Frage an die HR-Werkstatt: Wie schafft es HR, Reskilling erfolgreich anzugehen?
Es antwortet: Veronika Lang, Director Careeshifter bei Forever Day One
Der demographische Wandel, die rasante Entstehung neuer Berufsbilder und die wachsende Bedeutung einzigartiger Fähigkeiten stellen Unternehmen vor immer größere Herausforderungen. Dadurch wird Reskilling immer wichtiger, um in Zeiten des Fachkräftemangels wettbewerbsfähig zu bleiben, Qualifikationslücken in der Belegschaft aufzufüllen, neue Märkte zu erschließen, bei der Talentsuche Zeit und Kosten zu sparen und Mitarbeitende langfristig zu binden. Doch für die meisten HR- und Personalentwicklungsabteilungen ist es noch Neuland. Der Bedarf ist groß – aber wie gelingt ein erfolgreiches Reskilling?
Fachkompetenzen allein reichen nicht aus
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Verbindung von Fach- und Metakompetenzen. Unternehmen sollten neben spezifischen fachlichen Skills auch überfachliche Fähigkeiten wie Lernfähigkeiten, Resilienz und ein Growth Mindset vermitteln. Diese helfen den Teilnehmenden, möglichst viel aus dem Reskilling-Programm mitzunehmen und sich für künftige Herausforderungen zu rüsten. Mit diesem Fundament an Metakompetenzen können sie neue Aufgaben meistern und sich ein Berufsleben lang weiterentwickeln.
Eine Auswahl der richtigen Teilnehmenden ist entscheidend für den Reskilling-Erfolg. Doch Fachwissen allein reicht nicht: Überfachliche Kompetenzen und die innere Haltung sind der Schlüssel. Unternehmen sollten Kandidatinnen und Kandidaten mit ausgeprägter Neugierde, Veränderungsbereitschaft, Zielorientierung und Eigeninitiative suchen. Eigenschaften, die der Psychologe Adam Grant als „Character Skills“ bezeichnet. Ein aussagekräftiges Assessment hilft, dieses Potenzial zu erkennen. Denn wer es mitbringt, kann alles Fachliche lernen und bleibt dauerhaft wandlungsfähig.
Doch was ist ein aussagekräftiges Assessment? Es sollte neben fachlichem Vorwissen auch die Lernfähigkeit und Veränderungsbereitschaft der Talente bewerten. Dies zeigt der Fall einer großen Krankenversicherung, die nach Jahren der Fokussierung auf Fachwissen bei Einstellungen nun mit einer Belegschaft konfrontiert ist, die Schwierigkeiten hat, sich an durch GenAI veränderte Aufgaben und Rollen anzupassen. Ein ganzheitliches Assessment hätte hier geholfen, Mitarbeitende zu identifizieren, die nicht nur Wissen mitbringen, sondern auch die Fähigkeit und Bereitschaft besitzen, kontinuierlich Neues zu lernen.
Positive Emotionen verstärken Lerneffekte
Das Lernen selbst sollte als ganzheitliche Reise gestaltet sein. Eine geschickte Mischung aus Formaten spricht unterschiedliche Lernpräferenzen an: Positive Emotionen verstärken die Lerneffekte, denn wir lernen am meisten durch Erfahrungen, die uns berühren. Die Inhalte sollten direkt anhand von Praxisbeispielen und Use Cases geübt werden, die einen konkreten Bezug zum Arbeitsalltag haben.
Zwei besonders wirksame Formate in unseren Reskilling-Programmen sind erfahrungsbasiertes Lernen und Peer-Learning. Beim erfahrungsbasierten Lernen setzen wir die Teilnehmenden herausfordernden Situationen aus, etwa dem Bau komplexer Modelle unter Zeitdruck und mit Ablenkungen, um reale Arbeitsbedingungen zu simulieren. Das Peer-Learning fördern wir durch den gezielten Aufbau von Netzwerken, in denen sich die Teilnehmenden regelmäßig austauschen, gegenseitig inspirieren und voneinander lernen können. Diese Kombination fördert nicht nur den Wissenstransfer, sondern stärkt auch wichtige Soft Skills wie Resilienz und Teamfähigkeit.
Gezielte Reflexion und Wiederholung festigen das Gelernte. Lernen sollte zudem kohortenbasiert mit viel Raum für den Austausch und das gemeinsame Miteinander und Voneinanderlernen stattfinden.
