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New Work in Deutschland – Wie kann es funktionieren?

Frage an die HR-Werkstatt: Was braucht es, um New Work in Deutschland zu implementieren?

Es antwortet: Tina Ruseva, Coachin und Gründerin von Mentessa

Während europäische Länder wie Finnland oder die Niederlande zu den Vorreitern der New-Work-Konzepte gehören, hinkt Deutschland hinterher. Um diesem Zustand entgegenzuwirken, wurde unter anderem kürzlich der „Bundesverband New Work – Gemeinsam für neues Arbeiten” ins Leben gerufen. Der Verband zielt darauf ab, Unternehmen und Organisationen zu vernetzen und weiterzubilden, um das Thema New Work voranzutreiben. Doch wieso tut sich Deutschland mit der Implementierung von New Work so schwer?

Der Begriff „New Work“ beschreibt eine moderne Arbeitsphilosophie, die auf Flexibilität, Eigenverantwortung und Zusammenarbeit basiert. Aktuelle Themen wie die Vier-Tage-Woche, Equal Pay und Remote Work stehen dabei im Mittelpunkt der Arbeitswelt-transformation. In anderen Ländern wie Frankreich, Finnland oder Neuseeland haben diese Konzepte bereits erste Erfolge gefeiert. Auch in Deutschland erhielt das mobile Arbeiten durch die Pandemie einen Schub. Dennoch stehen der Bewegung hierzulande Hürden im Weg.

In Deutschland ist die Arbeitswelt geprägt durch ein komplexes Beziehungs- und Interessendreieck von Mitarbeitenden, Unternehmen und Staat. Während Unternehmen unter anderem ihr Produkt kostengünstiger herstellen und verkaufen wollen als die Konkurrenz, verfolgen Mitarbeitende eigene Interessen und Leidenschaften. Zugleich wird das Zusammenspiel durch Gesetze, wie Datenschutz, Handelsgesetz oder Betriebsverfassungsgesetz, überwacht. Hinter der vermeintlichen Sachlichkeit dieser Gesetze verbergen sich soziale Überzeugungen und Wertvorstellungen der Gesellschaft. In diesem komplexen Wechselspiel wird ein Unternehmen zur Gesamtheit der Interessen, Werte und Beziehungen aller beteiligten Akteure – und dasselbe gilt für die Arbeitswelt. Um New Work einzuführen, muss also an all diesen Stelle angesetzt werden.

Die Umsetzung von New Work in Deutschland erfordert die Kombination aus kulturellem Wandel in Unternehmen, regulatorischen Anpassungen durch den Staat und persönlicher Entwicklung. Um diese Veränderungen zu bewirken, müssen wir also über Leidenschaften, Beziehungen und Werte sprechen, die das Interessendreieck befüllen – von großen, allgemeinen Aspekten bis hin zu persönlichen, individuellen Erfahrungen.

  1. Persönlicher Wandel: Was müssen Mitarbeitende verändern?

Komplexe Veränderungsthesen beginnen oft mit einem Blick auf das große Ganze und enden mit dem Gedanken, jeder und jede einzelne müsse bei sich selbst beginnen. Im Kontext von New Work ist der persönliche Wandel jedoch besonders entscheidend. Denn um die Vorteile der Bewegung zu genießen, müssen Mitarbeitende lernen, auch mit unerwünschten Konsequenzen umzugehen. Beispielsweise bevorzugen 80 Prozent der Millennials und Generation Z laut einer Studie von Deloitte solche Arbeitgeber, die flexible Arbeitsmodelle und eine gute Work-Life-Balance bieten. Gefragt sind mitunter also flexible Arbeitszeiten. Doch das erfordert eine disziplinierte und transparente Dokumentation, zu der viele noch nicht bereit sind. Im Arbeitsalltag wird leicht vergessen, dass flexible Rahmenbedingungen eine disziplinierte Umsetzung fordern.

Ähnlich verhält es sich mit flachen Hierarchien. Laut einer Umfrage von T-Systems sind sie von 92 Prozent der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwünscht. Im Kontrast dazu zeigen jedoch nur 42 Prozent Interesse an einer Führungsrolle. Da bei geringerer Kontrolle auf Führungsebene jeder und jede Einzelne mehr Selbstführung und Eigeninitiative zeigen muss, sind die Werte in dieser Hinsicht inkompatibel. Getreu des NIMBY-Syndroms, unterstützen Arbeitnehmende Veränderungen, wie etwa Equal Pay, oft nur so lange, bis sie von ihren Konsequenzen negativ betroffen sind. Wer New Work leben möchte, muss diese Arbeitsphilosophie jedoch auch selbst verkörpern – autonom, empowered und purpose-getrieben.

