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„Jedes Kind sticht jedes Meeting“

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Personalwirtschaft: Frau Riedel, während ihrer dritten Schwangerschaft wurden Sie zur Partnerin befördert. Das ist ja nicht gerade üblich in der freien Wirtschaft und gilt als riskant, weil man davon ausgehen könnte, dass erstmal das Baby im Vordergrund steht und nicht der Job. Warum hat sich Ihr Arbeitgeber dennoch für diesen Schritt entschieden?
Sophie Riedel: In unserem Unternehmen gehört Familie zum Berufsleben dazu. Auch bei der Geschäftsführung sitzen mal Kinder mit im Meeting, mehrere Führungskräfte müssen um 14 Uhr die Arbeit hinter sich lassen, um ihren Nachwuchs vom Kindergarten abzuholen. Außerdem bieten wir zahlreiche Benefits an, die unsere Unternehmenskultur familienfreundlich machen.

Welche sind das?
Zum Beispiel gibt es für Mitarbeitende zur Geburt des Kindes 600 Euro und wir zahlen einen Zuschuss zur Kita-Gebühr. Auch haben wir zwei Eltern-Kind-Zimmer, wo es Stillecken und Rutschen gibt, sodass Kinder mit auf die Arbeit kommen können. Die können zwar, wenn sie frei sind, auch anders genutzt werden, aber: Jedes Kind sticht jedes Meeting. Wenn jemand mit Kind kommt, müssen diese Räume sofort geräumt werden. Familie geht immer vor. Auf Basis dieser Werte hat sich gar nicht die Frage gestellt, dass meine Schwangerschaft ein Karrierehindernis sein könnte.

Mit einer Schwangerschaft ist auch ein Arbeitsausfall und eine mögliche Arbeitszeitreduktion nach der Elternzeit verbunden. Wie lösen Sie den möglicherweise aufkommenden Personalmangel durch den temporären Wegfall der Arbeitskraft?
Ich schaue direkt nach dem Bekanntwerden der Schwangerschaft, wie wir es hinbekommen, dass sich die Schwangere sofort von der Arbeit ausklinken kann, wenn sie es möchte. Hierfür muss man selbstverständlich in Gespräche mit der Betroffenen gehen. Was sind ihre Erwartungen? Wie lange möchte sie in Elternzeit gehen? Oder wie lange möchte auch der werdende Vater in Teilzeit gehen – natürlich gilt es hier auch mit den Männern zu sprechen. Bei all dem kalkuliere ich immer Abweichungen mit ein, um eine Auszeit und eine Wiederkehr möglichst flexibel handhaben zu können.

Wie genau gelingt das?
Für mich sind zunächst die Fragen zentral: An welchen Projekten ist die Person beteiligt? Und wie kann ich ihre Arbeitskraft ersetzen, ohne die anderen Kolleginnen und Kollegen zu belasten? Eine Lösung kann sein, eine neue Vollzeit- oder Teilzeitkraft einzustellen oder intern jemandem die Möglichkeit zu geben, sich in einer neuen Rolle auszuprobieren. Eine andere, das Kundenprojekt in der nahen Zukunft nicht zu machen.

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Sophie Riedel ist Partnerin beim IT-Beratungsunternehmen Zoi und erklärt, warum Schwangerschaft kein Karrierehindernis für sie ist. (Foto: Zoi)

Aber ist so viel Kinderfreundlichkeit nicht schlecht für die Bottom Line?
Nein, weil wir erst einmal davon ausgehen, dass Kinder eine Bereicherung für unsere Mitarbeitenden sind. Und damit indirekt auch für uns. Denn wenn die Mitarbeitenden generell in ihrem Leben zufriedener sind, leisten sie auch bessere Arbeit für uns. Auch wirkt sich Kinderfreundlichkeit nur wenig auf unsere Wirtschaftlichkeit aus, wenn wir lösungsorientiert denken.

