Ausbildungsbetriebe stehen heute vor einer komplexen Gemengelage: Azubigewinnung und Ausbildermangel beschäftigen viele Unternehmen. Dazu kommt die Aufgabe, jungen Menschen Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln, die wirklich „State of the Art“ sind. Gerade für mittelständische Betriebe sind das echte Herausforderungen – für die die Möbelhersteller in Ostwestfalen eine Lösung gefunden haben.
Dort, wo rund zwei Drittel aller Küchenmöbel in Deutschland gefertigt werden, haben sich auf Initiative des Verbandes der Holz- und Möbelindustrie namhafte Unternehmen, Verbände sowie der Kreis Herford zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen und Ende 2024 in Löhne die „Lehrfabrik Möbelindustrie“ in Betrieb genommen.
In der Lehrfabrik ist die komplette Produktionskette industrieller Möbelherstellung abgebildet. Das sind Herstellungsschritte wie Schleifen, Sägen oder das Zusammensetzen eines Möbelkorpus und schließlich die Verpackung. „Die Lehrfabrik dient neben der Berufsschule und den Betrieben als dritte Säule der Berufsausbildung“, erklärt Markus Kamann, der Geschäftsführer der Lehrfabrik.
Unterschiedlichste Kurse
Unternehmen können ihre Azubis für verschiedene Module nach Löhne schicken: Vom zweiwöchigen Grundkurs „Holzbearbeitung kompakt“ bis hin zur Prüfungsvorbereitung ist fast alles dabei, was angehende Elektroniker für Betriebstechnik oder Holzmechanikerinnen wissen müssen. Im Kurs „Cobot I“ etwa lernen die Azubis, wie Roboter eingerichtet und bedient werden.
„Die Teilnehmenden lernen, Eigenverantwortung zu übernehmen, sie verstehen die komplexen Zusammenhänge in der Modellsituation besser, und sie können die komplette Produktionskette von der Planung über die Konstruktion, den Prototypenbau bis hin zum fertigen Produkt durchführen“, sagt Kamann. Lehrfabriken seien ein „Vehikel, den Technologiefortschritt zu meistern“, ist der Ausbildungsprofi überzeugt.
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Innovativer als der eigene Betrieb
Zu den Gründungsmitgliedern der Lehrfabrik-Genossenschaft gehört der Küchenhersteller Bauformat, ein Familienunternehmen mit rund 1.200 Mitarbeitenden. Geschäftsführerin Sabine Brockschnieder sieht das Engagement als Investition in die Zukunft: „Sie ermöglicht uns, junge Menschen auf dem neuesten Stand der Technik auszubilden. In der Lehrfabrik haben die Azubis Berührungspunkte mit innovativen Technologien. Das erlernte Wissen können sie direkt in unserem Unternehmen anwenden und umsetzen.“
Diesen technischen Vorsprung lobt auch Marko Kieschnik, Learning und Development Manager Deutschland bei dem Holzwerkstoffproduzenten Egger – und ebenfalls Mitglied der Genossenschaft: „Im Unternehmen selbst können wir nicht jede neue Technologie sofort aufnehmen, aber in der Lehrfabrik arbeiten die Azubis mit den neuesten Maschinen und aktuellen digitalen Tools, was für uns einen großen Vorteil darstellt.“ Der Wissenstransfer ins Unternehmen erfolge über die jungen Leute, „sie treiben bei uns die Entwicklung voran“.
Damit immer alles auf dem neuesten Stand ist, arbeitet die Lehrfabrik „mit Technologie- und Bildungsbeiräten zusammen, die kontinuierlich beobachten und anpassen, was in der Möbelindustrie und im Bildungsbereich notwendig ist“, erklärt Geschäftsführer Kamann. Um wirklich immer Top-Technik zur Hand zu haben, erhält die Lehrfabrik von den Maschinenbauern die jeweils neuesten Entwicklungen – was letztlich eine Win-win-Situation für beide Seiten ist.
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Ausbildung mitgestalten
Überbetriebliche Ausbildungsstätten gibt es in Deutschland bereits seit Jahrzehnten, sie sind integraler Bestandteil des beruflichen Bildungssystems. Ihre Aufgabe ist es, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei ihren Ausbildungsaufgaben zu unterstützen und zu entlasten. Es gibt sie in unterschiedlichen Modellen und Trägerschaften – die Spielart der Lehrfabrik, die von einer Genossenschaft getragen wird wie im ostwestfälischen Löhne, ist eine Spezialität von Markus Kamann, der in mehr als 20 Jahren eine ganze Reihe solcher Angebote für verschiedene Gewerke eingerichtet hat.
