Es ist ein häufiges Szenario: Während die Führungskraft überzeugt ist, sie drücke ihren Mitarbeitenden gegenüber genug Lob und Anerkennung aus, fühlen sich diese so überhaupt nicht wertgeschätzt. Die Imbalance kann Konsequenzen haben: Laut der Job-Happiness-Studie 2022 von Xing, ist – neben Stress und einer schlechten Bezahlung – fehlende Wertschätzung der Hauptgrund dafür, warum Mitarbeitende in ihrem Beruf unzufrieden sind. Diese Unzufriedenheit kann zu einer schlechten Stimmung im Team und fehlender Motivation führen. Im schlimmsten Fall kündigen Mitarbeitende.
Führungskräfte können das jedoch laut dem US-amerikanischen Beziehungsberater Gary Chapman vermeiden, wenn sie sich der fünf vom ihm definierten Sprachen von Wertschätzung bewusst ist. Seine Theorie: Wenn die Führungskraft ihre Wertschätzung nicht in der Sprache ausdrückt, in der ihr Gegenüber Wertschätzung erhalten kann, kommt die gute Absicht nicht an.
Chapman, der als Paartherapeut vor allem für sein Buch „Die 5 Sprachen der Liebe“ (1992) mehr oder weniger bekannt ist, hat rund zwanzig Jahre später den Ansatz in die Arbeitswelt übertragen und die „5 Sprachen der Mitarbeitermotivation durch Wertschätzung“ definiert. Sie sind wie folgt:
- Anerkennung: Ich lobe meine Mitarbeitenden und mache ihnen viele Komplimente für ihre Arbeit.
- Aufmerksamkeit: Ich widme meinen Mitarbeitenden Zeit, höre ihnen intensiv zu und führe tiefe Gespräche. Auf ihre E-Mails und Nachrichten reagiere ich schnell. Jubiläen und Geburtstage werden im Team gefeiert.
- Anreiz: Meine Mitarbeitenden erhalten für ihre gute Leistung mehr Geld und andere Benefits, die persönlich auf sie abgestimmt sind.
- Unterstützung: Ich kommuniziere, dass ich sehe, wie komplex die Aufgabe meines Mitarbeiters oder meiner Mitarbeiterin ist und biete ihm oder ihr meine Unterstützung an.
- Nähe: Ich halte mich oft im selben Raum, wie meine Mitarbeitenden auf, suche Blickkontakt, verteile High Fives oder sanfte Ellenbogen-Kicks oder winke ihnen beim Vorbeigehen von Weitem zu.
Chapmans Grundannahme: Menschliche Individuen reagieren nicht auf jede der fünf Sprachen gleich. Das hat auch Susanne Heintzmann, Beraterin für HR- und Unternehmenskommunikation, erfahren. Mit Mitte Zwanzig hatte sie ihre erste Führungsposition im Marketing inne. Damals erhielt sie aus ihrem Team das Feedback: „Wir arbeiten gerne mit dir zusammen, aber du bist so gar nicht wertschätzend.“
Unterschiedliche Kommunikation ausprobieren
Eine Aussage, die Heintzmann nicht nachvollziehen konnte, schließlich verteilte sie ihrer Ansicht nach zur Genüge Komplimente an ihre Mitarbeitenden. Um die Ursache der unterschiedlichen Wahrnehmungen zu verstehen, recherchierte Heintzmann zum Thema Wertschätzung und stieß auf Chapmans 5 Sprachen. Davon inspiriert testete die damalige Marketing-Chefin in ihrem Team, wie die einzelnen Mitarbeitenden auf unterschiedliche Sprachen der Wertschätzung reagieren. Auch stellte sie Chapmans Theorie in Meetings und Workshops vor und fragte die Teilnehmenden, was sie davon halten und von welcher Sprache der Wertschätzung sie denken, dass es ihre eigene ist.
„Ich habe einer Projektpartnerin eine E-Mail geschrieben, in der ich sie mittels vieler Worte und sehr detailreich für das gelobt habe, was sie geleistet hat“ erinnert sich Heintzmann. „Ihre Antwort kam knapp in zwei Worten: ‚Vielen Dank.‘“ Heintzmann hatte sich mehr erhofft. Daraufhin probierte sie auf einem anderen Weg besagter Kollegin ihre Wertschätzung entgegenzubringen. „Wir standen nebeneinander, ich habe sie leicht angeschubst, ihr in die Augen geschaut und gesagt: Ich fand deine Arbeit total beeindruckend, danke dafür.“
Diesmal hatte Heintzmann mehr Erfolg: Es habe sich ein Strahlen auf dem Gesicht der Kollegin breit gemacht und sie habe für fünf Minuten nicht aufgehört, zu reden. „Da wurde mir bewusst, dass Wertschätzung keine Einbahnstraße ist“, sagt Heintzmann. „Es gibt nicht nur eine Person, die ihrem Gegenüber zeigt, dass sie ihn oder sie in seinem Wert sieht, sondern auch den Empfänger oder die Empfängerin, der oder die den Ausdruck von Wertschätzung erkennen und annehmen muss.“
Das gilt es für jede Sprache der Wertschätzung zu beachten
Doch auch wer die richtige Sprache für sein Gegenüber gefunden hat, ist noch nicht unbedingt am Ziel angelangt. Denn wie bei jeder Sprache gibt es auch für die 5 Sprachen der Wertschätzung gängige Fehler. Diese sind laut Heintzmanns Interpretation von Chapmans Theorie die folgenden.
