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Vermeiden Sie diese sechs Change-Effekte!

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Frage an die HR-Werkstatt: Welche Möglichkeiten haben Unternehmen zu erkennen, ob ihre Change-Bemühungen auf dem richtigen Weg sind – und wie können sie im negativen Falle gegensteuern?
Es antworten: Nora Kunert, Senior Manager bei Henkel, und Ilona Indra, Managing Director bei FTI Consulting.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich aktuell in der wohl tiefgreifendsten Transformation seit dem Wiederaufbau: Nachhaltigkeit, Nachfolge, Arbeitskräftemangel, veränderte Weltmärkte sind Faktoren, die viele Unternehmen dazu zwingen, sich neu zu erfinden. Dabei gehen viele Transformationen auch heute noch schief.

Als Change-Expertinnen haben wir nicht nur eine Vielzahl an Veränderungsprojekten schon selbst geleitet. Wir beobachten seit mehr als 20 Berufsjahren, was Change in Unternehmen erfolgreich macht – und was genau das Gegenteil bewirkt. Dazu beschreiben wir sechs Effekte, die Change-Verantwortliche und -Gestalter – vielfach auch im HR-Bereich der Unternehmen angesiedelt – heute erkennen müssen. Um auf dieser Basis einzuordnen: Sind wir noch auf Kurs oder müssen wir diesen jetzt korrigieren, um nicht unsere eigentlichen Ziele zu gefährden?

Sechs Change-Effekte, die Sie kennen müssen

  1. Der Marathoneffekt
    Die Dauer der Streckensperrung für einen Marathon wird nicht nach den Profi-Athleten ausgerichtet, sondern die Amateure, die zuletzt durchs Ziel kommen. In vielen Transformationen wird diese einfache Regel allerdings nicht beachtet. Während die Profis, in diesem Fall das Top-Management, schon längst ihr geistig-planerisches Ziel erreicht haben und die nächste Etappe angehen wollen, sind alle anderen noch mitten im Lauf. Das haben wir immer wieder erlebt.

    Nicht selten führt dieser Effekt zur Verunsicherung der gesamten Mannschaft, was alle weiteren Anstrengungen umso schwieriger macht. HR- und Change-Verantwortliche, die dieses Problem im eigenen Unternehmen erkennen, sollten als Sparringpartner ins Gespräch mit den Schnellläufern gehen. Und sie dafür sensibilisieren, dass unterschiedliche Geschwindigkeiten die Realität sind. Nur dann kommen alle im Ziel an und keiner bleibt auf der Strecke.

  2. Der Scheuklappeneffekt
    Dieser Effekt führt dazu, eine Veränderung ausschließlich aus der Perspektive der Initiatoren des Wandels zu betrachten. Aber die Perspektiven der Betroffenen, also der ausführenden Manager, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und aller weiteren betroffenen Stakeholder stehen zu selten im Mittelpunkt.

    Das Prinzip „Schließe nie von Dir selbst auf andere“ wird zu häufig missachtet. Dadurch wird schnell verpasst, was die anstehende Veränderung für die anderen Beteiligten und Betroffenen hinsichtlich persönlicher Einstellung, Verhalten, Macht, Einfluss und neuer Arbeitsprozesse nach sich zieht. Welche Vorbehalte und Widerstände es geben könnte und wie schwierig und aufwändig die Umsetzung für verschiedene beteiligte Gruppen wird, bleibt unbeachtet. Damit wird oft ein elementarer Moment in der Vorbereitung der Veränderung verpasst und Schwierigkeiten sind vorprogrammiert.

    Wer dieses Problem erkennt, sollte dringend handeln. So kann in Folgegesprächen und Workshops gezielt mit Betroffenen die eigene Perspektive erarbeitet werden, um sowohl Ziele als auch Vorgehen auf dieser Basis neu auszutarieren. Es gibt Unternehmen, die jegliche Entscheidung zum Beispiel darauf überprüfen: Inwieweit nutzt sie unseren Kunden? Diese Denkrichtung gilt es einzuschlagen.

  3. Der Abstraktionseffekt
    Um Dringlichkeit zu verdeutlichen, haben Unternehmen gelernt, sehr konkrete Veränderungsgründe zu formulieren: „Wir verlieren signifikante Marktanteile.“ „Unsere Produkte sind nicht mehr innovativ genug.“ Damit liefern sie eine Antwort auf das „Warum“.

    Was beim Anstoßen von Veränderungen allerdings sehr häufig fehlt: Eine Beschreibung dessen, wo die Reise jenseits des Abstellens eines festgestellten Mangels hingehen soll – also ein Zielbild (das Was). Und auch eine spezifische Idee, wie dieses Ziel eigentlich erreicht werden soll und was das konkret für Veränderungen im Alltag aller Beteiligten und Betroffenen bedeutet.

    Führungskräfte und Mitarbeiter brauchen eine klare Vorstellung davon, wie die Zukunft aussieht: Welche Arbeitsprozesse fallen weg? Wer übernimmt welche Aufgaben, wenn Abteilungszuschnitte sich verändern? Auf der Basis einer richtungsweisenden Vision gilt es gemeinsam mit den Betroffenen zu entscheiden, welche Prozesse, Arbeitsinhalte und sonstigen Parameter sich ändern müssen – und wie diese Veränderung aussieht. 

