Volkswagen (VW) hat im ersten Halbjahr dieses Jahres 548 Mitarbeitende wegen Fehlverhaltens entlassen. Alleine an den sechs deutschen Standorten des Automobilherstellers mussten mehr als 300 Beschäftigte gehen. Der Hauptgrund für die Maßnahme: unentschuldigtes Fehlen. Zuerst hatte die Bild-Zeitung darüber berichtet.
Volkswagen bestätigt gegenüber unserer Redaktion die Zahlen, welche in einer internen Statistik zu Fehlverhalten in der Belegschaft und entsprechenden Sanktionsmaßnahmen aufgelistet sind – eine Maßnahme, die VW als Konsequenz auf den Dieselskandal eingeführt hatte.
Die Zahlen klingen zunächst recht hoch. Zieht man aber in Betracht, dass die VW global rund 561.000 Mitarbeitende hat und die Kernmarke an ihren Standorten in Deutschland circa 72.000 Beschäftigte zählt, zeigt sich ein anderes Bild. Dann beziehen sich die 548 Kündigungen und die 2.079 Abmahnungen auf lediglich rund 0,5 Prozent der Belegschaft.
Ob das im Vergleich zu anderen Unternehmen viel ist, hängt laut Dr. Sebastian Maiß, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Michels.Pmks (Eigenschreibweise: pmsk), davon ab, was der Anlass für die Kündigungen war. „548 echte Compliance-Verstöße wären sicherlich viel, während eine Mischung aus verhaltens- und personenbedingten Gründen eher im unteren Bereich zu verorten wäre“, so Maiß.
Die unterschiedlichen Arten von Fehlverhalten
Fehlverhalten kann sich auf unterschiedliche Dinge beziehen. Ein Beschäftigter oder eine Beschäftigte können gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen – etwa gegen Korruptionsvorschriften und damit ein Compliance-Verstoß. Mitarbeitende können aber auch arbeitsvertragliche Pflichten nicht erfüllen – entweder mittels ihres Verhaltens oder weil sie es aus Gründen, welche auf ihre Person zurückzuführen sind, nicht können.
Das meiste Fehlverhalten bei VW beruht laut der Einschätzung von Maiß auf einer Verletzung gegen arbeitsvertragliche Pflichten. „Diese Pflichten werden vom Arbeitgeber selbst festgelegt“, sagt der Anwalt. Solche Verletzungen können beispielsweise ein Arbeitszeitbetrug sein oder ein Verstoß gegen das Meldeverfahren beim Arbeitgeber, wenn man arbeitsunfähig ist. Sagt ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin etwa ihrer Führungskraft oder der für die Schichtplanung verantwortlichen Person nicht Bescheid, dass er oder sie krank ist, stellt dies einen Regelverstoß dar. Täuscht ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin ihre Arbeitsunfähigkeit vor, ist dies auch ein Fehlverhalten, das sanktioniert werden kann.
Würde Volkswagen anfangen, bestimmten Mitarbeitenden wegen zu vieler Fehlzeiten zu kündigen, sei dies eine personenbedingte Ursache, da es in seiner Person liegende Gründe dafür gibt, dass er oder sie ihre Arbeitsleistung nicht vollständig vollbringen kann.
Was kann auf das Erkennen eines Fehlverhaltens folgen?
Können Arbeitgeber Mitarbeitenden aber einfach bei einmaligem Fehlverhalten kündigen? Arbeitsrechtler Maiß rät Arbeitgebern zu folgendem Prozess: Die Führungskraft müsse im ersten Schritt erkanntes Fehlverhalten dokumentieren. Dann gelte es, dies gegenüber dem oder der Beschäftigten in einem außerordentlichen Mitarbeitergespräch anzusprechen. Am Ende des Gesprächs sollte die Führungskraft diese Fragen beantworten können: Gibt es nachvollziehbare Ursachen für das Fehlverhalten? Zeigt der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin Einsicht und ist bereit zu kooperieren?
Fehlt eine Kooperationsbereitschaft, so kann der Arbeitgeber arbeitsrechtliche Sanktionsmaßnahmen ergreifen – beginnend mit einer Ermahnung bis zur Abmahnung und Kündigung. Aber: „Diese Schritte sind fehleranfällig und sollten gut vorbereitet sein“, sagt Maiß. Deshalb rät er Arbeitgebern: HR und die operativen Führungskräfte sollten einen gemeinsamen Prozess aufsetzen, welcher im Falle von Fehlverhalten greift und klare Leitplanken für die Beschäftigten für das vom Arbeitgeber erwartete Verhalten vorgibt. Maiß empfiehlt zudem, eine Soll-Leistung klar zu definieren und diese dann mit der Ist-Leistung des entsprechenden Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin abzugleichen.
Im nächsten Schritt stehe die Ursachenforschung an. Will der Mitarbeiter zwar, aber kann er seine Leistung nicht erbringen oder ist er schlicht leistungsunwillig? Gibt es vielleicht fehlende Rahmenbedingungen oder gestörte Arbeitsbeziehungen, die eine Ursache bilden? Diese und ähnliche Fragen sollten gestellt werden. „Oft sind es multifaktorielle Ursachen, die ineinandergreifen“, sagt Maiß.
