Rosa Riera, Personal- und Kommunikationsexpertin, ist überzeugt: Der Ansatz der Aufräumexpertin Marie Kondo kann auch für die Wirtschaft hilfreich sein. Warum deren Bestseller-Buch „The Life-Changing Magic of Tidying Up“ zu einem wichtigen Maßstab von Rieras täglicher Arbeit geworden ist, erzählt die Personalerin im Interview.
Personalwirtschaft: Frau Riera, was genau ist das Marie-Kondo-Prinzip und warum sollte sich HR daran orientieren?
Rosa Riera: Marie Kondo berät vor allem Menschen, die ein Problem mit Unordnung haben und sich überwältigt von den Dingen fühlen, von denen sie zu Hause umgeben sind. Oftmals empfinden wir das Gleiche gegenüber HR-Prozessen und der Arbeitswelt. Kondos Lösung für dieses Problem: Behalte nur die Sachen, die dir Freude bereiten, wenn du sie anschaust.
Wie funktioniert das konkret?
Angenommen wir haben einen Stift und wissen nicht genau, ob wir ihn behalten möchten oder nicht. Zur Entscheidungsfindung würde man sich hier nach Marie Kondo fragen: Bereitet mir der Stift Freude oder nicht. Tut er es nicht, so verschenken oder entsorgen wir ihn. Wenn wir diese Methode anwenden, erschaffen wir uns ein Zuhause, das uns immer ein leichtes Lächeln ins Gesicht zaubert und in dem wir uns wohlfühlen. Dasselbe gilt meiner Meinung nach auch für die Arbeitswelt.
Inwiefern?
Wenn wir alle Meetings und Prozesse, die uns keine Freude bereiten, abschaffen oder verbessern, haben wir mehr Spaß bei der Arbeit, sind motivierter und dadurch produktiver.
Kann auf der Arbeit alles Spaß machen? Manche unschönen Aufgaben müssen schließlich erledigt werden.
Ja, manche unangenehmen Aufgaben müssen erledigt werden, aber wenn sich diese oft wiederholen, dann ist es ein Indiz dafür, dass etwas nicht stimmt. Dann kann man sich fragen: Liegt es wirklich an den Aufgaben an sich oder sind es die Prozesse, die nerven und keine Freude bringen? Und besetzen die Mitarbeitenden wirklich die richtige Position, wenn sie ihre Arbeit nicht mögen?
Was ist mit Prozessen zur rechtlichen Absicherung, Policies und Corona-Restriktionen? Sie sind nötig, sind aber nicht unbedingt angenehm für die Mitarbeitenden.
Natürlich werde ich weiterhin meine FFP2-Maske tragen, auch wenn das nicht unbedingt zu meinen Lieblingserlebnissen zählt. Bestimmte rechtliche Regelungen kann ich auch nicht umgehen. Doch bei Policies sieht das schon anders aus. Sie wurden oft kreiert, um Organisationen und Arbeitgeber vor Schaden zu schützen. Meist vor falschem Verhalten durch Mitarbeitende. Allerdings verhalten sich nur wenige Prozent der Mitarbeitenden tatsächlich falsch. Und die 98 Prozent, die sich gut verhalten, leiden unter den Prozessen.
Wie sähe hier eine Lösung aus?
Stattdessen könnte man im Notfall Krisengespräche mit dem jeweiligen Mitarbeiter oder der entsprechenden Mitarbeiterin führen oder sich andere kreative Ideen überlegen, wie sich der Großteil der Beschäftigten weniger kontrolliert fühlt. Ich möchte Personalerinnen und Personaler dazu ermutigen, einmal zu schauen, ob alles, was sie denken, zu benötigen, wirklich nötig ist. Es gibt viel Platz zum Ausmisten.
Wo gibt es im Unternehmen und bei HR noch Platz zum Entrümpeln?
Jedes Mal, wenn man an neuen Prozessen arbeitet, sollten sich Personalerinnen und Personaler oder Führungskräfte fragen: Ist das etwas, das die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen erleichtert? Kann man den Aufgabenablauf intuitiver, leichter und menschlicher gestalten? Das gilt auch fürs Recruiting und Employer Branding. Hier können Personaler und Personalerinnen mit der Absicht an ein Vorstellungsgespräch herangehen, das Talent zu grillen, oder den Kandidaten oder die Kandidatin bei einem netten Austausch auf Augenhöhe kennenzulernen.
Wie kann das Marie-Kondo-Prinzip beim Employer Branding angewandt werden?
Man kann entweder recht faktisch erklären, welche tollen Sachen das Unternehmen macht. Oder man erklärt, welche Menschen dort arbeiten, was die Mitarbeitenden ausmacht und vermittelt das mittels einer fröhlichen Erzählweise. Denn in der Regel bringt es uns mehr Freude, etwas über andere Menschen zu erfahren, als über Unternehmen oder andere Organisationen.
Könnte dasselbe auch für den Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter oder Mitarbeiterin angewandt werden?
Auf jeden Fall. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist hier das Jahresgespräch. Vielen Menschen graut es davor. Denn der Austausch fühlt sich für sie wie ein Moment an, in dem sie ihre Noten bekommen. Da das Gespräch an sich aber wichtig ist und sich nur prozessbedingt zu einem Meeting entwickelt hat, das Stress verursacht, könnte man hier – angelehnt an Marie Kondo – etwas Positives hineinbringen.
Wie könnte das aussehen?
Wie wäre es, kontinuierlich Gespräche über das Jahr verteilt zu organisieren und so den Dialog, das gegenseitige Abholen und das Kennenlernen in den Vordergrund zu stellen. So könnten dem Jahresgespräch der Schrecken und das ungute Gefühl genommen werden – und das offizielle große Gespräch nicht mehr überraschend sein, sondern nur eine Kumulation aus den kleineren Meetings.
Wie findet man heraus, was angenehm für Mitarbeitende ist?
Indem man mit den Mitarbeitenden redet und Prozesse nicht für, sondern mit denjenigen designt, die sie dann später anwenden sollen. Dabei können auch Fragen gestellt werden wie „Ginge das leichter?“ oder „War das angenehm?“, um auch Worte zu nutzen, die die Mitarbeitenden auf eine emotionale Ebene bringen. Dementsprechend ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Gefragten mit einer Beschreibung von Gefühlen antworten und so auch auf Freude oder Unwohlsein eingehen. Freude muss auf der Arbeit thematisiert werden, auch in Teamgesprächen. In diesem Rahmen lassen sich auch Dinge finden, die einem gemeinsam Freude bereiten.
Was ist, wenn dabei herauskommt, dass man seine Kolleginnen und Kollegen nicht mag? Sollte man diese dann auch „ausmisten“ und ihnen aus dem Weg gehen?
Ich finde, es ist legitim, Kollegen und Kolleginnen aus dem Weg zu gehen, mit denen man sich nicht gut versteht – wenn dies in Bezug auf Arbeitsaufgaben möglich ist. Denn je öfter man auf diese Personen trifft, desto wahrscheinlicher ist es, dass es zu Reibungen kommt, die wiederum nicht gut für die Produktivität und das Endprodukt sind, das man als Unternehmen kreiert. Kollegial und fair sollte man schon sein, aber sich nicht dazu zwingen, mit jedem und jeder gut auszukommen.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.