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Streit um Sonderkündigungsschutz: Wann beginnt die Schwangerschaft?

UPDATE 27. Januar 2023: Ende November hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 24.11.2022, Az.: 2 AZR 11/22) seine bisherige Berechnung mit dem Ergebnis 280 Tage noch einmal klargestellt. Nur „durch eine generalisierende Betrachtungsweise mit größtmöglichem Umfang des Kündigungsverbots” sei gesichert, dass alle schwangeren Arbeitnehmerinnen in den Genuss des Kündigungsverbots kämen. Mehr bei unserem Partnerportal Betriebsratspraxis24.de.

Ursprüngliche Nachricht vom 11. Januar 2022:

Gemäß Mutterschutzgesetz dürfen Arbeitnehmerinnen während der Schwangerschaft nicht gekündigt werden. In Fällen, in denen zweifelhaft ist, ob die Mitarbeiterin zum Kündigungszeitpunkt bereits schwanger war, sind nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom voraussichtlichen Entbindungstermin 266 Tage zurückzurechnen, um den Schwangerschaftsbeginn zu ermitteln (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.12.2021, Aktenzeichen 4 Sa 32/21) – zwei Wochen weniger, als bisher in der Rechtsprechung üblich.

Das LAG hatte über die Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin zu entscheiden, die Anfang November 2020 – während ihrer Probezeit – vom Arbeitgeber gekündigt wurde. Später legte die Frau eine Schwangerschaftsbescheinigung vor und klagte gegen die Kündigung. Der voraussichtliche Geburtstermin wurde mit dem 5. August 2021 angegeben. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren war umstritten, ob die Frau zum Zeitpunkt der Kündigung schon schwanger war.

LAG Baden-Württemberg weicht von BAG-Rechtsprechung ab

Sowohl das Arbeitsgericht in erster Instanz als auch das LAG Baden-Württemberg wiesen die Kündigungsschutzklage ab und gaben dem Arbeitgeber Recht. Beide Gerichte wichen in ihren Urteilen von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ab, das in solchen Fällen üblicherweise 280 Tage zurückrechnet, um den Beginn der Schwangerschaft zu ermitteln. Nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg führt die Berechnungsmethode des BAG aber zu Ergebnissen, die „mit typischen Schwangerschaftsverläufen nicht in Deckung zu bringen seien“.

Das LAG Baden-Württemberg hält einen Zeitpunkt von 266 Tagen vor der voraussichtlichen Entbindung für geeigneter, um den Schwangerschaftsbeginn zu ermitteln. Schließlich erfolge „die Befruchtung der Eizelle durchschnittlich erst am 12. oder 13. Zyklustag“. Eine weitere Vorverlegung des Schwangerschaftsbeginns würde den Kündigungsschutz nach Ansicht des LAG zu einem Zeitpunkt beginnen lassen, an dem eine Schwangerschaft nicht nur wenig wahrscheinlich, sondern extrem unwahrscheinlich und praktisch fast ausgeschlossen sei.

Rechnet man von einem voraussichtlichen Entbindungstermin 5. August 2021 nicht 280 Tage, sondern nur 266 Tage zurück, so hätte der Schwangerschaftsbeginn erst am 12. November 2020 und somit nach dem Zugang der Kündigung vorgelegen. Dementsprechend war das LAG der Ansicht, die Arbeitnehmerin könne sich nicht auf den Sonderkündigungsschutz berufen.


(Der Artikel erschien zuerst am 11. Januar 2022 und wurde zuletzt am 27. Januar 2023 aktualisiert.)

ist freier Journalist aus Biberach/Baden und schreibt regelmäßig News und Artikel aus dem Bereich Arbeitsrecht.