Den genossenschaftlichen Ansatz betrachtet Bauformat-Geschäftsführerin Brockschnieder als echtes Plus: „Als Mitglied der Genossenschaft sind wir aktiv in den inhaltlichen und organisatorischen Prozess eingebunden. Dadurch können wir die Angebote mitgestalten und sicherstellen, dass die Module den Anforderungen unserer Branche entsprechen.“
Digitalisierung vorantreiben
Wesentlicher Treiber der Fortschritte in der Möbelindustrie ist die Digitalisierung – auch im Mittelstand. In der Lehrfabrik sind digitale Lehrinhalte eher Standard als Kür, erklärt Geschäftsführer Kamann. All das ist für ihn Teil der Modernisierung, die die Ausbildung dringend benötigte. „Wir müssen Betriebe hinterfragen, wie sie ihre Auszubildenden bestmöglich fördern können“, erklärt er.
Die Lehrfabrik übernehme den Teil der Ausbildung, der von den Betrieben aufgrund der Spezialisierung und der zunehmend komplexeren Anforderungen nicht mehr abgedeckt werden könne. Dabei orientiere sich die Einrichtung am Deutschen Qualifikationsrahmen DQR, um sicherzustellen, dass die Bildungsangebote internationalen Standards entsprächen, so Kamann. „Unsere Angebote sind so aufgebaut, dass durchlässige Bildungsketten ermöglicht werden und Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer offenstehen.“
Ein Gewinn für die Unternehmen
In Ostwestfalen ist angekommen, dass Ausbildung im Verbund besser funktioniert: „Wir haben erkannt, dass wir den Fachkräftemangel nur gemeinsam bewältigen können“, sagt Bauformat-Geschäftsführerin Brockschnieder. Egger-Ausbildungsfachmann Kieschnik betont, dass die Lehrfabrik nicht nur für die Azubis wichtig sei, sondern auch zur Entlastung des Unternehmens beitrage: „Sie ermöglicht es uns, spezialisierte Ausbildungsinhalte auszulagern, die intern schwer umsetzbar wären, wie etwa die Schulung in speziellen Maschinenbedienungen oder auch die Prüfungsvorbereitung.“
Dadurch könne das Unternehmen interne Ressourcen einsparen, während gleichzeitig die Qualität der Ausbildung gewährleistet bleibe. Kieschnik lobt auch die Flexibilität, die die Lehrfabrik bietet: „Wenn wir neue Mitarbeiter einstellen, die noch keine branchenspezifische Erfahrung haben, können wir sie in der Lehrfabrik weiter schulen, ohne dass wir interne Schulungsräume und -ressourcen bereitstellen müssen.“
Anders als im durchgetakteten Unternehmensalltag sei es dort möglich, dass die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer bestimmte Fertigkeiten besonders gründlich und gesondert üben könnten – „dafür ist in der Firma selten Zeit“, so Kieschnik.
Mehr Sichtbarkeit
Viele Mittelständler in Ostwestfalen haben ein Problem: geringe Sichtbarkeit im Wettbewerb um Azubis und Fachkräfte. „Wir konkurrieren mit Konzernen wie Miele oder Dr. Oetker, die in der Nachbarschaft sind“, sagt Kieschnik. Gerade B2B-Unternehmen, die in der Öffentlichkeit wenig bekannt sind, haben damit ein Problem. Die Lehrfabrik will dieses Problem lösen: „Wir sind auch ein Anlaufpunkt für Informationsveranstaltungen rund um Ausbildung. Schulklassen, aber auch Eltern können herkommen, um sich ein Bild von diesem Berufszweig zu machen“, sagt Geschäftsführer Kamann. Ausbildungswillige Jugendliche könnten ihre Bewerbung an die Lehrfabrik richten, und sie werde dann an passende Unternehmen weitergeleitet.
Info
Kurse und Kosten
Die Lehrfabrik hat Angebote rund um Ausbildung, Umschulung und Weiterbildung im Programm, sie bietet auch Kurse für Teamleiter. Die Kosten sind abhängig von der Dauer, dem Kurstyp und dem Mitgliedsstatus der Unternehmen. So zahlen beispielsweise für den zweiwöchigen Kurs „CNC Holzbearbeitung Kompakt“ oder die Vorbereitung für die Zwischenprüfung Genossenschaftsmitglieder der Lehrfabrik 1600 Euro, sogenannte Technologiepartner der Lehrfabrik 2200 Euro. Externe Kunden, die lediglich dieses Modul für ihre Azubis buchen, zahlen 3410 Euro.
Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Berichterstattung zur Aus- und Weiterbildung. Zudem ist sie verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft sowie den Deutschen Personalwirtschaftspreis.

