Jahrelang blickten sowohl die bAV-Anbieter als auch die Compensation- und Benefit-Manager der Unternehmen mit Sorgenfalten auf sinkende Zinsen. Nun erleben wir nicht nur eine politische, sondern auch eine wirtschaftliche Zeitenwende. Die Zinsen steigen zwar wieder, aber die dahinterliegenden Ursachen – Krieg, Energieengpässe, Inflation, Rezession – setzen die Kapitalmärkte enorm unter Druck. Droht damit ein Rückschlag für die betriebliche Altersversorgung?
Die Expertinnen und Experten des diesjährigen Round Table sehen durchaus enorme Herausforderungen in der bAV zu meistern: Gefahr von geringeren Sparraten, erhöhter Druck bei der Anpassungsprüfung, verstärkte Anstrengungen im De-Risking, Neubewertung der Asset-Allokation in Anbetracht volatiler Kapitalmärkte. Gleichzeitig bieten sich aber auch enorme Chancen, der betrieblichen Altersversorgung einen neuen Schub zu geben.
Der Druck auf die Sparquote
Werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Eigenanteil in der bAV drosseln, wenn aufgrund zweistelliger Inflationsraten der Geldbeutel enger geschnallt werden muss? „Wir sehen bei unseren Kundenunternehmen noch nicht, dass die Mitarbeitenden ihre eigenen Sparbeträge reduzieren“, so Joachim Bangert, Gründer und Vorstand bei Auxilion. Dafür sei die Verzinsung der unternehmenseigenen Betriebsrente zu attraktiv.
Eine Warnung ist aber angebracht, da sind sich alle Teilnehmenden des Round Table einig. „Durch die Inflation wird der Druck auf die Sparquote der Anwärter steigen“, so Dominik Schneider, Associate Director bei Fidelity International. Umso wichtiger sei es, dass Beratung und Aufklärung stattfinden, pflichtet Tobias Bailer bei. Der geschäftsführende Gesellschafter der Pension Solution Group ist überzeugt: „Die Bereitschaft für die Entgeltumwandlung ist nach wie vor groß.“ Die abgesenkten Garantien bei den Versicherungsprodukten hätten auch nicht zu den Verunsicherungen geführt wie befürchtet.
bAV als Erfolgsfaktor im Recruiting
Auch die Bereitschaft der Unternehmen, in bAV-Pläne zu investieren, wird wachsen müssen. Laut dem „Global Benefits Attitude Survey“ (mehr dazu bei unserer Schwesterseite dpn) von Willis Towers Watson haben sich in Deutschland mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Befragten wegen der bAV für ihren derzeitigen Arbeitgeber entschieden. Für 50 Prozent der Befragten ist sie ein wichtiger Grund, bei ihrem jetzigen Unternehmen zu bleiben. Hanne Borst, Leiterin des Geschäftsbereichs Retirement bei Willis Towers Watson, ist mit Blick auf diese Zahlen überzeugt: „In der Mitarbeitergewinnung und -bindung spielt die bAV eine zunehmend wichtige Rolle.“
Schaut man sich dann noch die Ergebnisse der WTW-Studie „Future of Pensions“ an, wird der Handlungsbedarf sichtbar. Demnach setzen lediglich 30 Prozent der befragten Unternehmen die bAV als Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb um Fach- und Führungskräfte ein. Glaubt man den Arbeitsmarktforschern, wird sich der Fachkräftemangel trotz einer Rezession aufgrund der demografischen Entwicklung noch verschärfen. HR wäre also gut beraten, die bAV als Benefit in der Employer-Branding-Strategie zu verankern.
Doch Vorsicht ist geboten. Denn nicht jede bAV wird als Benefit wahrgenommen. „Wenn ein Arbeitgeber nur 15 Prozent Zuschuss zahlt, dann ist das kein Benefit mehr, sondern nur die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben“, gibt beispielsweise Tobias Bailer zu bedenken und bekommt viel Zuspruch. Eine Entgeltumwandlung ohne nennenswerte Matching-Beiträge des Arbeitgebers wird kritisch gesehen. Auch Henriette Meissner, Geschäftsführerin der Stuttgarter Vorsorge-Management GmbH, plädiert für mehr Engagement der Unternehmen, damit möglichst viele Beschäftigte von einer betrieblichen Altersversorgung profitieren.
