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Flexibilität variabler Vergütungsmodelle – die richtigen Weichen stellen

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An welchen Stellen hakt es, wenn Unternehmen variable Vergütungsmodelle auf- und umsetzen? Welche Schwachstellen beobachten Sie bei der Ausgestaltung am häufigsten?
David Voggeser: Es gilt – neben der technischen Umsetzung – eine Reihe von Grundsätzen zu beachten, damit Vergütungsmodelle auf einem tragfähigen, nachhaltigen Fundament stehen. Einer lautet: Vergütungselemente nie separat beurteilen. Vergütung ist immer ein Gesamtkonstrukt strategischer Parameter und kultureller Besonderheiten eines Unternehmens. Wird beispielsweise der kurzzeitige variable Vergütungsbestandteil, der Bonus oder Short Term Incentive (STI), fokussiert, werden dabei aber Elemente wie Grundvergütung, Spotboni, Nebenleistungen und andere außen vorgelassen, dann mag dieser STI am Ende gut definiert sein, wirkt aber im schlimmsten Fall konträr zu den anderen Elementen.

Können Sie ein Beispiel anführen?
Voggeser: Ein Unternehmen will stärker differenzieren und daher die individuelle Leistung im STI besonders gewichten. Wenn nun aber alle weiteren Vergütungselemente gegenläufig wirkende Ziele beinhalten, wie beispielsweise eine Steigerung des Teambeitrags, dann wäre der neu entwickelte STI ein harter Störfaktor. Daher gilt: Vergütungselemente müssen jedes für sich technisch sauber ausgestaltet sein, aber letztlich zwingend immer im Ganzen betrachtet werden. Am Ende braucht es eine Vergütungslandschaft, die neben unternehmensstrategischen und -kulturellen Aspekten auch Fragen der Angemessenheit, Steuern, Sozialabgaben etc. einschließt.

Welche weitere Schwachstelle beobachten Sie?
Voggeser: Wir werden nicht selten in der technischen Umsetzung von Vergütungselementen beziehungsweise der Berechnung von deren Wirkung und Kosten gerufen. Dabei haben sich Unternehmen bereits mit der Bonushöhe auseinandergesetzt oder KPIs identifiziert. Allerdings wurde zuvor nicht geklärt: Was soll mit der variablen Vergütung erreicht werden? Soll die Geschäftsstrategie unterstützt oder eine individuelle Differenzierung verstärkt werden? Geht es um Teamerfolge, Nachhaltigkeit oder anderes? Ohne Antworten darauf kann ein neues Vergütungssystem unmöglich seine gewünschte Wirkung entfalten.

Es braucht also zuvor die Definition eines genauen Zielbildes?
Voggeser: Unbedingt. Erst wenn Ziele klar benannt sind, können die Konsequenzen einer Auswahl und Ausgestaltung von Vergütungselementen zuverlässig bewertet werden.

Welche weitere Grundsatzüberlegung bestimmt den Erfolg eines Vergütungssystems?
Voggeser: Unternehmensstrategie und Unternehmenskultur werden oft zu wenig berücksichtigt. Beide haben aber einen relevanten Einfluss auf den Erfolg eines Vergütungssystems. Ausgeprägt technische Unternehmen fremdeln in der Regel mit der Messung und Bewertung von weichen Zielen zum Beispiel im Rahmen eines 360-Grad-Feedbacks. In einer Marketingagentur dagegen wird eine komplexe Matrix in der Berechnung der Zieleerreichung als Fremdkörper wahrgenommen. Es mag klischeehaft klingen, aber Führungs- und Feedbackkultur sind essenziell für den Erfolg eines Vergütungssystems und insbesondere seiner variablen Komponenten.

Die richtigen Kennzahlen zum leistungsgerechten, erfolgsorientierten, performancebezogenen oder ergebnisabhängigen Vergütungsmodell finden und anwenden – wie gut funktioniert das in der Praxis?
Voggeser: Aus der Finance-Perspektive sind Unternehmen in der Regel sehr gut aufgestellt. Hier besteht die Herausforderung darin, aus vielen finanziellen Kennzahlen die passenden für das ausgewählte Vergütungsmodell zu identifizieren. Nicht jeder KPI unterstützt ja das definierte Ziel. Die Formulierung und Bewertung individueller Ziele gestalten sich da herausfordernder. Unsere Studien zeigen, dass 30 bis 40 Prozent der Unternehmen in Deutschland individuelle Zielerreichung vom Bonus entkoppeln wollen, zugunsten von Firmenzielen. Ein Grund ist, dass Differenzierung von Mitarbeitenden nach Leistung und Erfolg, ob nun mit SMART-Zielen oder mit der OKR (Objective Key Results)-Methode, durch Führungskräfte kaum stattfindet beziehungsweise die Bewertungen im Ergebnis vielfach zu positiv ausfallen.