Lässt sich die Flexibilität, von der Sie gesprochen haben, bürokratisch und organisatorisch wirklich so leicht umsetzen?
Verträge lassen sich von unserer Personalabteilung recht flink anpassen. Wenn jemand schneller aus der Elternzeit zurückkommen möchte, kommunizieren wir das sofort ans Team und fragen, wer Unterstützungsbedarf hat. Wenn jemand länger in Elternzeit bleiben möchte, dann schieben wir Projekte nach hinten oder finden einen Ersatz für die Person. Dafür muss man natürlich schnelle Entscheidungswege und kurze Prozesse haben. Für uns dreht sich dabei alles um die Frage: Wo müssen wir unternehmensintern Anpassungen machen, damit es für die Person funktioniert?

Das spricht für eine Kultur, in der die Mitarbeitenden im Fokus stehen und nicht der Profit. Wie wirkt sich das auf Ihr Wirtschaften aus?
Wir sind in der Luxussituation, dass wir genügend Projekte haben und nicht alle annehmen müssen. Das macht es noch einmal leichter, auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen. Zudem sind wir davon überzeugt, dass Motivation wichtiger ist als alles andere. Und sie steigt, je mehr man auf die Mitarbeitenden eingeht, und lässt sie effizienter arbeiten. Das gilt oftmals für Teilzeitkräfte, die so gehen und hereinkommen können, wie sie es aufgrund der Familiensituation gerade brauchen.

Warum?
Wer im Vordergrund steht und etwas vom Unternehmen bekommt, gibt auch mehr zurück. Das wirkt sich positiv auf unser Wirtschaften aus.

Kann Karriere wirklich in Teilzeit gemacht werden? Und wie definieren Sie Karriere?
Karriere hat nichts mit Arbeitszeit zu tun, sondern mit Motivation. Wenn man Aufgaben annimmt, mit denen man sich selbst verwirklichen kann und die einen selbst weiterbringen, dann kann man auch Karriere machen, ohne 80 Stunden pro Woche zu arbeiten. Für uns als Führungskräfte geht es vielmehr darum, den Mitarbeitenden eine Wiese zu bieten, auf der sie sich austoben können. Das können auch Eltern, die in Teilzeit tätig sind.

Dennoch hat der Tag nur 24 Stunden. Muss der Partner oder die Partnerin unterstützen, wenn eine Mutter oder ein Vater Karriere machen will?
Es muss nicht so sein, dass ein Partner voll arbeitet und der andere dafür zurücksteckt. Beide können so viele Arbeitsstunden tätig sein, wie sie es möchten. Dafür muss der Arbeitgeber ihnen aber ein flexibles Arbeiten ermöglichen. Trotzdem muss man sich in der Partnerschaft natürlich gegenseitig unterstützen und mehr den Alltag planen.

Was genau verstehen Sie in diesem Kontext unter Flexibilität?
Flexibilität bezieht sich sowohl auf die Arbeitszeit als auch auf den Arbeitsort. Ein Beispiel: Wenn die Kita wegen eines Corona-Falls zu ist, blocke ich meinen ganzen Kalender für diesen Tag und kommuniziere an das Team, ich kann heute nicht und muss mich um die Kinder kümmern. Dafür arbeite ich dann abends, wenn es etwas Dringendes gibt. Das tue ich aber nicht, weil ich es muss, sondern weil ich es will. Und das ist für mich der entscheidende Unterschied. Denn es liegt bei uns an mir, wann ich die To-dos bearbeite. Flexibilität bezieht sich aber auch wie schon gesagt auf die Rückkehr nach der Elternzeit.

Können alle To-dos wirklich in der verkürzten Arbeitszeit erledigt werden?
Nein. Aber das macht nichts. Die Mutter oder der Vater sollte entscheiden, was sie oder er bereit ist zu geben und was sie oder er geben kann. Dann muss er oder sie priorisieren und herauszufinden: Was kann ich in der Zeit erledigen, die ich anzubieten habe? Und wie setzte ich meine Zeit am sinnvollsten ein und kann mit ihr am meisten umsetzen? Auch die Fragen „Was möchte ich?“ und „Wo will ich hin?“ gilt es zu beantworten. Wenn Antworten gefunden sind, sollten entsprechende Mitarbeitende diese dem Arbeitgeber und dem Team mitteilen. Kommunikation und lösungsorientiertes Denken sind das A und O, damit Familienleben und berufliche Erfüllung unter einen Hut gebracht werden können.

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.