Frage an die HR-Werkstatt: „Wie können Führungskräfte in Krisenzeiten Emotionen managen?“
Es antwortet: Dr. Bernadette Frech, CEO von Instahelp, der Plattform für psychologische Beratung Online
Mentale Gesundheitsprobleme steigen weiterhin: Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat jeder dritte Mensch mit psychischen Belastungen zu kämpfen. Das wirkt sich auch auf das Berufsleben aus. Ein Blick auf relevante HR-Kennzahlen bestätigt diesen Trend: Die durchschnittliche Krankschreibung aufgrund psychischer Erkrankungen beträgt aktuell bereits 43,2 Tage – Tendenz steigend. Unzählige Studien weisen auch darauf hin, dass mentale Gesundheitsprobleme im Arbeitsumfeld weiter massiv ansteigen werden. Nicht zu unterschätzen: Rund 50 Prozent der gesamten Fehltage sind bereits auf Stress zurückzuführen. Immer häufiger fühlen sich Mitarbeitende mental nicht mehr fit genug, um ihrer Arbeit zwischen Stressoren wie dem Ukraine-Krieg, der Corona-Pandemie, dem Wegfall von sozialen Treffen und einem damit direkt oder indirekt verbundenen Wandel der Unternehmenskultur motiviert nachzukommen. Stattdessen sind einige Beschäftigte in Unsicherheiten und Ängsten gefangen. Darunter leidet die Gesamtperformance des Unternehmens. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es mehr, als „Notfallmaßnahmen“ zu implementieren, die nur eine kurzfristige Lösung darstellen. Es gilt, bereits bei den Unternehmenswerten anzusetzen.
Das Schaffen einer gesunden, positiven Arbeitskultur, die es erlaubt, gute wie schlechte Tage zeigen zu dürfen, ist wesentlich, um gute Mitarbeitende auch halten zu können. Und auch, um Presenteeism zu vermeiden und nachhaltig in den Erfolg des Unternehmens zu investieren. Auf professionelle Unterstützung sollte dabei nicht verzichtet werden.
Krankheitstage wegen mentaler Probleme normalisieren
Obwohl immer mehr Mitarbeitende von mentalen Gesundheitsproblemen betroffen sind und sich von Emotionen überrollt fühlen, haben zahlreiche Unternehmen noch nicht den Rahmen dafür geschaffen, über diese Herausforderungen zu sprechen.
Dieses wichtige und mittlerweile akute Thema wird in der Arbeitswelt teilweise weiterhin stigmatisiert und gesellschaftlich tabuisiert. Dadurch fällt es Betroffenen wesentlich schwerer, sich zu öffnen und darüber zu sprechen. Die Folge: Presenteeismus. Obwohl sie sich emotional ausgelaugt und mental nicht gut fühlen, sind Mitarbeitende im Betrieb oder sitzen vor dem PC. Ihren gewohnten Beitrag zum Unternehmenserfolg können sie dadurch nicht leisten – vielmehr sind sie als „leere Hüllen“ präsent, denn sie sind nur physisch und mit minimaler Produktivität am Arbeitsplatz. Mittlerweile sind immer mehr Unternehmen davon betroffen. Diesen Presenteismus gilt es zu vermeiden. Mitarbeitende sollten von ihrer Führungskraft dazu motiviert werden, sich krankschreiben zu lassen, wenn sie sich mental nicht fit fühlen. Diese Art des Unwohlseins sollte genauso als Krankheit angesehen und ernst genommen werden, wie physische Beschwerden.
Führungskräfte sind keine Therapeuten, können aber vermitteln
Genau wie bei anderen Krankheiten sind weder Führungskraft noch HR in der Lage, eine Diagnose zu stellen und den Betroffenen zu helfen. Denn die meisten von ihnen können keine erforderliche Ausbildung für diese Themen aufweisen. Zudem gilt: Wer sich regelmäßig den (mentalen) Problemen anderer widmet, wird mit der Zeit selbst damit überfordert und die eigene mentale Gesundheit leidet. Hier sollten Führungskräfte professionelle Hilfe (beispielsweise in Form von einer außenstehenden Person) hinzuholen.
An dieser Stelle lässt sich das „Zahnschmerzen-Beispiel“ sehr gut vorführen: Angenommen ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin kommt mit sehr starken Zahnschmerzen, die nicht mehr auszuhalten sind und sie oder ihn vom Arbeiten abhält, zu ihrer Führungskraft. Diese kann nichts anderes für sie tun, außer zu trösten und ihr oder ihm zu raten, schnellstmöglich eine Zahnambulanz aufzusuchen. Denn in diesem Fall kann nur ein Zahnarzt oder eine Zahnärztin helfen. Als Führungskraft sollte man auch beim Thema mentale Gesundheit schnell und intuitiv die benötigte Unterstützung abrufen können und betroffene Mitarbeitende gleichzeitig wissen lassen, dass es in ihrer Verantwortung liegt, sich geeignete Hilfe zu suchen.