Ist das ein Automatismus?
Voggeser: Vergütungsentscheidungen sind ein Ausdruck von Führungsqualität. Leistungsbereite Mitarbeitende wollen spezifisch beurteilt und vergütet werden. Gute Führungskräfte differenzieren daher, um zu motivieren und zu binden. Schwächere vermeiden eher negative Botschaften, weil diese Konfliktpotenzial bergen.

„Vergütungselemente müssen jedes für sich technisch sauber ausgestaltet sein, aber letztlich zwingend immer im Ganzen betrachtet werden.“

David Voggeser, Partner, Strategic HR, hkp///group

Variable Vergütungen bewegen sich in ihren Höhen also tendenziell eher nach oben, seltener nach unten?
Voggeser: Das erfolgsabhängige Schwanken ist ja das Wesen der variablen Vergütung. Doch in der Realität sehen wir in den Leistungsbeurteilungen nicht die Gaußsche Verteilungskurve, sondern eine Rechtsverschiebung, also deutlich oberhalb von 100 Prozent der Zielerreichung. Abgesehen vom Kostenaspekt ökonomisch nicht gerechtfertigter variabler Bezüge werden hier Chancen für einen nachhaltigen Entwicklungs- und Feedbackprozess, der gute wie schlechte Ergebnisse berücksichtigt, nicht genutzt. Hier werden Chancen für den konstruktiven Mitarbeiterdialog und damit Bindungsmöglichkeiten vergeben.

Unternehmen wollen leistungsstarke Mitarbeitende binden. Mit welchen Vergütungselementen gelingt dies am besten?
Voggeser: Vergütung ist ein Hygienefaktor. Talente gehen von Bord, wenn ihre Vergütung zu niedrig ist. Aber sie bleiben nicht, weil sie sehr gut verdienen – irgendjemand zahlt immer mehr auf dieser Welt. Mit Geld können Arbeitgeber vielleicht Symptome individueller Unzufriedenheit kurzfristig heilen, aber für eine langfristige Bindung braucht es mehr als das. Vergütung muss daher so gestaltet sein, dass sie keinen Grund zum Verlassen bietet. Hinzu kommen Faktoren wie Führungskultur, Arbeitsumfeld oder Entwicklungsperspektiven, die über eine erfolgreiche Mitarbeiterbindung entscheiden.

Gibt es bestimmte Typen, Rollen oder Branchen, in denen Vergütung stärker im Mittelpunkt steht als bei anderen?
Voggeser: Vergütungspräferenzen sind hoch unterschiedlich, ebenso die für Nebenleistungen und das Arbeitsumfeld. Bei erfolgskritischen Talenten aus dem IT- und Hightech-Bereich ist zum Beispiel mehr Homeoffice gefragt. Leben und arbeiten sie im Ausland, ist eine bAV wohl weniger attraktiv. Auch sympathisieren jüngere Mitarbeitende eher mit einer stärker risikoorientierten Ausrichtung in der Vergütung; anderen ist Sicherheit wichtig, und sie verzichten beispielsweise auf eine aktienbasierte Langfristvergütung. Grundsätzlich braucht es eine attraktive Höhe auf Marktniveau in Kombination mit einer entsprechenden Ausgestaltung. Je individueller eine Vergütung zugeschnitten ist, umso höher ist die Attraktivität in puncto Gewinnung, Bindung und Motivation.

Funktioniert das in der echten Welt?
Voggeser: Die Digitalisierung ermöglicht es heute, eine solche Vielfalt in der Vergütung zu administrieren. Digitalisierung kann aber ihr Potenzial vor allem bei hohen Aufgabenvolumina und standardisierten Prozessen entfalten. Wenn ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitenden ebenso viele unterschiedliche Grundvergütungen, STI und Nebenleistungen etabliert, bleibt eine Effizienzsteigerung durch Digitalisierung sicherlich hinter den Erwartungen zurück.

Wie können Unternehmen in diesem Zwiespalt vorgehen?
Voggeser: Wir empfehlen, gezielt Leitplanken zu setzen, und innerhalb dieser individuelle Wahlmöglichkeiten zu eröffnen. Neudeutsch: einem Freedom-within-a-Frame-Ansatz folgen, der sich auf bestimmte Mitarbeitergruppen, aber auch Wahlelemente ausrichten lässt. Zum Beispiel könnte jüngeren Mitarbeitenden oder High Performern, Tech-Talents und AT-Mitarbeitenden eingeräumt werden, sich bei einem Vergütungselement oder einer Nebenleistung für eine Ausgestaltung mit starkem Chancenprofil zu entscheiden. Speziell für Nebenleistungen eignet sich das bekannte Cafeteria-Modell, das heute als digitale Plattform in der Administration deutlich günstiger und flexibler ist als noch vor wenigen Jahren.

Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.