Um als Unternehmen erfolgreich zu sein, braucht es flache Hierarchien. Davon ist Tanya Channing, Chief People and Culture Officer (CPCO) bei Pipedrive, einem in Estland gegründeten, weltweit tätigen Sales-CRM-Anbieter, überzeugt. Denn nur so könne ein Arbeitgeber schnell auf Herausforderungen und Trends reagieren, Innovation fördern und Mitarbeitende binden. Die aktuelle Rentention Rate von Pipedrive könnte ihr recht geben. Sie liegt bei 80 Prozent.
Channing hat es sich gemeinsam mit ihrem HR-Team beim Softwareunternehmen zum Ziel gesetzt, so wenig Distanz wie möglich zwischen den höchsten Führungsebenen und den Mitarbeitenden zu haben. Kein einfaches Bestreben in einem Unternehmen, das 2010 als Start-up gegründet wurde und seitdem auf derzeit rund 900 Mitarbeitende gewachsen ist. Denn mit dem Wachstum wird es strukturell schwieriger, abteilungs- und rangübergreifende Nähe in der Belegschaft zu stärken. Wie genau geht Pipedrive vor?
Agiles Arbeiten à la Pipedrive
Mit flachen Hierarchien ist beim Softwareunternehmen nicht gemeint, dass es keine verschiedenen Managerlevel gibt. Auch bei Pipedrive tragen die Mitarbeitenden je nach Erfahrung und Position Titel wie Junior, Senior, Manager und Executive. „Der Titel zeigt aber nur, wo du hinsichtlich deiner Erfahrung stehst, er bestimmt nicht, welches Gewicht deine Ansichten haben“, sagt Channing.
Dementsprechend setzen die rund 200 Führungskräfte bei Pipedrive Unternehmensziele, begeben sich dann aber in den offenen Austausch mit ihren Mitarbeitenden auf Augenhöhe, um herauszufinden, wie diese Ziele erreicht werden können. In den meisten Teams wird agil gearbeitet. Allerdings nicht mit Scrum und ähnlichen bekannten Methoden des agilen Arbeitens. Vielmehr haben die einzelnen Teams laut Channing die Freiheit, ihre eigene Arbeitsweise zu finden. „Die Mitarbeitenden entscheiden in ihren Teams, wie sie sich organisieren möchten und welche Einzelprojekte sie anstreben, um die Unternehmensziele zu erreichen“, sagt die CPCO.
Werte müssen klar kommuniziert werden
Damit alle Mitarbeitenden diesen Kurs halten, sei es wichtig, die gewünschte Arbeitsweise mittels klarer Werte immer wieder zu definieren und zu kommunizieren. Pipedrive hat Vertrauen als einen seiner Hauptwerte festgelegt. „Im Zweifel beschließen wir bei jeder Entscheidung in unsere Kolleginnen und Kollegen zu vertrauen“, sagt Channing. Außerdem gelte beim Softwareunternehmen: Jeder und jede übernimmt Verantwortung und ist bereit, selbstständig zu arbeiten sowie das eigene Wissen mit den anderen zu teilen. Nicht nur innerhalb der Belegschaft, sondern auch im Recruiting betont das HR-Team um Channing die Unternehmenswerte. Wenn ein Bewerber oder Bewerberinnen damit nichts anfangen können, seien sie nicht passend für das Unternehmen.
Doch Worte ohne Taten schaffen noch keine flachen Hierarchien. Vielmehr versucht das HR-Team des Softwareunternehmens immer wieder Möglichkeiten für die Mitarbeitenden zu schaffen, in denen sie ihre Meinung sagen, ihr Wissen teilen und ihre Arbeit selbst organisieren können. Einen solchen Raum stellen monatliche Meetings dar, in welchen die gesamte Belegschaft einen Überblick über den Status Quo des Unternehmens sowie relevante Initiativen und Entwicklungen bekommen soll.