Handelt es sich um eine Pflichtverletzung im Vertrauensbereich, könnten zudem eventuell härtere Maßnahmen greifen. Dies ist laut dem Fachanwalt etwa bei einem Arbeitszeitbetrug oder einer beharrlichen Arbeitsverweigerung der Fall. Dieses Verhalten könne schnell eine Kündigung rechtfertigen, oftmals sogar eine außerordentliche und fristlose. Allerdings ist auch hier die Voraussetzung für eine Kündigung, dass der Arbeitgeber den Sachverhalt dokumentiert und aufgeklärt sowie alle formalen Schritte für die Kündigung eingehalten hat.
Kündigung oder Abschreckung – was ist das Ziel?
Eine Kündigung sei aber in aller Regel nicht das primäre Anliegen des Arbeitgebers, wenn er ein Fehlverhalten bei einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin feststellt, hat Maiß beobachtet. „Das Ziel ist es in der Regel, diese Beschäftigten zurück zur Leistung zu bringen und Leitplanken für alle Beschäftigten zu setzen, damit es nicht zu gleichgelagerten Verstößen kommt.“
VW sagte dazu auf Anfrage nur so viel: „Mit der internen Veröffentlichung dieser Statistik zeigt der Konzern seit 2018 regelmäßig, dass der Erfolg des Unternehmens nur auf integres, regelkonformes und faires Verhalten gründen kann. Denn nur so lässt sich Schaden vom Unternehmen, von Beschäftigten und von Geschäftspartnern abwenden.“ Da der Automobilhersteller die interne Statistik vor seiner aktuellen Wirtschaftskrise gestartet hat, scheint dies keine Antwort auf die derzeit mehr als angespannte Lage bei VW zu sein. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass Fehlerverhalten und der Umgang damit durch die Krise beeinflusst werden. In den Zahlen zeigt sich das aber nicht.
Info
Thema: Krankenstands-Controlling
Überdurchschnittlich hohe Fehlzeiten sind möglicherweise ein Alarmzeichen für gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen oder technische und ergonomische Mängel am Arbeitsplatz. Insbesondere, wenn Fehlzeiten in hohem Maße durch Arbeitsunfälle verursacht werden, sollten Arbeitgeber dringend aktiv werden. Folgende Punkte gehören bei einer Analyse der betrieblichen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz auf den Prüfstand:
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Arbeitszeiten und Pausenregelungen
Lassen sich Nacht- oder Schichtarbeit reduzieren? Besteht während eines Bereitschaftsdienstes ausreichend Möglichkeit zum Ausruhen? Sind Arbeitsschichten zu lang/Pausen zu kurz? Sind die Pausen optimal für die Erholung verteilt? -
Arbeitsorganisation
Müssen einzelne Mitarbeiter eine besonders hohe/unzumutbare Belastung aushalten? Wie lassen sich Aufgaben ggf. umorganisieren? -
Sicherheitsvorschriften
Müssen bei der Arbeit besondere Sicherheitsvorschriften beachtet werden? Kennen alle Mitarbeiter die relevanten Regelungen? Wird die Einhaltung überwacht? Falls nein, warum nicht? -
Schutzausrüstung
Erfordert die Arbeit spezielle Schutz- oder Sicherheitsausrüstung wie z.B. Helm, Schutzbrille, Handschuhe, Schuhe mit Stahlkappen, Atemschutz, Spezialkleidung? Wenn ja, ist die Ausrüstung der Mitarbeiter vollständig und einwandfrei? Wird das Anlegen der Schutzausrüstung überwacht? Sind alle Mitarbeiter mit der Handhabung vertraut? Kann bei Bedarf sofortiger Ersatz gestellt werden? -
Arbeitsbedingungen
Sind die Mitarbeiter speziellen Gesundheitsbelastungen ausgesetzt, z.B. Lärm, Staub, Strahlung, giftigen Dämpfen oder Abgasen, Rauch, Lichtmangel, Hitze? Falls ja, wie lassen sich diese Belastungen vermeiden oder minimieren? -
Arbeitsplatz
Ist der Arbeitsplatz ergonomisch gestaltet? Lassen sich z.B. Stühle oder Tische individuell verstellen? Herrscht optimale Beleuchtung? Lassen sich Temperatur und Frischluftzufuhr nach persönlichen Bedürfnissen regeln? Werden moderne, strahlungsarme Elektrogeräte (Handy, Monitor) gestellt? -
Führungsstil
Kommen Mitarbeiter mit Personalverantwortung ihrer Aufsichts- und Fürsorgepflicht ausreichend nach? Reagieren sie angemessen auf Gesundheitsprobleme/Beschwerden ihrer Mitarbeiter? Überwachen sie selbstständig den Krankenstand?
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.

