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IAB-Studie: Kurzzeitkonten auf Rekordhoch

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473 Millionen Stunden waren im vierten Quartal 2023 auf Kurzzeitkonten verbucht. Wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie vermeldet, stieg die Zahl der dort angesparten Arbeitszeit damit binnen zehn Jahren um rund die Hälfte: 2013 lag die Zahl noch bei 323 Millionen Stunden.

Flexibilität wird zur Norm

Seinerzeit nutzte laut Studie lediglich rund jeder siebte Betrieb in Deutschland Kurzzeitkonten. Bis 2023 hat sich dieser Anteil auf 29 Prozent nahezu verdoppelt. Besonders verbreitet sind Kurzzeitkonten in größeren Betrieben: In Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden liegt der Anteil bei 48 Prozent, in Kleinstbetrieben mit weniger als zehn Mitarbeitenden dagegen nur bei 20 Prozent. Auch tarifgebundene Unternehmen und Betriebe mit Betriebs- oder Personalrat nutzen dieses Instrument häufiger – wohl nicht zuletzt, weil es hier oft verbindliche Regelungen zur Mitbestimmung gibt.

Branchenunterschiede: Wer bucht am meisten?

Die meisten angesparten Stunden verzeichnete der Bereich Handel, Instandhaltung und Reparatur mit 84 Millionen Stunden, gefolgt vom Gesundheits- und Sozialwesen (65 Millionen) und den sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (43 Millionen). Auch die öffentliche Verwaltung bringt es auf beachtliche 38 Millionen Stunden.

Auffällig: Besonders in Branchen mit saisonalen Schwankungen oder Fachkräftemangel haben sich Kurzzeitkonten etabliert. In der Landwirtschaft etwa lag der Durchschnitt pro Konto bei 59 Stunden – ein Höchstwert, der sich mit den erhöhten Arbeitsanforderungen im Sommer erklären lässt.

Strategisches Polster, unbezahlte Leistung

Was auf den ersten Blick wie eine Win-win-Lösung aussieht, hat seine Tücken. Die Beschäftigten haben quasi „auf Kredit“ gearbeitet, ohne dass ihnen die abgeleisteten Stunden sofort ausbezahlt wurden. Die Forscherinnen und Forscher des IAB beziffern diesen „Kredit“ an die Arbeitgeber auf rund 9,45 Milliarden Euro, was der Nettolohnsumme der knappen halben Milliarde Stunden entspreche. Umgerechnet könnten alle betroffenen Beschäftigten knapp sechs Tage am Stück frei nehmen, um die Konten wieder auf Null zu bringen.

Dazu kommen rund fünf Milliarden Euro an nicht geleisteten Sozialversicherungsbeiträgen sowie 1,92 Milliarden Euro an Lohnsteuer, die zwar bei Auszahlung fällig würden, aber bis dahin dem Sozialsystem fehlen. Zwar gleichen sich diese Effekte bei einem späteren Abbau der Stunden teilweise aus – der kontinuierlich positive Saldo zeigt jedoch: Es wird weitaus mehr gearbeitet als ausgeglichen.

Die Entwicklung geht zulasten klassischer Überstundenvergütungen. Laut IAB wurden in den letzten Jahrzehnten bezahlte Überstunden zunehmend durch transitorische Überstunden ersetzt – also durch Mehrarbeit, die durch Freizeit ausgeglichen wird. Für Unternehmen bedeutet das: geringere Lohnstückkosten und mehr Flexibilität.

Fachkräftemangel als Treiber

Ein weiterer Faktor, der den Trend zur Arbeitszeitflexibilisierung antreibt, ist der Fachkräftemangel. Die IAB-Studie zeigt: In Betrieben mit hoher Vakanzrate – also vielen offenen Stellen – steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Kurzzeitkonten eingeführt werden. Denn durch flexible Zeitmodelle ließe sich das vorhandene Personal effizienter einsetzen, heißt es seitens des IAB.

Allerdings: Während die Wahrscheinlichkeit der Einführung solcher Konten durch Personalengpässe steigt, habe der Fachkräftemangel keinen signifikanten Einfluss auf die durchschnittlich angesparte Stundenzahl pro Konto. Heißt: Die Konten würden häufiger genutzt, aber nicht unbedingt stärker „aufgeladen“.

Was können Unternehmen tun?

Kurzzeitkonten sind allerdings noch aus einem anderen Grund wichtig, betont Stefanie Geyer, die bei der IG Metall das Ressort Frauen und Gleichstellung leitet: „Selbstbestimmte Arbeitszeiten sind ein wichtiger Faktor, um die Erwerbstätigenquote zu erhöhen“, sagte sie der Tageszeitung Welt.

Gerade für Eltern oder pflegende Angehörige könne eine flexible, aber verlässliche Gestaltung der Arbeitszeit den entscheidenden Unterschied machen. Unternehmen sollten daher dafür sorgen, dass Beschäftigte aktiv mitentscheiden können, wann sie Plusstunden auf- und abbauen – „Zeitsouveränität ist kein Luxus, sondern ein Wettbewerbsfaktor“.

Info

Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.