Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin passt perfekt ins Muster der heutzutage oft als ideal präsentierten Führungskraft. Immer nahbar wirkend, ist die 36-Jährige in Bikerjacke bei Staatsbesuchen zu sehen, oder sie lässt sich im Matsch auf Rockfestivals ablichten. Kürzlich sah die ganze Welt sie beim ausgiebigen Tanzen und Singen in einem Video, das auf einer Privatfeier aufgenommen wurde. Menschlich und immer mit einem Hauch Persönlichkeit. So geht neue Führung, oder?
Zumindest scheint das in großen Teilen der Gesellschaft und auch in der Businesswelt die einhellige Meinung zu sein. Doch der Schein trügt. Denn wenn sich ein Leader oder eine Leaderin dann mal verletzlich und von seiner oder ihrer privaten Seite zeigt, kommen viele von uns nicht damit klar und kritisieren das Verhalten als unangemessen. Er oder sie habe doch eine Verantwortung, man befinde sich immer noch im beruflichen Kontext. Der Widerspruch zwischen Wunsch und Realität entgeht dabei vielen. Wohl auch, weil sie vergessen, was mit Nahbarkeit und menschlichem Verhalten alles einhergeht – nämlich auch etwas Wildes und Unkontrollierbares.
Das zeigt sich auch an der Aufruhr nach Sanna Marins Party-Video. „Manche sagen, Marin sei cool … vielleicht unter Teenagern“, schreibt der finnische Sport-Talkshow-Moderator Aleksi Valavuori auf Twitter. „Aber eine verantwortungsvolle Führungspersönlichkeit für ein Land in der Krise? Sie ist bei Weitem die inkompetenteste Premierministerin, die wir je hatten.“
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Valavuoris Aussage und die Resonanz darauf zeigt, wie stark viele Menschen Verantwortungsbewusstsein und Vertrauen in Leadership-Fähigkeiten immer noch mit dem alten Rollenmodell einer ausschließlich in ihrem professionellen Amt verankerten Führungskraft in Verbindung bringen.
Deshalb sollten Leader auch nicht weinen. Sie sollen zwar Emotionen zeigen, aber bitte nur die positiven und solche, die sie noch kontrollieren können. Vor Kurzem wurde ein Linkedin-Post von Braden Wallake, CEO der Marketing-Agentur Hyper Social, als unangebracht angesehen und zog einen Shitstorm mit sich, der Wallake den Spitznamen „The Crying CEO“ einbrachte. Der Geschäftsführer postete ein Selfie von sich, auf dem er weinend zu sehen war.
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Der Grund: Er habe gerade Mitarbeitende entlassen und wolle zeigen, dass dies für viele Führungskräfte ein schmerzhaftes Erlebnis ist. Er zeigte sich verletzlich und nahbar – und wurde als Jammerlappen und zur Witzfigur degradiert. Emotionen zu fühlen sei die eine Sache, aber „ein Bild davon zu veröffentlichen ist zu viel des Guten“, sagte Annette Mulkau, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching (DGSV), gegenüber der F.A.Z. Wallake hätte seine Emotionen erst einmal im Privaten bewältigen sollen.
Ob Sanna Marin oder Branden Wallek – gesamtgesellschaftlich scheinen wir noch nicht bereit für Führungskräfte zu sein, die sich so persönlich zeigen, wie sie es wollen. Stattdessen finden viele von uns die Vorstellung schön, eine Führungskraft zu haben, die eine als positiv empfundene menschliche Seite zeigt. Allerdings eine Seite, die zu einem gewissen Grad noch mit den alten Verhaltensmustern eines Vorzeige-Leaders zusammenpasst – und bloß nicht ins Extreme umschlagen darf, sondern stets an Situation und Umfeld angepasst ist. Sonderlich menschlich erscheint das nicht.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.