Bei Siemens Energy basierte das Vergütungssystem zunächst auf unterschiedlichen Lösungen und Prozessen. Die heterogene Comp-&-Ben-Landschaft war eine Konsequenz der Ausgliederung aus dem Siemens-Konzern sowie diverser Kapitalmarktaktivitäten des seit 2020 eigenständigen Unternehmens. Im Sinne einer effizienten Steuerung galt es, für die rund 97.000 Beschäftigten in mehr als 90 Ländern Vergütungssysteme, Reward-Prozesse, Bonusprogramme und dazu diverse örtliche IT-Lösungen zu harmonisieren und zu zentralisieren.
Nach rund drei Jahren Projektdauer ist das Unternehmen heute auf dem Weg in eine Comp-&-Ben-Welt, in der Kernfunktionen zentral gesteuert werden und regionale Teams alle wesentlichen Kennzahlen und Prozessfragen an die Zentrale berichten. Die wichtigsten Prozesse sind standardisiert und harmonisiert – auch infolge einer weltweit durchgängigen Reward-IT-Landschaft. Marc Muntermann, Head of Global Employment & Mobility bei Siemens Energy, der die Bereiche Employment Conditions, Comp & Ben, Organizational Management, People Analytics und Global Mobility verantwortet, berichtet im Interview von der Umstellung.
COMP & BEN: Siemens Energy hat sein Vergütungsmanagement neu aufgestellt. Können Sie damit beruhigt dem 2025 erstmals fälligen Nachhaltigkeitsbericht der CSRD, also der Corporate Sustainability Reporting Directive, entgegensehen?
Marc Muntermann: In der Tat sind wir aus regulatorischer Perspektive zu Nachhaltigkeit im HR-Themenbereich auf einem guten Weg. Aber das ist nur ein schöner Nebeneffekt. Uns ging es vor allem darum, Prozesse zu optimieren und Tools zu reduzieren beziehungsweise zu vereinheitlichen, um so Transparenz zu schaffen, Effizienzen zu heben und somit die Kosten zu senken.
War der Wildwuchs so groß, dass es das große Aufräumen brauchte?
Als Spin-off aus einem heterogen aufgestellten Traditionskonzern sahen wir uns mit gefestigten dezentralen Strukturen, Produkten und Prozessen im Reward-Bereich konfrontiert. So gab es weltweit über 70 Prozesse allein zur regulären Gehaltspflege und mehr als 200 Incentive-Systeme. Ohne durchgängige IT-Landschaft waren die Prozess- und Administrationskosten unverhältnismäßig hoch – und ebenso Defizite bei Datenaktualität und -qualität nur noch schwer zu kompensieren. Eine hochwertige, einheitlich abgestimmte Unterstützung des Business war kaum umzusetzen. Als HR-Einheit verstehen wir uns als Partner unseres global geführten Geschäfts. Wir wollten und mussten unseren Beitrag zur Umsetzung der Unternehmensstrategie leisten und dafür die Anforderungen der Geschäftseinheiten umsetzen: globaler Fokus bei hoher Service-Qualität und effizientem Ressourceneinsatz. Dafür brauchte es eine neue Strategie.
Wie sind Sie vorgegangen?
Gemeinsam mit hkp///group als Begleiter in der Entwicklung und Implementierung der neuen Comp-&-Ben-Strategie haben wir zunächst das Ziel definiert: weg von der länderbezogenen Vergütungswelt hin zu einem einheitlichen Governance-Rahmen mit einer zentralen IT-Plattform. In der Folge wurden verschiedene strategische Ansätze für das neue Comp & Ben analysiert. Letztlich hat sich der in unserem Vokabular als globale Vertikalisierung bezeichnete Ansatz durchgesetzt.
Was bedeutet globale Vertikalisierung für die Praxis?
Ziel war die Etablierung einer neuen Total-Reward-Steuerung. Ein globales Comp-&-Ben-Governance-Team definiert, entwickelt beziehungsweise optimiert und implementiert die global gültigen Produkte wie Grading, variable Vergütung und deren Prozesse und Tools. In enger Abstimmung mit den lokalen beziehungsweise regionalen Einheiten werden die dortigen Besonderheiten im Rahmen der sehr wichtigen Co-Creation berücksichtigt, ganz im Sinne des klassischen „Freedom within a Frame“-Ansatzes.
Setzt ein hohes Maß an Standardisierung nicht auch große Investitionen in eine zentrale Tool-Landschaft voraus?
Ja, aber die Investitionen in Form von personeller Kapazität und finanziellen Mittel lohnen sich, ebenso wie der Schmerz, liebgewonnene Altlösungen durch ein State-of-the-Art-Tool abzulösen. Sonst ließe sich ein umfassender Zugriff auf alle Comp-&-Ben-relevanten Daten in der gewünschten Qualität und Aktualität für unser Geschäft im Self Service nicht sicherstellen. Jetzt haben wir sogar einen Überblick über den Aufwand und können so den Return on Investments belegen.
