Welchen Vergütungsanspruch haben Beschäftigte, wenn feststeht, dass bei ihrem Gehalt der Gleichbehandlungsgrundsatz „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ nicht eingehalten wurde? Darum ging es gestern am Bundesarbeitsgericht (BAG). Verhandelt wurde die Klage einer Frau aus der mittleren Führungsebene unterhalb des Vorstands bei Daimler Truck. Ein internes Dashboard hatte ergeben, dass sie weniger verdient als das Mediangehalt der männlichen Kollegen in ihrer Entgeltgruppe. Da sie das Gehalt des bestverdienenden Kollegen kannte, machte sie vor Gericht dieses Gehalt geltend – und nicht den Mittelwert.
Zurecht? Der 8. Senat kam zu dem Schluss: Frauen müssen sich nicht mit einem Mittelwert begnügen, wenn sie die gleiche Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen verlangen. Die Vorsitzende Richterin Martina Ahrendt sagte laut Medienberichten bei der Urteilsverkündung: „Der Mittelwert ist ohne Bedeutung.“ Der sogenannte Paarvergleich, also der Vergleich zweier individueller Gehälter, komme nicht nur bei der Feststellung einer Gehaltsbenachteiligung zum Tragen, sondern auch, wenn es anschließend darum geht, wie viel der betroffenen Person zusteht.
Equal Pay: BAG widerspricht der Vorinstanz
Das sah die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg, noch ganz anders. Das LAG hatte lediglich die Differenz zwischen dem Medianentgelt der weiblichen Vergleichsgruppe und dem Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe zuerkannt. Diese unterschiedliche Berechnung machte einen großen Unterschied: Das LAG hat der Arbeitnehmerin 130.000 Euro zugesprochen. Gefordert hatte sie aber 420.000 Euro. Es geht um Vergütungs- und Schadensersatzansprüche für die Jahre 2018 bis 2022.
Die Klage der Daimler-Managerin wurde von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt. Dessen Rechtsanwältin Sarah Lincoln verhandelte für die Arbeitnehmerin vor dem BAG und äußert: „Der mühsame Gang durch die Instanzen hat sich gelohnt – endlich steht fest: Frauen müssen sich nicht mit Mittelmaß zufriedengeben. Sie können sich mit jedem Kollegen vergleichen, der die gleiche Arbeit macht. Wenn der Arbeitgeber den Lohnunterschied nicht begründen kann, muss er den Lohn angleichen.“
In den Instanzen davor vertrat Dr. Frank Hahn, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Managing Partner bei Rechtsanwälte Kasper Knacke, die Klägerin:
Wie geht es am LAG weiter?
Das LAG-Urteil wurde vom BAG teilweise aufgehoben und das Berufungsverfahren wird am LAG fortgesetzt werden. „Beide Parteien – insbesondere aber der Arbeitgeber – erhalten Gelegenheit, ihren Vortrag zu ergänzen“, erklärt Dr. Andreas Eckhardt, Anwalt und Partner bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Forvis Mazars. Das BAG habe dem Arbeitgeber ausdrücklich ein „intransparentes Vergütungssystem“ vorgehalten. Zwar argumentierte Daimler Truck bereits in den Vorinstanzen, dass die Arbeitnehmerin eine schlechtere Leistung als vergleichbare Kollegen und Kolleginnen auf derselben Ebene aufweise. Belegen konnte der Arbeitgeber das vor Gericht allerdings nicht. Dies zeige sich laut Daimler Truck aber schon daran, dass das Entgelt der Klägerin auch geringer als das Medianentgelt der weiblichen Vergleichsgruppe ist.
„Das kommende Urteil des LAG Baden-Württemberg wird von erheblicher Bedeutung sein – nicht nur für die Parteien, sondern auch für die zukünftige Darlegungs- und Beweislast in Fällen der Entgeltgleichheit“, sagt Anwalt Eckhardt. Schon jetzt ist klar: Unbegründete Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern sollten Arbeitgeber dringend angehen – nicht erst, wenn das Entgelttransparenzgesetz nächstes Jahr reformiert wird. Und selbst wenn es Gründe geben mag, sollte geprüft werden: Sind diese gerichtsfest dokumentiert? Arbeitgeberanwalt Dr. Alexander Bissels von der Kanzlei CMS mahnt auf LinkedIn: „Man kann es nicht oft genug sagen: Liebe Arbeitgeber, kümmert Euch um dieses Thema – und zwar jetzt.“
Info
BAG, Urteil vom 23. Oktober 2025, Az. 8 AZR 300/24
Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Oktober 2024, Az. 2 Sa 14/24
Gesine Wagner betreut als Chefin vom Dienst Online die digitalen Kanäle der Personalwirtschaft und ist als Redakteurin hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik. Sie ist weiterhin Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem verantwortet sie das CHRO Panel.