  4. Der Zielkonflikteffekt
    Einer der von uns am häufigsten beobachtete negative Effekte während eines Change-Prozesses ist der Folgende: Die Führung gibt neue Ziele aus, passt aber die individuellen Gratifikationen, monetär wie nicht-monetär, nicht entsprechend an. Während also die Unternehmensebene längst auf einem anderen Modus operiert, sind die Abteilungsziele nach wie vor anders eingestellt. Da soll künftig stärker zwischen verschiedenen Geschäftseinheiten kooperiert werden, trotzdem ist das Inzentiv des Vertriebs nach wie vor nach dem Motto „The winner takes it all“ ausgerichtet. Da sollen strategische Lieferantenpartnerschaften begründet werden, der Einkauf wird aber an monetären Einsparungen gemessen.

    Gerade hier ist HR gefragt, eine Sparringrolle auf Augenhöhe einzunehmen. Wer sonst hat die ausreichenden Kompetenzen in diesem Themenfeld? HR-Verantwortliche, die erkennen, dass Ziele und individuelle Motivation nicht (mehr) aufeinander abgestimmt sind, sollten dies dem Top-Management klar benennen. Und konkrete Vorschläge für eine neue Harmonisierung unterbreiten. Zudem sollten gerade in der Veränderungsphase bewusst für neue Verhaltensweisen Anreize geschaffen werden. Dies stärkt die eigene Glaubwürdigkeit im Unternehmen enorm. Und ermöglicht dem HR-Bereich, auf Augenhöhe mit dem Top-Management zu agieren.

  5. Der Überforderungseffekt
    Eng verwandt mit dem Marathon- und dem Scheuklappen-Effekt: Das Top-Management unterstellt auch dem mittleren Management, bereits überall ‚Profi‘-Läufer zu sein. Übersetzt: Es unterstellt das Vorhandensein von Kompetenzen, die vielleicht erst einmal aufgebaut werden müssen. Allzu oft berichtet das mittlere Management, dass es sich nach Ausrufen der großen Transformations-Initiative vom Top-Management alleingelassen fühlt. Ausgestattet mit vagen Zielen, unklaren Prozessen, (vermeintlich) zu wenig Manpower und zuletzt auch fehlenden (Fach-)Kompetenzen. Natürlich will man liefern – und fängt einfach mal an.

    Auch hier gilt es für HR- und Change-Verantwortliche klar zu prüfen: Verfügen diejenigen, die mit der Ausführung beauftragt werden, überhaupt über die notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen? Und wenn dem nicht der Fall ist, gilt es dies unmissverständlich festzustellen und pro-aktiv einen Plan vorzulegen, wie ein Upskilling in einer realistischen zeitlichen Perspektive gelingen kann. HR-Verantwortliche sollten damit nicht warten, bis das Top-Management es erkannt hat und die Veränderung schon zu scheitern droht. Ihre Kompetenz ist es, dies frühzeitig zu antizipieren und es zu einem relevanten Teil des Veränderungsprozesses werden zu lassen.

  6. Der Projekteffekt
    Projekt beendet, Veränderung implementiert? Das denken viele Unternehmen – und merken dann einige Quartale später, dass sie sich geirrt haben. Dass Veränderung eine fortlaufende Aufgabe ist, ist eigentlich schon länger Konsens. Trotzdem treffen wir nach wie vor die Meinung an: Wenn das Projekt beendet ist, dann ist auch die Veränderung da.

    Doch Projekte haben KPIs, Meilensteine, Projektpläne, Verantwortlichkeiten. Erfolg in der Veränderung entsteht durch Verhaltensadaption Vieler, möglichst schnell, mit wenig Reibungsverlusten, den richtigen Prioritäten und in Anwendung der richtigen Fähigkeiten.

    Daher sind erst die Monate nach dem Projektende der große Prüfstein: Haben wir die Betroffenen bewusst motiviert, eingebunden und mitgenommen? Konnten die erarbeiteten neuen Strukturen und Prozesse wirklich so umgesetzt werden, dass sie heute gelebt werden? An welchen Stellen funktioniert dies, wo bedarf es weiterer Anstrengungen oder gar erneut durchaus weitereichender Veränderungen, um den Change wirklich erlebbar und damit in finanzielle Ergebnisse überführbar zu machen?

    Nach einem beendeten Projekt gilt es darum nicht gleich die nächsten anzustoßen, sondern Change-Verantwortliche sollten zunächst einmal die erarbeiteten Ergebnisse in der Realität sicherstellen. Wer anders vorgeht, kann nach einigen Jahren eine beeindruckende Liste an Veränderungsprojekten vorweisen. Oder spitzer formuliert: es wird zumindest eine Liste an Projekten sein. Das Wort ‚Veränderung‘ lässt sich im Zweifel mühelos streichen.

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Fazit

Mit genauem Hinschauen lassen sich alle sechs hier dargelegten Effekte gut erkennen. Und es wird deutlich: Ist die Erkenntnis da, können Change- und HR-Verantwortliche aktiv gegensteuern. Ignorieren sie, was sie sehen oder erkennen es erst gar nicht, kann jeder einzelne Effekt ambitionierte Veränderungsanstrengungen zum Erliegen bringen. Gerade HR-Abteilungen können durch genaue Beobachtungsgabe und passende, pro-aktiv entwickelte Maßnahmen gegensteuern – und sich damit als echten Sparring-Partner des Top-Managements positionieren.

Denn klar ist: Nur mit den richtigen Change-Management-Maßnahmen erreichen Investitionen in große Veränderungen den erwarteten „Return of Investment“. Alles andere führt zur Vernichtung von Kapital. Diese Erkenntnis lässt jedes Management aufhorchen.

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