Wie kann ich zwischen all den Teams- und Zoom-Calls mal abschalten? Wie schaffe ich es, nach Feierabend den Rechner auch wirklich zuzuklappen und das (Arbeits-)Smartphone auszuschalten? In meinen Coachings und Webinaren in letzter Zeit erzählen mir Führungskräfte immer wieder das Gleiche. Die Arbeit hat sich für viele nach zwei Jahren pandemiebedingter Zwangsdigitalisierung in alle Ritzen des Tages hineingedrängt. Die Grenzen zwischen Arbeit und Nichtarbeit verschwimmen – auch weil für viele Menschen der Arbeitsweg nur noch aus drei Schritten aus dem Schlafzimmer besteht. In diesen Zeiten verdichteter, entgrenzter, rasender Arbeit auch mal innehalten zu können, fällt häufig schwer. Hier daher ein paar Anregungen für Führungs- und Fachkräfte aus HR und Organisationsentwicklung.
Pausen zur Chef- und Chefinnensache machen
Die wenigsten Mitarbeitenden fühlen sich von ihren Vorgesetzten zu Pausen ermutigt, das belegen Studien. Und die meisten Chefs und Chefinnen leben auch viel zu selten Pausen vor, laut einer Erwerbstätigenbefragung vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin macht mehr als ein Drittel der Führungskräfte keine Pausen. Leben Sie selbst immer wieder Auszeiten vor, machen Sie Pausen zur Chefsache!
Pausen planen
Die Leistungsfähigkeit im späteren Tagesablauf hängt stark davon ab, ob und wie früh Sie am Vormittag Pausen gemacht haben – als Sie vielleicht noch gar keine Pause dringend nötig gehabt hätten. Planen Sie also schon im ersten Drittel oder in der ersten Hälfte des Tages Auszeit-Inseln – die am besten größtmöglichen Kontrast haben zur aktuellen Tätigkeit. Also ein „Walk and Talk“ nach Stunden einsamer Büroarbeit oder eine Viertelstunde einsame Fokuszeit nach stundenlangen Team-Meetings.
Innere Abschalthemmer kennen
„Streng Dich an“, „Sei schnell“, „Mach’s allein“, „Sei stark“, „Mach’s allen Recht“. Solche oder ähnliche Glaubenssätze, explizit oder implizit ausgesprochen, kennt wahrscheinlich jede und jeder von uns. Und sie sind auch erstmal nicht ganz verkehrt, denn sie haben uns, gerade als Führungskräfte, ja auch weit gebracht. Gleichzeitig können uns diese Antreiber an vielem hindern, können zum Beispiel echte Pausenbremser sein. Was sind Ihre Antreibersätze? Und wie können Sie diese durch für Sie passende Erlaubersätze ergänzen (zum Beispiel: „Ich darf’s auch mal gemütlicher angehen“ oder „Mein Halb-Perfekt ist auch mal ausreichend“ oder „Ich darf auch mal Hilfe erbitten und annehmen“)?
Kommunizierte Kanalklarheit
Wer teilt wieso wann welche Informationen über welche Kanäle? In vielen Organisationen werden diese Fragen gar nicht erst gestellt – geschweige denn beantwortet. Das führt zu Informationsstress bei allen Beteiligten, zu chronischer Verpassensangst („FOMO“, Fear of Missing Out, nennen das die US-Amerikaner). Klären Sie also, in welcher Taktung auf welchem Kanal Nachrichten zu beantworten sind – und leben Sie das auch entsprechend vor! Smsen oder mailen Sie Ihre Mitarbeitenden nur dann an, wenn es wirklich, wirklich, wirklich dringend ist – und lassen Sie ihnen ansonsten ihren Feierabend, ihr Wochenende, ihre Ferien, auch und gerade, wenn sie Führungskräfte sind.
Arbeit weg vom Telefon
Wie viele dringend zu erledigende Arbeitsmails bekommen Sie wirklich nach Feierabend? Wäre es nicht besser, die Dienstmails gar nicht erst aufs (private) Smartphone weitergeleitet zu bekommen? Oder sie zumindest nicht per Push-Funktion in die bequeme Mail-App, sondern in ein umständlich zu handhabendes Webbrowser-Portal zu bekommen? Dann steigt die Hemmschwelle, „mal eben kurz“ noch nach dem Tatort die Arbeitsmails abzurufen.
Aus-Knopf als Ritual
Ob Sie sich die Arbeitskleidung aus- und den privaten Gammellook anziehen, ob Sie – schon besser – um Punkt 18:30 Uhr die Wohnung verlassen und zum Einkaufen für den nächsten Tag spazieren, ob Sie – noch besser – zum Einkauf die Joggingschuhe anziehen und sich somit ein bisschen Sport verabreichen, oder ob Sie sich dazu sogar, das wäre das Optimum, ein, zweimal zum gemeinsamen Abendsport mit dem Partner, der Nachbarin, einem Freund verabreden: Schaffen Sie verbindliche Rituale des Übergangs in den Nicht-Arbeits-Zustand, die Ihrem Kopf und Körper signalisieren: „Schluss jetzt mit Arbeit!“
Achtsamkeit üben und anbieten
Nicht herunterfahren können und Stress oder Burnout als Konsequenzen werden aus meiner Sicht viel zu häufig viel zu sehr als individuelles Problem betrachtet – und viel zu wenig als Problem der Team- oder Organisationskultur. Und dennoch kann es natürlich helfen, wenn Führungskräfte lernen, wie sie immer wieder Innenschau halten können – und wenn Unternehmen Angebote dazu machen. Mit Seminaren, E-Books, Apps oder gemeinsamen Meditationsmomenten, wie sie bei SAP zum Beginn von Meetings abgehalten werden.
Zuständigkeiten und Nichtzuständigkeiten regeln
Wer hat eigentlich was zu tun – und wer was nicht? In vielen Teams und Organisationen gibt es sowohl Befugnislücken als auch Zuständigkeitsüberlappungen. Die sind erstmal kein Problem, solange klar ist, wie mit ihnen umgegangen wird. Je unklarer ist, wer wofür zuständig ist, desto mehr Stress kann besonders bei denen entstehen, die Verantwortung übernehmen. Und desto schwerer fällt denen die Entspannung, die sie eigentlich am meisten bräuchten. Klären und updaten Sie also immer wieder Zuständigkeits- und Vertretungsregelungen – das hilft auf organisationaler Ebene beim Abschalten.
Christian Thiele ist Autor und Coach für positive Leadership. Sein Buch „Positiv führen für Dummies“ ist gerade im Wiley-Verlag erschienen, sein Podcast „Positiv Führen“ lässt sich auf allen großen Podcast-Plattformen abrufen.
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