Dieses Vorgehen ist auch im Sinne der Teilnehmenden, die teilweise sehr lange nicht mehr aktiv gelernt haben und vielleicht noch nie eine positive Einstellung zum Lernen entwickeln konnten – geprägt durch negative Erfahrungen aus Schulzeit oder Ausbildung. Oft fehlt ihnen das Zutrauen, einen neuen Job erlernen zu können. Hier stehen die oben genannten überfachlichen Kompetenzen wie Growth Mindset, Lernfähigkeit, Selbstführung und Resilienz im Fokus, damit sie nicht schon bei den ersten Herausforderungen im Reskilling-Prozess scheitern und das „Tal der Tränen“ nach den ersten Monaten überwinden.
Verzahnen von Lernen und Praxis
Für den Lernerfolg ist es entscheidend, das Lernen eng mit dem Arbeitsalltag zu verknüpfen. Doch Vorsicht: Zu viel Druck zu früh kann kontraproduktiv sein. Geschützte Lernräume sind anfangs wichtig, damit die Lernenden Sicherheit gewinnen, bevor die volle Performance gefordert wird. Sonst drohen Überforderung und Frust. Gerade in dieser Phase müssen Lernende eng begleitet werden.
Ein Beispiel: Eine Teilnehmerin erlernt das Programmieren mit Java. In intensiven Trainings eignet sie sich Fachwissen und neue Denkweisen an. Parallel setzt sie das Gelernte in einem Übungsprojekt um. Im Austausch mit ihrer Lerngruppe und einem Coach reflektiert sie regelmäßig ihre Fortschritte. So kann sie Hürden überwinden und wächst Schritt für Schritt in ihre neue Rolle hinein.
Erfolg sollte messbar sein
Erfolgreiche Reskilling-Programme erfordern professionelles Management und klar definierte Erfolgskriterien, die gemeinsam mit den Fachbereichen entwickelt werden. Dazu gehören sowohl direkte Skill-KPIs als auch langfristige Indikatoren wie die Verweildauer und Performance im neuen Team. Ein konkretes Beispiel für Skill-KPIs beim Reskilling zu Agile Coaches ist unser Tandem-Ansatz. Hier arbeiteten Reskilling-Kandidatinnen und -Kandidaten eng mit erfahrenen externen Expertinnen und Experten zusammen und übernehmen schrittweise mehr Verantwortung. Die KPIs umfassen die Geschwindigkeit, mit der sich die Expertinnen und Experten zurückziehen können, die Qualität der von Kandidatinnen und Kandidaten geleiteten Scrum-Events und die Verbesserung der Team-Performance-Metriken wie Velocity und Sprint-Zielerreichung.
Dieser Ansatz ermöglicht eine präzise Messung des Kompetenzzuwachses und der praktischen Anwendung der neu erworbenen Fähigkeiten. Für den nachhaltigen Erfolg braucht es einen ganzheitlichen Blick: von der Potenzialanalyse der einzelnen Mitarbeitenden über zur Auswahl stehendes Lerndesign und die Auswahl der richtigen Formate bis hin zum professionellen Management des Gesamtprozesses. Die Erfahrung zeigt: Reskilling wird zum Erfolgs-Case, wenn Strategie, Lerndesign und operative Umsetzung holistisch gedacht werden. So können Unternehmen das volle Potenzial ihrer Mitarbeitenden entfalten, Veränderung aktiv gestalten und zukünftige Herausforderungen meistern.
Fazit
Mit einer klugen Reskilling-Strategie können Unternehmen den Fachkräftemangel abfedern und ihre Mitarbeitenden auf die Zukunft der Arbeit vorbereiten. Der Erfolg hängt von einem ganzheitlichen Ansatz ab, der fachliches und überfachliches Lernen verbindet, eng mit der Praxis verzahnt ist und professionell gemanagt wird. Entscheidend ist zudem, dass das Lernen erfahrungsbasiert gestaltet wird – denn wir lernen am meisten, wenn wir Neues unmittelbar im Arbeitsalltag anwenden und aus Erfahrung wachsen. Wer Reskilling so angeht und konsequent auf Experiences im Lernprozess setzt, erschließt das volle Potenzial seiner Belegschaft und meistert den Wandel.
Autor
Veronika Lang ist seit 5 Jahren bei Forever Day One als Director Learning Design Consulting für den Bereich Career Shifters verantwortlich. Forever Day One berät und begleitet Unternehmen dabei, das volle Potenzial ihrer Mitarbeiter:innen zu entfalten, um erfolgreich Veränderung zu gestalten.