Die Führungskraft kann allerdings nur vermitteln und im Übergang zu professioneller Hilfe unterstützen, wenn sie auch von den emotionalen und mentalen Beschwerden der Mitarbeitenden weiß. Hierfür muss die Führungskraft für Betroffene eine sichere Umgebung herstellen, damit sich diese mitteilen können und sich trauen, über ihre scheinbar überwältigenden Gefühle und mentalen Probleme zu sprechen. Dafür muss im Unternehmen eine entsprechende Kultur herrschen und der offene Umgang mit Emotionen normal sein.
Emotionen als Erfolgstreiber zulassen
Um Mitarbeitende dahingehend zu motivieren, sich ihren Emotionen und mentalen Belastungen zu stellen und diese zur Sprache zu bringen, müssen Führungskräfte als Role Models vorangehen. Sie sollten selbst ihre Gefühle am Arbeitsplatz zeigen und dadurch den Mitarbeitenden vorleben, dass im bewussten Ausleben von Emotionen eine Stärke und keine Schwäche liegt. Dafür muss diese Art der Verletzbarkeit sowie mentale Gesundheit generell als gelebter Unternehmenswert verankert werden.
Denn wenn in einem Unternehmen der früher oft verbreitete Glaube weiterhin besteht, dass Manager sowie Managerinnen und auch ihre Mitarbeitenden (zumindest nach außen hin) stets tough sein sollten, sich auf harte Zahlen und Fakten berufen und Gefühle im Job vermeiden müssen, kann ein guter Umgang mit Emotionen am Arbeitsplatz nur schwer gelingen. Denn in einem solchen Umfeld werden vor allem „negative“ Gefühle weiterhin versteckt.
Ein Großteil der Arbeitgeber, aber auch der Arbeitnehmer geht davon aus, dass vermeintlich „schlechte“ Emotionen, wie beispielsweise Angst oder Wut, am Arbeitsplatz nicht gezeigt werden sollten. Doch das stimmt nicht. Denn: Studien haben gezeigt, dass es die Vielfalt an Emotionen ist, die maßgeblich zu Erfolg und sogar Innovation in Unternehmen führen kann. Das liegt daran, dass jedes starke Gefühl ein Antrieb für etwas sein kann. So schärfen Gefühle wie Angst oder Wut unsere Sinne und können, wenn richtig genutzt, unsere Produktivität erhöhen. Andere Emotionen können Leidenschaft und Begeisterung in die Berufswelt bringen – Dinge, die ebenfalls den Unternehmenserfolg steigern. Bei all dem sollten Führungskräfte ihre Wut und ihren Ärger natürlich nicht ungefiltert an den Mitarbeitenden auslassen. Sie sollten ihnen vielmehr zeigen, dass sie diese Emotionen empfinden und die positiven Elemente von ihnen nutzen, um ihrer Arbeit besser nachzugehen.
Gefühle positiv zu nutzen und nicht zu unterdrücken, ist hierbei essenziell. Denn weitere Studien haben gezeigt, dass sich das Unterdrücken von Emotionen nicht nur auf die psychische Gesundheit negativ auswirken kann, sondern auch auf das Immunsystem. Wer demnach zwanghaft versucht, selbst in der heutigen Krisenzeit bestimmte Emotionen zu unterdrücken, kann überlastet und in weiterer Folge krank werden – und das, weil nur bestimmte Emotionen „erlaubt“ sind.
Fazit
Um langfristig Abwesenheitstage und auch Fluktuation zu vermeiden, bedarf es, die mentale Gesundheit von Mitarbeitenden als Unternehmenswert zu verankern und Verantwortung für psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu übernehmen. Es gilt bestehende Barrieren abzubauen, Emotionen als normales Gesprächsthema zu etablieren und Mitarbeitende dazu zu motivieren, sich aktiv um ihre mentale Gesundheit zu kümmern. Dadurch steigt nicht nur das Wohlbefinden der Mitarbeitenden – auch die Gesamtperformance des Unternehmens verbessert sich.
Autor
Dr. Bernadette Frech ist CEO von Instahelp, der Plattform für psychologische Beratung Online. Instahelp ist aktuell in fünf Märkten aktiv und bietet mit mehr als 250 erfahrenen Psychologinnen und Psychologen professionelle Beratung online in 14 Sprachen an. Derzeit nutzen mehr als 250.000 Mitarbeitende aus rund 120 Unternehmen, wie Allianz, Lidl und Trivago, kostenlos und anonym Instahelp. Mehr Informationen unter https://instahelp.me/business.