Wie sahen die ersten Schritte aus?
Als Erstes haben wir ein dezentrales, aber global agierendes Comp-&-Ben-Team aufgebaut. Hierbei war uns sowohl die Nähe zu den Regionen als auch zu den einzelnen Geschäftseinheiten – wir nennen sie Business Areas – wichtig. Hinzu kam ein zentrales Team, das neben den inhaltlichen auch die technische Lösungen, Prozesse und Daten verantwortet. Sobald diese Struktur implementiert war, wurden die Comp-&-Ben-Prozesse und -Produkte in Abstimmung mit den regionalen Teams als globale Standards mit den notwendigen lokalen Ergänzungen definiert.
Wie profitieren die Führungskräfte von dem neuen Ansatz?
Alle Standardisierung, Harmonisierung und Zentralisierung nützt nichts, wenn Führungskräfte vor Ort nicht die erforderliche Unterstützung haben. Entsprechend haben wir eine Self-Service-Lösung entwickelt, die es allen Managerinnen und Managern einheitlich ermöglicht, Vergütungsthemen für Mitarbeitende weltweit zu verwalten. Die sehr benutzerfreundliche Anwendung verknüpft eine Vielzahl von Daten auf einer Oberfläche. In Summe konnten wir durch die Vertikalisierung einen enormen Mehrwert generieren, da globale Führungskräfte erstmalig alle Comp-&-Ben-relevanten Prozesse und Daten in Echtzeit bearbeiten konnten.
Lässt sich der Mehrwert auch in Zahlen ausdrücken?
Nehmen wir den Prozess der jährlichen Gehaltserhöhungen, den Merit-Prozess, den wir 2023 erstmalig auf Basis des neuen Systems gleichzeitig in über 70 Ländern durchgeführt haben. Die Rückfragequote betrug nur ein bis zwei Prozent, ohne zusätzliche Unterstützung und Kosten. In der Vergangenheit wurden hier zur globalen Abstimmung noch vielfach Excel-Tabellen in lokaler Währung zusammengetragen. Abgesehen vom Aufwand für HR war das verwirrend für Führungskräfte, da beispielsweise die Vergütung nur in lokaler Währung definiert wurde. Heute können unsere Führungskräfte im Self Service Gehaltsdaten in Euro direkt umrechnen. Generell lassen sich durch neue Funktionalität und Transparenz deutlich schneller bessere Entscheidungen treffen.
Ist die Vertikalisierung Voraussetzung für ein leicht umzusetzendes Reporting?
Die Verfügbarkeit von HR-Daten wird wichtiger denn je. Ein Beleg dafür sind die für das Nachhaltigkeits-Reporting geforderten Equal-Pay-Analysen, die sich jetzt auf gesicherter Datenbasis und -qualität zeitnah und effizient darstellen lassen. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Visualisierung von Organisationsstrukturen. So lässt sich heute jederzeit aufzeigen, wie viele Mitarbeitende auf welcher Funktions- oder Managementebene pro Bereich allokiert sind, bei gleichzeitiger Möglichkeit, diese Mengengerüste mit dem Markt zu vergleichen. Durch die flexible Tool-Landschaft und hohe Verfügbarkeit von Daten sind wir in der Lage, Entscheidungen der Managerinnen und Manager strategisch zu begleiten wie auch die Wirkung von Informationen im Rahmen von wissenschaftlich begleitenden Experimenten zu analysieren.
Was antworten Sie Kritikern des zentralen Governance-Ansatzes?
Unser Geschäft ist global vertikalisiert aufgestellt. Somit muss auch HR dieser Aufstellung folgen. Für andere Unternehmen mag eine dezentrale Strategie passen; aber bei globalen Playern mit hohem Effizienzfokus sind Harmonisierung und Standardisierung fast unumgänglich. Wichtig ist, die lokalen Anforderungen des globalen Business zu verstehen und in ein entsprechend globales Framework aus Produkten, Prozessen und Tools zu übersetzen. Richtig implementiert, profitieren alle Stakeholder.
Ist eine Vertikalisierung in der Steuerung auch für die HR-Funktion sinnvoll?
Für Bereiche wie Global Mobility oder Employment Conditions ist der zentrale Steuerungsansatz ebenfalls sinnvoll. Daran arbeiten wir derzeit. Aus meiner Sicht gilt: Wenn eine zentrale Ausrichtung von Comp & Ben – ein Bereich mit höchsten Anforderungen an Compliance und Employee Experience – funktioniert, sollte dies auch für die gesamte HR-Funktion eine Überlegung wert sein, erst recht, weil die IT-Anwendungen so stark interagieren.
Worauf sollten Unternehmen achten, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen?
Insbesondere die Analyse der Ausgangslage und die Definition eines klaren Zukunftsbildes hat uns extrem geholfen. Und es braucht einen strategischen Partner an der Seite, der auch die Fallstricke der Implementierung durchdringt. Einfach loslaufen, wäre – erst recht aus heutiger Sicht – keine gute Alternative gewesen.
Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.