Die Bedürfnisse und Erwartungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben sich durch gesamtgesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel, die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg verändert. Inwiefern, darüber diskutierten Gina Vargiu-Breuer, Senior Vice President Global Human Resources bei Siemens Energy, und Rupert Felder, Personalleiter bei Heidelberger Druckmaschinen, mit Erwin Stickling, Herausgeber der Personalwirtschaft.
Nach Auffassung der Diskutanten muss sich HR mutig den heutigen Herausforderungen stellen und im Unternehmen als Gamechanger neue Wege der Zusammenarbeit, der Mitarbeiterförderung und -bindung gehen. Vargiu-Breuer erklärte: „Vor 20 Jahren war das Recruiting anders. Man hat gepostet und konnte Personal einstellen.“ Auch die Haltedauer der Mitarbeiter sei deutlich länger gewesen: „Man hat bei Siemens angefangen und ist bis zur Rente geblieben.“ Heute müssten Unternehmen mehr Active Sourcing betreiben und dem Employer-Branding großen Wert beimessen. Das liege auch daran, dass immer mehr Unternehmen die gleichen Jobprofile suchen.
Das gilt insbesondere für IT-Talente. Felder fragte: „Wo bekommen wir die IT-Fachkräfte, die Datenanalysten her?“ Denn, so ergänzte er: „Prognosen sagen, dass 2030 mehr als eine Million IT-Kräfte in Deutschland fehlen. Unternehmen werden bei der Besetzung der IT-Jobs zunehmend in Konkurrenz treten und sich Talente gegenseitig abwerben.“
Auch Vargiu-Breuer bestätigte, dass es in einigen Geschäftsfeldern, insbesondere den neuen wie Chemical Engineering, Energy Storage und Data Analytics immer schwieriger werde, Talente zu finden. Da ihr Unternehmen nur wenige proaktive Bewerbungen erhalte, müsse es auf passgenaue Kampagnen setzen. Felder betonte, wie wichtig es ist, eine Employer-Branding zu betreiben: „Eine Arbeitgebermarke ist kein Prospekt, sondern sie lebt von Menschen, die sie mit Leben füllen, die als Botschafter fungieren.“
Führungskräfte bei Mitarbeiterbindung entscheidend
Auf dem Weg zu einer neuen Unternehmenskultur, nehmen Führungskräfte eine entscheidende Rolle ein. Felder ist überzeugt: „Menschen kündigen nicht Jobs, sie kündigen Menschen.“ Daher müssten Unternehmen genau hinschauen, welche Führungskräfte Teams leiten, welche Empathie sie zeigten und wie ihnen Retention gelingt. Schließlich stellten sich die Mitarbeiter die Fragen: In welchem Umfeld agiere ich? Macht es mir Spaß, dort zu arbeiten? Und: Bekomme ich Wertschätzung? „Führungskräfte sind in diesem Kontext entscheidend“, so Felder.
Auch Siemens Energy misst den Führungskräften eine große Bedeutung bei. Das Unternehmen hat seinen Kulturwandel angestoßen, indem es analysiert hat, wo Führungskräfte Schwächen im Verhalten aufweisen. Denn Führungskräfte prägen die Verhaltensweisen und Kommunikation in ihren Teams und damit die Kultur im Unternehmen maßgeblich mit. Trainings müssen so zugeschnitten sein, dass sie das Verhalten der Führungskräfte so beeinflussen, dass dieses auf die gewünschte Kultur im Unternehmen einzahlt. Gleichzeitig setzte das Unternehmen auf Werte: „Wir haben weltweit Interviews geführt und gefragt, welche Werte den Talenten wichtig sind.“ Daraus habe Siemens Energy zusammen mit den Vorständen vier Werte entwickelt, in denen sich die Mitarbeiter wiedergefunden hätten. „Ein Teil des Kulturwandels ist, dass sich die Mitarbeiter öffentlich zeigen können, dass sie Sicherheit haben, um ihre Geschichte zu teilen“, so Vargiu-Breuer.
Gesellschaftlichen Wertewandel in Unternehmen mitnehmen
Der Kulturwandel in den Unternehmen muss auch den gesellschaftlichen Wertewandel hin zu mehr Nachhaltigkeit berücksichtigen. Felder betonte, dass Arbeitnehmer heutzutage nach dem Fußabdruck eines Unternehmens fragen. „Das zeigt: Die Belegschaft will Initiativen haben.“ So schauten Talente darauf, ob Unternehmen eine Photovoltaikanlage hätten oder wo sie ihre E-Bikes aufladen können. Aus Felders Sicht muss HR daher das Thema Nachhaltigkeit angehen und konkrete Veränderungen in der Arbeitsweise erzielen, nicht nur Veränderungen auf dem Papier. „Die Botschaft der nächsten zehn Jahre ist: Unternehmen werden nachhaltig, oder sie verschwinden“, prognostizierte Felder.
Auch für Vargiu-Breuer ist Sustainability „sehr prominent“: „Wir müssen einen Beitrag leisten und nicht nur in die Programme schreiben.“ Aus HR-Sicht heiße das auch, sich das Thema Diversity und Inclusion anzuschauen und zu prüfen, wie attraktiv ich als Arbeitgeber bin.
Die richtigen Talente finden
Die richtigen Talente zu finden, hat für die Expertin strategische Priorität: „Wir unterstützen die Talentsuche mit einem KI-gestützten Tool, das eine Million Stellenanzeigen extern screent und nach dem filtert, was wir brauchen.“ Auch schaue HR in ihrer Firma auf persönliche, digitale und Fach und Führungsskills. „Wir definieren diese Skills und setzen dann die passenden Qualifizierungsprogramme auf.“
Ähnlich geht auch Felder vor. In seinem Unternehmen gibt es ein Demografie-Radar, das zeigt, wann welche Talente in Rente gehen werden. So kann Heidelberger Druckmaschinen frühzeitig planen, ob Stellen nachbesetzt werden müssen, wie viele Talente gebraucht werden und welche Kompetenzen sie mitbringen sollten. „Die Kernkompetenzen sind die Basis, um alle weitere Kompetenzen aufbauen zu können“, erklärte Felder abschließend.
Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersversorgung. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das F.A.Z.-Personaljournal. Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.