Lob und Anerkennung
Worte können schnell wie leere Hülsen erscheinen. Sie verlieren damit an Glaubwürdigkeit. Um das zu vermeiden, sollten Führungskräfte sehr persönlich in der Ansprache sein und begründen, warum sie bestimmte Verhaltensweisen und Leistungen ihres Gegenübers als gut empfinden.
Aufmerksamkeit
Um aufmerksam zu sein, muss man seinem Gegenüber seine ungeteilte Zeit schenken. Und hier liegt das Problem. „Wir haben alle in der Regel einen hohen Arbeitsdruck und können uns nicht immer die Zeit nehmen, um uns im Detail den Anliegen unseres Gegenübers zu widmen“, sagt Heintzmann. Um dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin trotzdem mittels Aufmerksamkeit seine Wertschätzung auszudrücken, könnten Führungskräfte dieses Problem offen kommunizieren, womöglich so: „Ich würde mir gerne mehr Zeit für Dich nehmen oder direkt auf Deine E-Mail eingehen. Doch ich möchte das gerne qualitätsvoll tun, schaffe es aber nicht in den nächsten Tagen. Aber sei Dir gewiss, die E-Mail ist angekommen und ich werde Dir darauf antworten.“
Anreize
Damit (monetäre) Benefits ihre Wirkung entfalten können, müssen sie angepasst an die empfundene Leistung des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin sein. Ansonsten empfindet das Gegenüber eine Imbalance und fühlt sich nicht wertgeschätzt.
„Das war der Fall beim Corona-Bonus für die Pflegekräfte“, sagt Heintzmann. Jede Pflegekraft hat einen Bonus von. 1.500 Euro erhalten, hat davor aber etliche Überstunden gemacht, ist über ihre Belastbarkeitsgrenzen hinausgegangen und hat zu Teilen ihre Gesundheit riskiert. Für sie war klar: Das ist mehr wert als 1.500 Euro.“ Sieht ein Unternehmen das auch so, kann aber nicht mehr in Benefits investieren, kommt es auch hier wieder auf die Kommunikation an: „Arbeitgeber können sagen: Wir würden Ihnen von Herzen gerne mehr geben, aber wir können uns das aus wirtschaftlichen Gründen aktuell nicht leisten. Es ist ein symbolischer Ausdruck dessen, dass wir das sehen, was Sie leisten“, schlägt Heintzmann vor.
Unterstützung
Wer Wertschätzung durch Unterstützungsangebote zeigt, kann schnell in die Falle laufen, dass sein Gegenüber das Gefühl hat, er oder sie würde die Aufgaben nicht alleine bewältigen können. Deswegen sollten Führungskräfte hierbei immer mit Komplimenten beginnen, hervorheben, dass sie sehen, was die Person leistet und wie komplex die Aufgabe gleichzeitig ist. Darauf basierend könnten sie sagen, dass sie ihren Mitarbeiter oder ihre Mitarbeiterin gerne unterstützen möchten und fragen, welche Unterstützung am meisten helfen würde. „Oftmals ist auch eine Ablehnung eine Annahme der Wertschätzung. Denn sie stärkt eine Person darin, indem sie ihr eine Notfallunterstützung anbieten“, sagt Heintzmann.
Nähe
Nähe ist in der Arbeitswelt nicht immer leicht zu vermitteln, ohne die Grenze zur Privatsphäre zu überschreiten oder gar zur sexuellen Belästigung. Deshalb gilt es laut Heintzmann bei dieser Form des Ausdrucks von Wertschätzung besonders, aufmerksam zu beobachten, wie das Gegenüber darauf reagiert. Auch sollte hier die meiste Zeit die Abstandsregelung von 1,5 Metern eingehalten werden, außer, wenn kurz Körperkontakt stattfindet. „In diesem Radius fühlen sich die meisten Menschen wohl und sicher“, so Heintzmann.
Unterschiedliche Wertesysteme können hinderlich sein
Wenn eine Führungskraft all diese Fehler umgangen hat, könnte die Kommunikation von Wertschätzung noch an einer entscheidenden Sache hapern: „Was wir als wertvoll ansehen, unterscheidet sich von Person zu Person je nach ihrem Wertesystem“, sagt Heintzmann. Sprich: Die Führungskraft wird den Mitarbeitenden nicht immer für die Leistungen Wertschätzung entgegenbringen, für die sie welche haben möchten. Das gilt es dann wohl zu akzeptieren.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.