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Hochschulprojekt: Wie sich der HR-Nachwuchsmangel bekämpfen lässt

Bei Katja Lohmann hat es geklappt. Die 24-Jährige wird wohl, wenn sie im kommenden Jahr mit dem Studium fertig ist, in einer Personalabteilung arbeiten. An der Hochschule München steht sie mittlerweile kurz vor dem Masterabschluss im Fach BWL, Studienrichtung Human Resources Management. Eines der Themen, mit denen sie sich im vergangenen Wintersemester im Rahmen eines Seminars beschäftigte, war der Nachwuchsmangel im HR-Bereich.

Insgesamt nahmen an dem Seminar mit dem Titel „Talents4HR“ 50 Studierende aus dem BWL-Schwerpunkt-Master HR Management an der Hochschule München und dem Wirtschaftspsychologie-Bachelorprogramm an der Technischen Hochschule Rosenheim teil. In sechs Gruppen näherten sie sich dem Thema sowohl aus Sicht der Talente als auch aus Sicht der Unternehmen. Am Ende des Seminars, das von Oktober bis Dezember 2022 vorrangig digital stattfand, trafen sich alle Beteiligten live vor Ort in München, um die Ergebnisse vorzustellen und zu diskutieren. Dass den Personalabteilungen die Talente ausgehen, hört Professor Wilhelm Maier von der Hochschule München in Gesprächen mit Leuten aus der Praxis immer wieder. Kein Wunder, denn in den Personalabteilungen werden – wie in anderen Bereichen auch – in den kommenden zehn bis 15 Jahren Zehntausende Menschen in den Ruhestand gehen, während viel weniger junge Menschen in den Beruf starten. Deshalb habe es auch keine Überzeugungsarbeit gebraucht, als Heike Gorges mit der Idee zu einem Seminar zu diesem Thema auf ihn zukam.

Die Vorständin der HR-Personal- und Karriereberatung HRblue beschäftigt sich schon aus beruflichem Interesse länger mit dem Thema. „Etwa die Hälfte der Unternehmen, mit denen wir sprechen, nimmt schon jetzt einen Nachwuchsmangel wahr“, hat sie beobachtet. „Noch ist der Leidensdruck nicht riesig – aber wir wissen ja aufgrund des demografischen Wandels, was noch kommt.“ Und gerade HR müsste eigentlich fähig sein, für den eigenen Nachwuchs zu sorgen – die Realität sieht aber anders aus. „Vor allem fehlt es an einer Ansprache von und Informationen für junge Menschen, um sie von der Arbeit in der Personalabteilung zu überzeugen“, ist Gorges sicher.

Die Studierenden kennen ihre Generation

Das Seminar, das Gorges gemeinsam mit Professor Maier und Professorin Stephanie Rascher von der Hochschule Rosenheim initiierte, soll dabei helfen, herauszufinden, wie mehr junge Menschen für den Job HR begeistert werden können. „Schließlich sind die Studentinnen und Studenten die Zielgruppe, um die es geht“, sagt Gorges. Klar: Sie haben sich schon (mehr oder weniger) für den Weg in die Personalabteilung entschieden. Aber sie kennen ihre Generation und wissen, wie man ihre Altersgenossinnen und -genossen anspricht – und was Arbeitgeber ihnen bieten müssen.

Um sicherzugehen, nicht von ihren Einzelschicksalen auf eine gesamte Generation zu schließen, führte die Gruppe von Katja Lohmann gleich zu Beginn des Seminars eine Umfrage unter den Kommilitoninnen und Kommilitonen durch. Zusätzlich untersuchten die Studierenden, wie etwa die IT-Abteilungen und -Unternehmen es schaffen, trotz der traditionell schwierigen Personalsituation Talente zu finden. „Dabei fiel uns auf, dass es nur selten Traineeships im HR-Bereich gibt“, sagt Lohmann.

