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„Work Spouses”: Wann sind sich Arbeitskollegen zu nah?

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Ein Blick des Kollegen reicht aus, und sie versteht, was er meint. Ihre Arbeitsrhythmen sind auf natürliche Art und Weise aufeinander abgestimmt, sodass sie reibungslos zusammenarbeiten können. Wird sie kritisiert, hält er ihr den Rücken frei. Gleichzeitig erhält sie unbeschönigtes Feedback von ihm und weiß genau, wie sie ihn aufheitern und entlasten kann, wenn die Arbeit zu stressig ist. In der fiktiven Welt verkörpern diese Art der Arbeitsbeziehung unter anderem der Anwalt Harvey Specter und seine Sekretärin Donna Paulsen in der Serie „Suits”. Ihre Beziehung ist nah, vertraut – und für viele Außenstehende vielleicht fast schon zu intim für die Arbeitswelt. Doch können sich zwei Menschen zu nah stehen, um erfolgreich zusammenzuarbeiten?

Für die beschriebene Art der Arbeitsbeziehung hat sich in den vergangenen Jahren in den USA der Begriff „Work Spouses” (zu Deutsch: Arbeitsehepaar) etabliert – oder auch je nach Geschlecht „Work Husband” oder „Work Wife”. Seine Definitionen variieren – vor allem, was das (sexuelle) Intimitätslevel des Büropaares angeht. Die US-amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Chad McBride und Karla Mason Bergen haben „Work Spouses” als „eine besondere, platonische Freundschaft mit einem Kollegen oder einer Kollegin“ definiert, „die sich durch eine enge emotionale Bindung, ein hohes Level an Offenheit, Unterstützung, gegenseitiges Vertrauen, Ehrlichkeit, Loyalität und Respekt“ auszeichnet.

Der deutsche Arbeitspsychologe und Führungskräfte-Coach Michael Kastner dahingegen würde auch zwei Menschen als Arbeitspaar bezeichnen, die sich sexuell näherkommen und gleichzeitig alle anderen von McBride und Mason Bergen genannten Merkmale aufweisen – und das in unterschiedlicher Intensität. „Manchmal kann die Arbeitsehefrau auch zur echten Ehefrau werden“, sagt Kastner. „Oder ‚Work Spouses’ sind einfach nur sehr gute Kollegen und es ist absolut klar, dass nichts Körperliches laufen wird und sie sich niemals etwas über ihr Privatleben erzählen werden.“

Gute Beziehungen sind entscheidend für die Mitarbeiterbindung

Auf jeden Fall seien die beiden ein eingespieltes Team, deren Vertrautheit, Zeit spart, motivierend auf sie wirkt, sie dazu veranlasst die „Extrameile“ auf der Arbeit füreinander zu gehen und somit ihre Leistungsfähigkeit fördert – alles Vorteile für den Arbeitgeber. Ihre enge Beziehung bietet dem Arbeitgeber allerdings noch einen weitaus größeren Vorteil: Sie fördert wie wohl wenige andere Aspekte ihre Bindung ans Unternehmen. Laut dem Hays HR-Report 2023 wird ein gutes Betriebsklima von den befragten Führungskräften und Mitarbeitenden als wichtigstes Tool für die Mitarbeiterbindung angesehen – wichtiger als ein marktgerechtes Gehalt, flexible Arbeitszeiten und Vereinbarkeit.

„Menschen folgen nicht nur anderen Menschen, sondern bleiben ihretwegen auch bei einem Arbeitgeber“

sagt Jonas Höhn.

Der Retention-Berater beschreibt in seinem kürzlich erschienenen Buch „Arbeitsfrust statt Arbeitslust“, wie wichtig gute zwischenmenschliche Beziehungen in der Arbeitswelt sind – für die individuelle Gesundheit und die Zusammenarbeit im Team, aber auch für die Mitarbeiterbindung. „Zukünftig wird der USP eines Arbeitgebers das soziale Gefüge in seinem Team sein“, sagt er. „Unternehmenspurpose, Gehälter – all das passt sich immer mehr an und wird damit austauschbar. Nicht aber die Menschen vor Ort und ihr Miteinander – das ist einzigartig.“

Längere Gespräche am Kaffeeautomat, Angebote wie Afterwork-Events, Blind Lunches aber auch eine gute interne Mobilität sollten deshalb von Arbeitgebern gerne gesehen und nicht als netter, aber unnötiger Bonus oder Zeitverschwendung betrachtet werden. Wichtig sei hierbei: Mitarbeitende sollten auf der Arbeit nicht in ihre „Arbeitspersönlichkeit“ schlüpfen, sondern komplett sie selbst sein. Das wiederum erfordere ein entsprechendes Arbeitsumfeld, das ihnen die Erlaubnis und psychologische Sicherheit dafür gibt. „Menschen müssen auf der Arbeit so sein können, wie sie sind, und sich verletzlich zeigen können, sonst entstehen nur schwer enge Beziehungen“, so Höhn.