„Wir als Anbieter und Berater sind gefordert, die arbeitgeberfinanzierte Versorgung wieder in den Vordergrund zu stellen“, so Meissner. „Im Mittelstand ist die Sensibilisierung für höhere Zuschüsse erfreulich gestiegen“, betont Lars Hinrichs, Partner bei Deloitte Legal. Matching-Beiträge von bis zu 50 Prozent je nach Betriebszugehörigkeit seien keine Seltenheit.
De-Risking und Umgestaltung
Die betriebliche Altersversorgung kann also gut investiertes Geld sein. Der Blick in die Vergangenheit zeigt aber auch, dass Pensionsverpflichtungen zur bilanziellen Belastung werden können, bestehende Systeme zu komplex oder die gewählten Durchführungswege nicht mehr zeitgemäß sind. In den vergangenen Jahren haben Unternehmen deshalb begonnen, mit De-Risking und Planumgestaltungen gegenzusteuern. Dieser Trend zur Umgestaltung nimmt nun Fahrt auf. „Viele Unternehme wollen eine Ausfinanzierung ihrer bAV durchführen, schließen alte Pläne, gestalten neue“, so Dominik Schneider.
Auch Lars Hinrichs beobachtet eine Dynamik im De-Risking, so zum Beispiel bei Ausgliederungen. „Die Zinsentwicklung hat positive Auswirkungen auf Transaktionen mit der Ausgliederung von Pensionsverpflichtungen, um die Wirtschaftsprüfer davon zu überzeugen, dass die vorgesehene Kapitalausstattung ausreichend ist.“
Die Zinswende weckt Hoffnungen und mag perspektivisch insgesamt zu Entlastungen in der bAV führen. Trotzdem bleibt ein zentrales Problem bei den Pensionsrückstellungen bestehen. „Für den Mittelstand, der nach HGB bilanziert, bleibt der Rechnungszins niedrig“, konstatiert Hanne Borst.
Mehr Rendite, weniger Garantien
Die Niedrigzinsphase führte dazu, dass die Beitragsgarantien nur durch geringe Renditen möglich waren. Das hat zu einem Umdenken geführt. Immer mehr Unternehmen wenden in ihren Pensionsplänen ein kapitalmarktorientiertes Zinsmodell an, um die Risiken von Garantien abzufedern und gleichzeitig die Renditechancen zu erhöhen. „Kapitalmarktorientierte Systeme sind der absolute Trend“, stellt Hanne Borst fest. „Der Markt ist sehr progressiv geworden“, ergänzt Lars Hinrichs. Selbst Produkte mit einer 80-Prozent-Garantie seien erfolgreich am Markt platziert worden.
Dieser Paradigmenwechsel zeigt sich auch in dem 2018 von der Politik ins Spiel gebrachte Sozialpartnermodell, das auf reinen Beitragszusage ohne Garantieleistungen basiert. Henriette Meissner dazu: „Die Grundidee des Sozialpartnermodells, sich auf Assets in den rentierlichen Anlageklassen zu fokussieren, ist richtig. Dies geht nur, wenn von dem deutschen Dogma der 100-Prozent-Garantie abgegangen wird.“ Das erste Sozialpartnermodell steht nun in den Startlöchern. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, hat das Modell der Chemiebranche, den sogenannten Chemiefonds, Ende Oktober genehmigt.
Dominik Schneider sieht darin auch eine Signalwirkung für weitere Branchen und ergänzt: „Beitragszusagen ohne Mindestgarantien kennen wir auch aus anderen Ländern.“ Dass momentan auch der Aktienmarkt unter Druck geraten ist, ändere nichts an den langfristigen Renditechancen an den Kapitalmärkten, so die Meinung der Expertenrunde. „Die strategische Asset-Allokation spielt eine neue Rolle“, betont Schneider. Neben liquiden Assets kommen auch andere Assets wieder stärker ins Blickfeld.