Personalarbeit ist mehr als Personalverwaltung

Auch Stephanie Rascher, die als Leiterin des Schwerpunkts Wirtschaftspsychologie der Technischen Hochschule Rosenheim mit einigen Studierenden an dem Projekt teilnahm, hat diese Beobachtung gemacht. Dazu komme: „Die Studierenden bekommen im Rahmen ihrer Praktika im HR-Bereich oft nur die verwaltenden und unterstützenden Tätigkeiten der Personalabteilung mit“, sagt sie – also etwa das Versenden von Eingangsbestätigungen oder die Ablage von Krankmeldungen. „Bei den wirklich spannenden Aufgaben, wie zum Beispiel dem Führen von Bewerbungsgesprächen oder dem Konzipieren von Entwicklungsmaßnahmen, lässt man sie aber außen vor. So ist den meisten gar nicht klar, wie heterogen und spannend die Aufgaben sind und dass HR gerade heute ein wichtiger strategischer Partner der Geschäftsführung ist.“ Selbst Finanzabteilungen seien besser darin, ihren potenziellen Talenten klarzumachen, was ihr Wert im Unternehmen ist.

Info


Dieses Missverständnis, dass Personalarbeit eben nicht nur Personalverwaltung umfasst, ist auch einer der vier „Pain Points“, den die Gruppe um Katja Lohmann anhand einer Befragung von Studierenden identifiziert hat. Punkte also, die verhindern, dass sich mehr junge Menschen für eine HR-Karriere entscheiden. Neben den Verständnis- und den ebenfalls schon angesprochenen Bekanntheitsproblemen sehen die Studierenden auch ein Problem der zu späten Adressierung sowie ein Diversitätsproblem. Ihr Lösungsvorschlag: ein Verein, der sich diesen Problemen widmet, indem er konkrete Initiativen steuert und finanziert.

Website als Teil der Lösung des Nachwuchsmangels

Teil des Ganzen wäre dabei eine Website, die die Infos zum Berufsfeld sammelt – und zwar branchen- und unternehmensübergreifend. Partnerunternehmen, die das Ganze finanzieren würden, könnten sich zwar in einer eigenen Rubrik präsentieren, im Mittelpunkt würde aber die Darstellung der unterschiedlichen Berufsbilder und Ausbildungswege stehen. So etwas gebe es für die HR-Szene bislang nicht, sagt Sophie Botz, deren Seminargruppe für die Konzeption der Website verantwortlich war. „Ein Ort, an dem Schüler und Schülerinnen, Studierende, aber auch junge Personalerinnen und Personaler, die schon im Job sind, sich informieren können.“ Ihr jedenfalls hätte eine solche Seite bei der Berufsorientierung geholfen. Auch bei der Konzeption der Informationsseite profitierten die Studierenden von ihrer eigenen Betroffenheit als potenzielle Zielgruppe der Rekrutierungsbemühungen.

(Illustration: Hochschule München)

Wie die meisten Gruppen im Seminar stand bei Botz‘ Team eine Umfrage am Anfang der Ausarbeitung. „Wir haben aber bewusst Menschen aus unserem Bekanntenkreis befragt, die im Zweifelsfall keinen Bezug zum Thema HR hatten“, erklärt Botz. Das erschreckende Ergebnis: Ein Drittel der meist jungen Befragten wusste noch nicht einmal, dass es so etwas wie einen Personalbereich überhaupt gibt. Für den Rest sei er oft nicht attraktiv gewesen. „Uns war es daher wichtig, HR nicht als die ‚Bösen‘ darzustellen“, sagt Botz. Viel zu oft seien die Kontakte mit der Personalabteilung ja nicht unbedingt die angenehmsten – etwa, wenn es um Kündigungen, Abmahnungen oder Ähnliches geht. „Außerdem wollten wir vor allem auch Männer ansprechen, die ja im Personalbereich genauso unterrepräsentiert sind wie in unserem Studiengang.“

