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Werden Männer durch die Gleichberechtigung diskriminiert?

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Während es beim Equal Pay Day, der diesen Mittwoch stattfand, hauptsächlich um eine faire Vergütung für alle Geschlechter geht, dreht sich der heutige Weltfrauentag um viel mehr als das. Denn auch bei der Möglichkeit, Führungspositionen einzunehmen, oder bei der Aufteilung der Care-Arbeit herrscht noch kein Gleichgewicht. 

Das Frauenwahlrecht wurde 1918 eingeführt. Den internationalen Frauentag gibt es seit den 20er-Jahren. Die Frauenförderung ist also kein neues Thema, wenngleich auch über 100 Jahre später immer noch benachteiligende Unterschiede bestehen. Die Gesellschaft bewegt sich bei vielen Aspekte der Gleichstellung zwar in die richtige Richtung. Es gibt aber auch Stimmen, die davon sprechen, dass es dadurch mittlerweile eine Diskriminierung von Männern gibt.  

Gleichstellung: „Es wurde schon genug getan“ 

Gibt es eine Gleichstellungsmüdigkeit? Das jedenfalls lässt eine neue Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos vermuten. Demnach bejahen 60 Prozent der befragten Männer in Deutschland, dass „hinsichtlich der Gleichstellung in Deutschland schon genug getan wurde“. Auch 38 Prozent der Frauen stimmen dieser Aussage zu. Dem Satz „Wir haben die Gleichstellung von Frauen so weit gefördert, dass wir nun Männer diskriminieren“ stimmt ebenfalls fast jeder zweite Mann in der Umfrage zu. Bei den Frauen sind es nur 26 Prozent.  

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Für die Ipsos Global Advisor-Studie „International Women’s Day 2024“ wurden zwischen dem 22. Dezember 2023 und dem 5. Januar 2024 insgesamt 24.269 Personen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren aus 31 Ländern befragt. Aus Deutschland wurden etwa 1.000 Menschen befragt. Die zuvor genannten Ergebnisse beziehen sich auf die Auswertung der Zahlen aus Deutschland. 

Gleichberechtigung nur in jedem vierten Unternehmen 

Dass eine Gleichstellung noch längst nicht erreicht ist, auch wenn laut der Ipsos-Umfrage die Hälfte der Meinung ist, es reiche allmählich, zeigt wiederum ein Blick auf die Statistik. So gehört in lediglich jedem vierten der knapp 5 Millionen Unternehmen hierzulande mindestens eine Frau zum Kreis der Inhaber, zur Geschäftsführung oder zum Vorstand, wie die Auskunftei Schufa anhand einer Auswertung der ihr vorliegenden Daten festgestellt hat. Damit sei der Anteil im Vergleich zum vergangenen Jahr nahezu unverändert geblieben. Der Anteil von Frauen in der gesamten ersten Führungsebene in Unternehmen in Deutschland stagniere bei 23,9 Prozent. Dass noch einiges zu tun ist, wissen offenbar auch die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeberseite. Denn eine Befragung der ManpowerGroup zeigt, dass lediglich ein Viertel von ihnen der Meinung ist, dass in ihrem Unternehmen vollständige Gleichberechtigung erreicht sei. 

Ein härterer Wettbewerb um Führungspositionen 

Haben es Männer in der Praxis schwerer? „Die Gleichbehandlung und vermehrte fokussierte Rekrutierung von Frauen können dazu führen, dass Männer in einigen Fällen einen härteren Wettbewerb um Führungspositionen haben. In der Vergangenheit hat man den wahrscheinlich so nicht verspürt“, sagt Ramona Kraft, Principal bei der Executive-Search-Beratung Odgers Berndtson. Wenn männliche Kandidaten und weibliche Kandidatinnen gleich qualifiziert sind, sei es auch ihre Aufgabe, eine weibliche Besetzung zu unterstützen und zu fördern. 

Die von Kraft angesprochene härtere Konkurrenz entsteht auch dadurch, dass sich Unternehmen bei offenen Positionen mitunter explizit eine weibliche Nachbesetzung wünschen. Oliver Kempkens der Headhunting-Boutique Kempkens & Kohler berichtet dazu: „Oftmals werden wir gefragt, ob wir explizit weibliche Kandidaten finden können, auch, wenn diese junioriger sind oder ein anderes Kompetenzprofil haben.” Dies könne dann dazu führen, dass der Prozess etwas in die Länge gezogen wird. Im Grunde sollte das Geschlecht den Beratern und Beraterinnen zufolge überhaupt nicht Teil des Anforderungsprofils bei der Stellenbesetzung sein, sondern sie sollten im Gegensatz zur bisherigen Praxis die Qualifikationen aller Kandidaten und Kandidatinnen begutachten – und zwar aller Geschlechter gleichermaßen.  