Wenn Nähe Risiken birgt

Sich authentisch zu zeigen, kann aber auch heißen, als verheirateter Mann eine Affäre mit seiner Sekretärin einzugehen und das kann neben den moralischen Aspekten unter Umständen negative Konsequenzen für die Zusammenarbeit im Team haben. Arbeitspsychologe und Führungskräfte-Coach Kastner beriet ein Unternehmen in genau solch einem Fall. Die Sekretärin wollte eine romantische Beziehung mit ihrem Chef vertiefen, er wollte aber seine Frau nicht verlassen. Die beiden konnten aufgrund dieses Konflikts nicht mehr gut zusammenarbeiten.

Kastner riet, die Sekretärin einem neuen Chef zuzuordnen, was aber eine Rotation der anderen Assistenz-Führungskräfte-Teams zur Folge hatte – eine Entscheidung, die er heute bereut. „Die anderen Leiter und Sekretärinnen waren sauer“, berichtet Kastner. „Ich hatte vergessen, dass man immer alle Teammitglieder mitbedenken muss.“ Schließlich wurde besagte Sekretärin „mit anderen Aufgaben betraut“ – in Absprache mit ihr, ohne eine Moralpredigt zu halten und mit einer alternativen, glaubwürdigen Erklärung für alle Nichtbetroffenen, erinnert sich der Arbeitspsychologe. Dieses Extrembeispiel zeigt eines der Hauptrisiken von „Work Spouses” oder engen emotionalen Bindungen zwischen Kolleginnen und Kollegen:

„Soziale Beziehungen sind meist asymmetrisch, einer verspricht sich oder gibt immer mehr als der andere“

sagt Michael Kastner.

Das kann zu Frustration und verletzten Gefühlen führen und wiederum die Stimmung des gesamten Teams negativ beeinflussen. Ein weiteres Risiko sind Loyalitätskonflikte. Meist ist die Loyalität zwischen dem „Work Husband” und der „Work Wife” – oder aber auch zwischen zwei „Work Wives” beziehungsweise „Work Husbands” – höher als die zum Unternehmen oder zu anderen Teammitgliedern. Das kann zwei Folgen haben: Zum einen tolerieren die Mitglieder dieser Arbeits-Ehegemeinschaft gegenseitig ihr Fehlverhalten, decken und unterstützen einander in kritischen Phasen. Zum anderen können die anderen Teammitglieder neidisch werden und über die enge Bindung der beiden tratschen.

Eifersüchtig oder misstrauisch könnten zudem die eigentlichen Ehepartner sein. Das beeinflusst den Arbeitgeber zwar erstmal nicht direkt, wohl aber mehr, wenn sich die ehelichen Krisen auf die Beziehung der „Work Spouses” und damit auf ihre Zusammenarbeit auswirken. „Wenn es die Kultur und die Arbeitsergebnisse stört, dann muss die Führungskraft hier eingreifen und dafür sorgen, dass das Zwischenmenschliche nicht alles kontrolliert“, sagt Kastner.

Klare Erwartungen an die Beziehung definieren

Oder die „Work Spouses” tun das im besten Fall so gut wie möglich selbst. „Sie sollten ihre Erwartungen an sich als Kollegen und Freunde im Arbeitskontext klar definieren“, sagt Höhn. Und dementsprechend auch bestmöglich mit auftretenden Konflikten umgehen, sodass ihre Kollegen und Kolleginnen davon so wenig wie möglich betroffen sind. Zu eng könne ihre Beziehung dafür nicht sein. „Ein zu nah darf es auch im Arbeitsleben nicht geben“, so der Retention-Berater. Zumindest nicht, wenn beide involvierten Personen einverstanden mit der Art der Nähe wären.

Das sieht Arbeitspsychologe Kastner anders. Er empfiehlt eine „gesunde Halbdistanz“ zwischen Mitarbeitenden – auch bei solchen, die sich sehr gut verstehen und herausragend zusammenarbeiten können. Denn wer sehr viel Zeit miteinander verbringe und sich emotional nahestehe, könne beim jeweils anderen hin und wieder einen „Dichtestress“ auslösen, der zu „unnötigen Konflikten“ führe.

Wann Beziehungen unter Kollegen und Kolleginnen zu nah sind, muss folglich jedes Individuum und jedes Unternehmen selbst festlegen. Dabei ist es wohl vor allem eine Frage der Unternehmenskultur, die ein Arbeitgeber im Betrieb etablieren möchte. Sind mir Vertrauen und emotionale Unterstützung in meinem Team lieber oder eine professionelle Distanz, mit der Mitarbeitende ihrem Job mehr auf Fakten- als auf Gefühlsbasis nachgehen? Oder finde ich einen Mittelweg? Um diese Frage für sich zu beantworten, kann man auch die menschlichen Bedürfnisse beachten. „Je mehr Menschen das Gefühl haben, keine Kontrolle oder Orientierung zu haben – was durch die aktuellen Multikrisen gefördert wird –, desto mehr suchen sie nach Unterstützung und emotionalem Halt“, sagt Arbeitspsychologe Kastner. Und beides bekommt man durch enge Beziehungen.

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.