Begeistert von der Kreativität

Eine Kommilitonin sei dann auf die Idee gekommen, aus den Buchstaben HR das englische Wort „Hero“ (beziehungsweise HeRo), also „Held“ zu formen. Der Rest der Gruppe habe die Idee so gut gefunden, dass auf dem Websiteentwurf nun der Slogan steht: „You can’t spell Hero without HR.“ Man könne das Wort Hero nicht schreiben, ohne auf die Buchstaben H und R zurückzugreifen. Auch der von Katja Lohmann und ihrer Gruppe erdachte Verein soll den Namen HeRo tragen. Er würde nicht nur eine Website betreiben, sondern sich auch um Präsenzen zum Beispiel auf Karrieremessen kümmern – und natürlich auf Social Media. „Tiktok und Instagram funktionieren heute einfach besser als Flyer und Ähnliches“, sagt Lohmann. Weshalb sich mehrere Gruppen von Rosenheimer Studierenden mit möglichen Inhalten für die visuell geprägten Netzwerke kümmerten. So entstand ein Instagramkanal genauso wie mehrere Videos, in denen die unterschiedlichen HR-Rollen präsentiert werden.

Ihre Professorin Stephanie Rascher war dabei begeistert von der Kreativität und Herangehensweise der Studierenden. „Wenn ein Unternehmen Marketingmaßnahmen unternimmt, wird oft ein ziemlicher Aufwand betrieben“, sagt sie. „Die Studierenden hingegen haben mit null Budget und geringer technischer Ausstattung eine professionelle Instagram-Seite aufgesetzt und Videos gedreht.“ Die Zielgruppe gehe so etwas meist unkomplizierter und schneller an. „Gerade kleinere Unternehmen könnten sich hier etwas abschauen“, glaubt die Professorin. Schließlich müsse auch dort nicht alles auf Perfektion getrimmt sein.

Vorurteile aufs Korn genommen

In den Videos, die die Studierenden produziert haben, werden die Jobprofile aber nicht nur vorgestellt, es werden auch Vorurteile aufs Korn genommen. Diese gibt es nach wie vor – und sie können dazu führen, dass sich junge Menschen von vornherein für einen anderen Berufsweg entscheiden. Auch bei Sophie Botz wäre es fast so gekommen. „Mein Vater hat mir nach meinem Abitur den HR-Bereich ans Herz gelegt“, erinnert sich die Studentin. „Er war der festen Überzeugung, dass ich gut in den Job reinpassen würde.“ Doch weil sie selbst der Meinung war, dass Personalerinnen und Personaler vor allem „langweilige Tätigkeiten wie Lebensläufe sichten“ besteht, konnte sie sich eine solche Karriere selbst nicht vorstellen. Erst während des grundständigen BWL-Studiums und mit der Beschäftigung mit dem Thema HR habe sich ihr Bild von der Personalarbeit gewandelt. „Ich glaube, wenn ich damals schon einfach zugängliche Infos gehabt hätte, dann hätte mir das bei der Berufsorientierung geholfen.“

Die bestehenden Informationsmöglichkeiten jedenfalls scheinen dies nicht zu tun. Zu unattraktiv und unaktuell sind sie. „Selbst auf der Website der Bundesanstalt für Arbeit zur Berufsorientierung wird der Personalerberuf sehr veraltet dargestellt“, sagt Lohmann. Und in der Tat dominieren sowohl bei der Beschreibung des Personalsachbearbeiters als auch bei der der Personalreferentin die Verwaltungsaufgaben, die – siehe oben – oft nicht als besonders sinn- und wertstiftend wahrgenommen werden. „Dazu kommt: Viele glauben, es gebe eh schon zu viele Personaler und man finde keinen Job“, sagt Lohmann. Dass das nicht stimmt und im Gegenteil schon heute viele Unternehmen händeringend neue Kolleginnen und Kollegen für die Personalabteilung suchen, war in den vergangenen Monaten nicht nur hier in der Personalwirtschaft zu lesen.

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Kann Deutschland von Schweden lernen?