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  1. Regulatorischer Wandel: Was muss der Staat verändern?

Ein großes Hindernis der New-Work-Bewegung ist die Tatsache, dass wir arbeiten müssen. Unsere kostspielige Welt erlaubt vielen nicht, einen Job zu finden, der ihren Werten und Fähigkeiten entspricht. Die Freiheit, einen Job auszuführen, den man wirklich will, erfordert nämlich finanzielle Sicherheit: Man muss dafür in der Lage sein, einen Job aufzugeben, der nicht den eigenen Bedürfnissen und Kompetenzen entspricht. Viele müssten dafür jedoch ihre Existenz gefährden. In Deutschland bietet die soziale Marktwirtschaft Sozialleistungen, die dagegen absichern sollen. Doch wenn New Work in großem Maßstab umgesetzt werden soll, ist meiner Meinung nach eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem bedingungslosen Grundeinkommen unerlässlich.

Eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt zudem, dass Deutschland im internationalen Vergleich eine hohe Regulierungsdichte im Arbeitsmarkt aufweist. Remote Work beispielsweise kann im rechtlichen Rahmen etwa nur maximal 183 Tage im Ausland stattfinden, damit Mitarbeitende von Doppelbesteuerung geschützt werden. Aus Steuergründen muss angegeben werden, wo die Arbeit ausgeführt wird. Die Regulierungsdichte beschränkt vielerorts Flexibilität. Dabei ist das deutsche Arbeitsrecht noch auf traditionelle Arbeitsmodelle ausgerichtet. Das erschwert die Umsetzung flexibler Arbeitsformen, wie etwa Teilzeitarbeit, Job-Sharing oder selbstständige Tätigkeiten. Um den Bedürfnissen moderner Arbeitsformen und dem Arbeitnehmerschutz gerecht zu werden, müssen Arbeitsgesetze und Sozialversicherungssysteme angepasst werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist etwa das „Arbeit-von-morgen-Gesetz”, das die Förderung der Berufsausbildung vereinfacht, indem es zum Beispiel ab einem Alter von 45 Jahre bis zu 100 Prozent der Lehrgangskosten übernimmt, um den neuen Anforderungen für lebenslanges Lernen gerecht zu werden.

  1. Kultureller Wandel: Was müssen Unternehmen verändern?

Im Rahmen der New Work Bewegung ist Kulturwandel auf der Unternehmensebene notwendig, denn deutsche Arbeitskultur zeichnet sich noch immer durch eine starke Arbeitsethik, Formalität und klare Rollenverteilung aus. New Work erfordert hingegen eine Kultur der Offenheit, der kreativen Zusammenarbeit und des Vertrauens. Die Forschung des GfK Vereins (heute Nürnberger Institut für Marktentscheidungen) konnte jedoch zeigen, dass deutsche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ihren Vorgesetzten weniger vertrauen und seltener bereit sind, Risiken einzugehen.

Deutsche Unternehmen haben eine lange Tradition der hierarchischen Organisation, in der Entscheidungen von oben nach unten getroffen werden. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass 62 Prozent der deutschen Unternehmen klare Hierarchien bevorzugen und partizipative Ansätze nur zögerlich umsetzen. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den Prinzipien von New Work, wobei flache Hierarchien und Partizipation gefördert werden. Führungskräfte müssen diesbezüglich durch Schulungen und Umgestaltung der Führungskultur befähigt werden, neue Führungsstile zu erlernen, die auf Vertrauen, Empowerment und Coaching basieren. Auf der anderen Seite ist es wichtig, Raum für Experimente und Fehler zu schaffen, was eine Atmosphäre fördert, in der Mitarbeitende ihr Potenzial entfalten können. Dies begünstigt letztlich Vertrauen, Offenheit und Zusammenarbeit.

Sicher ist, dass Faktoren wie hierarchische Strukturen, kulturelle Normen oder etwa der Grad der Digitalisierung in Deutschland nicht durch wenige Unternehmen herbeigeführt werden können. Dafür braucht es einen ganzheitlichen Ansatz, der den kulturellen Wandel in Unternehmen, Anpassungen des politischen Systems und persönliche Entwicklungen einbezieht. Nur so können wir im Ökosystem der Arbeitswelt eine zukunftsorientierte und innovative Transformation der Arbeitskultur schaffen.

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