Das sieht auch Katharina Engfer, Geschäftsführerin von Engfer Consulting, so: „Ich beobachte, dass viele Unternehmen noch immer dazu neigen, bei der Besetzung von Top-Positionen das Geschlecht zu stark zu gewichten.” Dies könne verschiedene Gründe haben, von historischen Vorurteilen bis hin zu einem verzerrten Verständnis von Vielfalt und Inklusion. Gemeint ist die Denkweise, dass das Erreichen einer gewünschten oder rechtlich vorgesehen Quote bereits ausreicht, um Frauen zu fördern. Das Ergebnis davon sei, dass man den Blick für die Eignung der Kandidatinnen und Kandidaten verlieren, so Engfer: „Es ist bedauerlich zu sehen, dass in manchen Fällen das Geschlecht eines Kandidaten über seine Fähigkeiten und Erfahrungen gestellt wird.“ 

„Besser qualifizierte männliche Kandidaten werden manchmal übersehen“ 

Doch wirkt sich der initiale Wunsch nach einer weiblichen Besetzung dann auch auf die letztliche Entscheidung einer Person aus? Lässt man besser qualifizierte Männer ziehen, um die Stelle weiblich zu besetzen? „Es ist mit Sicherheit mehr Diversität in der Führungsmannschaft gewünscht, dass aber explizit ein Mann ziehen gelassen wird, um eine Frau nachzubesetzen, haben wir noch nicht erlebt“, sagt Kempkens. Andere Erfahrungen hat da Katharina Engfer gemacht: „Es ist in der Tat eine Realität, dass besser qualifizierte männliche Kandidaten manchmal zugunsten weiblicher Bewerber übersehen werden, einfach aufgrund des Geschlechts.“ Dies könne in Unternehmen auftreten, die sich stark für die Förderung von Frauen in Führungspositionen einsetzen oder die einen bestimmten Geschlechterausgleich erreichen möchten. 

Es ist in der Tat eine Realität, dass besser qualifizierte männliche Kandidaten manchmal zugunsten weiblicher Bewerber übersehen werden, einfach aufgrund des Geschlechts.

Katharina Engfer, Geschäftsführerin von Engfer Consulting

In diesen Fällen würden männliche Kandidaten ihr gegenüber auch sagen, dass sie sich diskriminiert oder schlechter gestellt fühlen. „Dies ist ein ernstes Anliegen, das nicht ignoriert werden sollte. Diskriminierung basierend auf Geschlecht, egal ob gegenüber Männern oder Frauen, sollte in der Arbeitswelt keinen Platz haben“, sagt die Geschäftsführerin. 

Diskriminierung oder Verschwinden der bisherigen Bevorzugung der Männer?

Die Meinung, dass in Sachen Gleichstellung bereits genug getan wurde, ist vermutlich also eine Reaktion auf eine erlebte oder empfundene Diskriminierung, beispielsweise bei der Stellenbesetzung. Eventuell fühlt sich das Verschwinden der bisherigen Bevorzugung der Männer auch nur wie eine Diskriminierung an, die eigentlich aber als härterer Wettbewerb beschrieben werden müsste, wie Ramona Kraft es ausdrückt.  

Wenn bei gleicher Qualifikation eine Frau oder auch non-binäre Person dem Mann bevorzugt wird oder der Mann erst gar nicht in Betracht gezogen wird, ist das für den männlichen Kandidaten zwar zunächst von Nachteil. Faktisch ist es in vielen Fällen, das zeigt die Erfahrung, für ihn aber ein leichtes, einen anderen Job zu bekommen. Das heißt nicht, dass eine Diskriminierung von Männern in irgendeiner Weise toleriert werden sollte, doch eine Jobabsage steht in keinem Verhältnis zur weiterhin allgegenwärtigen strukturellen Diskriminierung von Frauen.

Info

Gesine Wagner ist hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik und ist Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem verantwortet sie die Erstellung der zahlreichen Newsletterformate sowie unser CHRO-Panel.