Einen Schritt weiter scheint derweil Schweden zu sein. Auch dort gibt es natürlich einen Fachkräftemangel, aber seit der Corona-Krise schaffen es die Personalabteilungen vermehrt, ein positives Bild von sich zu zeichnen. „Vermutlich liegt das daran, dass die Leute während der Pandemie häufiger Kontakt mit der Abteilung hatten und diese als sehr hilfreich wahrgenommen haben“, sagt Sophia Baumeister, die an dem (vorwiegend digital durchgeführten) Seminar während ihres Auslandssemesters in Växjö in Schweden teilnahm. Dort befragte sie Expertinnen und Experten – analog zu Kommilitoninnen und Kommilitonen mit Stationen in Ländern wie Belgien, Peru oder Australien –, wie dort mit dem Nachwuchsmangel umgegangen wird – so er denn existiert. Denn in wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern, etwa in Lateinamerika, stehen die Personalabteilungen oft vor ganz anderen Problemen als hierzulande.

Von Schweden aber könnte Deutschland sich etwas abschauen: die Fika. „Das Wort heißt Kaffee und bezeichnet eine kurze nachmittägliche Pause“, sagt Baumeister. Diese Auszeit sei in dem Land ohnehin sehr verbreitet – und das machten sich die Unternehmen zunutze. „Die Firmen stellen sich dann mit einem Stehtisch ins Foyer, bringen ein paar Zimtschnecken und Kugelschreiber mit und kommen mit den Studierenden ins Gespräch“, erklärt die Studentin. Klar: Auch in Deutschland gibt es Unternehmen, die auf solchen Wegen Studierende anzusprechen versuchen. Aber im HR-Bereich passiert so etwas hierzulande doch noch recht selten.

Wie geht’s weiter?

So interessant die Ergebnisse des Seminars der beiden Hochschulen ist: Verein und Website existieren bislang nur auf dem (digitalen) Papier, und auch alle anderen Ergebnisse sind bislang vor allem Konzepte. „So kurz vor dem Master hat keiner von uns Zeit, das weiterzutreiben“, sagt Sophie Botz aus der Websitegruppe mit Bedauern. Und auch Katja Lohmann erkennt an, dass die Vereinsidee ein Problem hat: „Der größte Hinderungsgrund ist natürlich die Frage, wer so etwas gründet“, sagt sie. Ihr Vorschlag: Der Verein könnte unter dem Dach eines der großen Personalerverbände DGFP und BPM entstehen, dort von Kontakten und anderen Synergien profitieren.

Da ist der Nachwuchs: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars. (Foto: HRblue)
Da ist der Nachwuchs: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars. (Foto: HRblue)

Ein solches „Nachleben“ der Ergebnisse würde sicherlich auch Heike Gorges, Stephanie Rascher und Wilhelm Maier gefallen. „Wir wollen auf jeden Fall die Ergebnisse dem Markt zur Verfügung stellen“, sagt Gorges, die zum Thema HR-Nachwuchs auch schon einen Round Table initiiert hat und zu diesem Zwecke ein Online-Event plant (siehe Kasten). An den Hochschulen wiederum bieten sich zahlreiche Anschlusspunkte für Abschlussarbeiten. „Und an manchen Stellen werden wir einzelne Module des Studiengangs auf Basis der Ergebnisse anpassen“, sagt Maier.

Bis ein Effekt zu spüren ist, werden viele junge Personalerinnen oder Personaler weiterhin entweder durch Vorbilder in der Familie oder im Bekanntenkreis auf den Job HR aufmerksam gemacht werden – oder durch den Zufall. Der spielte übrigens auch bei Katja Lohmann eine Rolle: Ein Psychotest während des grundständigen BWL-Studiums brachte sie auf die Idee. 

Info

Matthias Schmidt-Stein koordiniert als Chef vom Dienst die Onlineaktivitäten der Personalwirtschaft und leitet die Onlineredaktion. Thematisch beschäftigt er sich insbesondere mit dem Berufsbild HR und Karrieren in der Personalabteilung sowie mit Personalberatungen. Auch zu Vergütungsthemen schreibt und recherchiert er.