Zum freiwilligen Treffen kommen rund zwei Drittel der Mitarbeitenden. „Dort hinterfragen und kommentieren Mitarbeitende offen Entscheidungen und Ansichten“, sagt Channing. Das gehe nur, weil der CEO immer wieder betont: „Wir feiern die Meinungen unserer Mitarbeitenden genauso wie die unserer mehr als 100.000 Kunden.“ Wer seine Meinung sagt, sein Wissen teilt, muss sich allerdings an einen weiteren Unternehmenswert halten: Nettigkeit. Denn bei Pipedrive gelte: „Sag etwas, aber auf eine nette und konstruktive Art und Weise.“
Zudem werden in diesen Meetings Anerkennungen, sogenannte „Recognitions“ geteilt. Im Rahmen dieses Recognition-Systems können Mitarbeitende ihren Kolleginnen und Kollegen basierend auf den Unternehmenswerten von Pipedrive öffentliche Anerkennung schenken. Die Teams und Kollegen oder Kolleginnen mit den meisten Anerkennungen werden während der monatlichen Meetings öffentlich applaudiert.
Jeder kann sich bei Pipedrive einen Überblick verschaffen
Austauschen können sich Mitarbeitende auch einmal im Monat bei den sogenannten „Demo, demo, demo Days“. In diesen unternehmensweiten Meetings berichten die Teams von den drängenden Problemen ihrer Kunden und präsentieren die dazugehörigen Lösungsansätze oder finalen Produkte. Dieses Format ist die Weiterentwicklung der sogenannten Pitching Tuesdays, die Pipedrive zuvor durchführte, welche in den einzelnen Teams stattfanden. Dort pitchten Mitarbeitende Lösungen für Kundenprobleme vor dem Team – nahm das Team diese Ideen an, wurden die Mitarbeitenden mit den Ressourcen ausgestattet, um ihre Lösungen umzusetzen. „Das neue Format bringt die Organisation zusammen und hilft allen dabei, einen Überblick über die Arbeit innerhalb des gesamten Unternehmens zu bekommen“, sagt Channing.
Für den alltäglichen und spontanen Austausch, nutzt Pipedrive den Messaging-Dienst Slack. Dort gibt es die verschiedensten unternehmensinternen Chatgruppen, die vom HR-Team beobachtet werden, damit der richtige Ansprechpartner oder die entsprechende Ansprechpartnerin auf das Geschriebene eingehen kann. Auch sei es HR so möglich, zu wissen, welche Themen die Mitarbeitenden gerade beschäftigen. „Das Gute an der Kommunikation via Slack ist, dass dort jeder gleich und dadurch sehr nahbar und ansprechbar ist“, sagt Channing. „Jeder Mitarbeiter kann das Executive Team anschreiben und mit einer schnellen Antwort rechnen.“
Ein zusätzlicher Kommunikationsweg sind Mitarbeiterbefragungen. Jährlich, bei Bedarf aber auch öfter, finden „Employee Net Promoter Scores (eNPS)“ statt, in welchen Mitarbeitende ihren Arbeitgeber bewerten. Zusätzlich werden regelmäßig „Temperatur-Checks“ in den einzelnen Teams durchgeführt. Mitarbeitende könnten aber auch einfach in das Büro der Leader und Geschäftsführer gehen, denn beim Softwareunternehmen gibt es eine Open-Door-Policy.
People First heißt, Zeit in den Austausch zu investieren
All die Kommunikation, das Feedback, die Nachfragen und Verbesserungsvorschläge kosten Zeit – ein Gut, das aufgrund von Arbeitsverdichtung und Personalmangel kostbar in jedem Unternehmen ist. Trotzdem lohne sich die Investition, ist die CPCO überzeugt. „Ohne all das gibt es keine People-First-Culture“, sagt Channing. „Wir profitieren zum einen von ihrem Wissen. Zum anderen müssen die Mitarbeitenden verstehen, warum wir als Unternehmen bestimmte Wachstumswege gehen, um darauf hinarbeiten zu können.“
Damit sich auch jeder einzelne Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin weiterentwickeln kann, gibt es im Unternehmen fünf interne Coaches. Die Psychologinnen und Psychologen unterstützen die Beschäftigten – wenn gewollt – in arbeitsbezogenen Aufgaben wie Führung und Verantwortungsübernahme, aber auch bei mentalen Gesundheitsproblemen. Alle diese Tools erlauben es Mitarbeitenden, gehört zu werden, was bei ihnen wiederum die Bereitschaft erhöhe, sich mitzuteilen. Denn am Ende benötige es klare Werte, Raum für Austausch, und vorgegebene Ziele als Orientierung, um flache Hierarchien trotz eines Unternehmenswachstums aufrechtzuerhalten.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.