr. Sörgen Droste
› dem Praxistransfer inklusive der
› Bilderstrecke +++