Angemessenheitsprüfung
Wie gehen Arbeitgeber angesichts hoher Inflationsraten mit der Pflicht zur Anpassungsprüfung (§ 16 BetrAVG) um? Bieten sich Alternativen zum Verbraucherpreisindex an, oder ist sogar ein Aussetzen möglich? Henriette Meissner mahnt zur Vorsicht: „Die arbeitsrechtlichen Hürden sind sehr groß, wenn man aus wirtschaftlichen Gründen die Anpassungsprüfung aussetzen oder umstellen möchte. Der einfache Verweis auf die Energiekrise reicht nicht.“
Auch der Wechsel von der VPI-Entwicklung zur Nettolohnanpassung ist mit Hürden und aufwendigen Prüfungen verbunden. Eine Herausforderung ist zum Beispiel die Vergleichbarkeit von Arbeitnehmergruppen. „Wir warnen vor der Verallgemeinerung, auf die Nettolohnanpassung zu gehen“, sagt Lars Hinrichs von Deloitte Legal.
Info
Die sieben wichtigsten Erkenntnisse
- Die Bereitschaft zur Entgeltumwandlung ist nach wie vor groß. Der Druck auf die Sparquote könnte aufgrund der Inflation aber steigen. Umso mehr ist hier Aufklärung und Beratung erforderlich.
- Die Matching-Beiträge der Unternehmen steigen. Zuschüsse jenseits der gesetzlichen Vorgaben sind aber auch notwendig, um mit der bAV als Benefit punkten zu können.
- Die bAV muss im Employer Branding einen höheren Stellenwert bekommen. Aktuelle Studienergebnisse zeigen, dass die bAV im Recruiting und bei der Mitarbeiterbindung den entscheidenden Unterschied machen kann.
- Die Zeit für Ausfinanzierungen und Planumgestaltungen sollte jetzt genutzt werden. Die Zinsentwicklung hat positive Auswirkungen auf die Ausgliederung von Pensionsverpflichtungen. Bei den Planumstellungen heißt das Zauberwort „Asset-Allokation“.
- Die Unternehmen suchen nach einer neuen Balance zwischen Renditechancen und Sicherheit. Garantien werden zugunsten von Renditechancen zurückgefahren. Der Markt ist deutlich progressiver geworden.
- Die Hürden für eine Aussetzung der Anpassungsprüfung sind sehr hoch. Auch alternative Gestaltungsoptionen bei der Rentenanpassung (Nettolohnanpassung statt Verbraucherpreisindex) müssen sehr sorgfältig geprüft werden.
- Das Commitment der Unternehmensleitung ist für eine nachhaltige bAV unverzichtbar. Das bedeutet auch, dass Ressourcen nicht nur für die Implementierung, sondern auch für die Folgeprozesse zur Verfügung gestellt werden müssen.
Kein Plug and Play
Die bAV ist eine erklärungsbedürftige Sache. Deshalb reicht es nicht aus, ein gutes Betriebsrentenmodell zu entwickeln, sondern es muss auch richtig kommuniziert werden, damit es in der Breite wirksam wird. Transparenz ist ein Erfolgsfaktor der bAV, die Digitalisierung ein zentraler Hebel dafür. Davon ist auch Joachim Bangert überzeugt: „Wir glauben an eine einfache und zeitgemäße Kommunikation, um zu erklären, wie es funktioniert und was es bringt. Ein digitales Mitarbeiterportal ist hier unverzichtbar.“
Auf einen weiteren Aspekt weist Tobias Bailer hin: „Die bAV muss Bestandteil der Unternehmenskultur werden, sonst sollte man die Finger davon lassen, einen neuen Pensionsplan zu platzieren.“
Auch hier sind sich alle Beraterinnen und Berater des Round Table einig: Die Unternehmensleitung sollte deutlich machen, dass ihnen ein hoher Verbreitungsgrad wichtig ist. Das heißt zum einen, mit einer guten Kommunikationsstrategie den Mehrwert der bAV in den Mittelpunkt zu stellen. Zum anderen müssen Ressourcen in HR zur Verfügung gestellt werden – während des Projektes, aber auch für die Folgeprozesse danach. Die bAV muss sichtbar sein, dann kann sie ihr Potenzial für die Mitarbeitenden und für das Unternehmen voll ausspielen.
Erwin Stickling ist langjähriger Herausgeber der Zeitschrift Personalwirtschaft und zudem Mitglied der Geschäftsleitung beim F.A.Z.-Fachverlag F.A.Z. Business Media.